Bianca Walther
„Ungerader Weg“ an der FernUni ganz normal
„Ich liebe meinen Beruf, aber irgendwann hatte ich Lust, auch einmal eigene Inhalte zu vermitteln.“ Im Jahr 2009 startete Bianca Walther, freiberufliche Konferenzdolmetscherin für Englisch, Französisch und Deutsch, daher an der FernUniversität in Hagen im Masterstudium „Geschichte der Europäischen Moderne“. Da sie vorher an der Uni Mainz (Germersheim) und in den USA Angewandte Sprach- und Kulturwissenschaft studiert hatte, konnte die heute 47-Jährige direkt in den Master in Hagen einsteigen.
Schon zu Beginn des Studiums entschloss sie sich zur Spezialisierung auf Frauengeschichte. Besonders interessierten sie Frauen, die sich und anderen neue Wege bahnten: Zu ihren Studienobjekten gehörten reiselustige Engländerinnen um 1890, liberale Frauenrechtlerinnen der Kaiserzeit und lesbische Berlinerinnen um 1930.
Von der Masterarbeit zur Promotion
Für ihre Masterarbeit über weibliche Lebensgemeinschaften im Bürgertum bei PD Dr. Eva Ochs vom Historischen Institut der FernUniversität recherchierte sie in Berlin, München, Amsterdam und Stockholm: „Um die Liebesbriefe der Literaturnobelpreisträgerin Selma Lagerlöf an ihre Freundinnen Sophie Elkan und Valborg Olander lesen zu können, musste ich zunächst einmal Schwedisch lernen – aber das war es wert.“ Die Arbeit wurde von der Gesellschaft der Freunde der FernUniversität e.V. als beste des Jahres 2016 in der Hagener Fakultät Kultur- und Sozialwissenschaften ausgezeichnet. „Das ist gut gelaufen“, blickt Bianca Walther zurück.
Die Gutachterin und der Gutachter der Arbeit erkannten, dass noch viel mehr Potential in ihr steckte und rieten Walther sie in eine Dissertation zu erweitern. Daher nahm die Berlinerin 2016 an der Universität Siegen ein Promotionsprojekt zur Kulturgeschichte weiblicher Lebensgemeinschaften im Bürgertum auf: „Ohne das Studium in Hagen wäre ich kaum dorthin gekommen. Den Kontakt hat Frau Ochs hergestellt.“ Gleichzeitig arbeitet sie weiterhin als Konferenzdolmetscherin.
Optimale Unterstützung an der FernUniversität
„Überhaupt habe ich während der ganzen fünf Jahre in Hagen von den Lehrenden immer alles an Unterstützung und Förderung bekommen, was ich brauchte“, betont sie. „So konnte ich meine Vorstellungen realisieren, auch meine Spezialisierung. Die Lehrenden nahmen sich Zeit, um sich auch in ihnen völlig fremde Themen – wie etwa Zeitschriften lesbischer Frauen im Berlin der 1920-er Jahre – einzuarbeiten. Und zwar auf einem Level, das ich nicht erwartet hätte.“
Somit war die Masterarbeit bereits eine gute Grundlage für die Dissertation. Und auch für ihr Buchprojekt waren die Studieninhalte der FernUni ihr von Nutzen: Bei Prof. Dr. Jürgen G. Nagel (Lehrgebiet Geschichte Europas in der Welt) hatte sie zur Geschichte reisender Frauen in der Kolonialzeit gearbeitet.
Buchprojekt? Im Sommer 2020 hat Bianca Walther das Reisetagebuch der Frauenrechtlerin Anna Pappritz (1861-1939) als kommentierte Edition herausgegeben. Pappritz war von November 1912 bis Februar 1913 nach Ceylon, Indien und Kairo gereist.
Im Zuge der Recherchearbeiten für ihre Dissertation hatte Walther 2019 im Koblenzer Bundesarchiv eine Abschrift des verschollen geglaubten Reisetagebuchs entdeckt – in einem noch nicht inventorisierten Teil des Nachlasses der Politikerin Marie-Elisabeth Lüders: „Anna Pappritz war mir ein Begriff, denn sie wird auch in meiner Dissertation vorkommen. Als ich das Tagebuch fand, war mir klar, was ich da in der Hand hatte, und dass ich etwas damit machen wollte.“ Was das sein würde, war bald klar: Es sollte eine kommentierte Edition werden. Die Grundlagen für die Einführung hatte nicht zuletzt die Vorarbeit an der FernUni gelegt Im FernUni-Studium hatte Bianca Walther sich bereits mit der Reisepraxis weißer Frauen um 1900 befasst und konnte die örtlichen und räumlichen Umstände, die im Tagebuch geschildert wurden, einordnen.
Wissen verbreitert, Selbstbewusstsein gestärkt
Über das Fachliche hinaus hat das Studium an der FernUniversität für Bianca Walther viele weitere Vorteile. Ganz wichtig war für sie, parallel zu ihrer Tätigkeit als Dolmetscherin studieren zu können: „Ich war keine Exotin, die nebenher ein Studium macht, mein ‚ungerader‘ Weg war an der FernUni etwas ganz Normales.“ Ein großer Vorteil in Alltag und Beruf ist ihr breites Hintergrundwissen als Dolmetscherin, als FernUni-Absolventin und nun als Wissenschaftlerin.
Dass sie sich – bestens unterstützt von ihrer Frau – in ein ganz neues Gebiet eingearbeitet hat, stärkte auch ihr Selbstbewusstsein: „Ich hätte nie gedacht, dass es sogar mit einer Promotion weitergeht.“ Aus dem vielen Material, das sich im Lauf der Zeit angesammelt hat, nimmt sie auch einige Themen in ihren Blog „Streifzüge durch die Frauengeschichte“ und ihren Podcast „Die Geschichtsdolmetscherin“ auf (Link über ihre Homepage).
Emanzipation und Imperialismus
Historische Reisetagebücher von Frauen sind ein beliebtes Genre. Reisende Frauen überschritten Grenzen und wagten Neues. Ohne männliche Begleitung in ferne Länder zu reisen, war ein befreiendes, oft hart erkämpftes Erlebnis.
Gleichzeitig waren Fernreisen für das westliche Bürgertum ohne Imperialismus und Kolonialismus nicht denkbar. Reisende Männer wie Frauen (ob Forschungsreisende oder Touristinnen und Touristen) nutzten koloniale Strukturen, stellten Fremdherrschaft und Rassismus selten in Frage.
Im Reisetagebuch der Anna Pappritz begegnen den Leserinnen und Lesern beide Perspektiven: Sie ist die Berliner Touristin, die sie mit vielen kleinen Beobachtungen zum Schmunzeln bringt – und die imperialistische Großbürgerin, deren Blick auf den Globalen Süden stellenweise tief befremdet.
Anna Pappritz; Bianca Walther (Hg.): Indisches Tagebuch, St. Ingbert 2020, https://www.roehrig-verlag.de/shop/item/9783861107507/indisches-tagebuch-von-anna-pappritz-paperback.