Wissenschaften bleiben im Gespräch

Die Fakultät für Kultur- und Sozialwissenschaften will sich über Fachgrenzen hinweg stärker austauschen. Die Diskussion über mögliche Formate hat begonnen.


Foto: Hardy Welsch
Präsenz, online, hybrid – welches Format sollten Veranstaltungen künftig haben?

Der Weg von der Habilitationsschrift zur interdisziplinären Tagung ist kurz: Im Sommer 2022 hat die Fakultät für Kultur- und Sozialwissenschaften (KSW) der FernUniversität Dr. Gunnar Schumann die Venia Legendi erteilt. Schumann ist Philosoph und wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl Philosophie I von Prof. Dr. Hubertus Busche. Mit seinem Habilitationsprojekt hat Schumann – ohne es zu ahnen – einen Stein ins Rollen gebracht. Die Habilitationskommission unter dem Vorsitz von KSW-Dekan Prof. Dr. Peter Risthaus, Lehrgebiet Neuere deutsche Literaturwissenschaft und Mediengeschichte, hat sich intensiv mit Schumanns Thema auseinandergesetzt und daraus die Idee einer Tagung zur Methodologie des Erklärens in den Kultur- und Sozialwissenschaften entwickelt.

In der Philosophie gibt es eine lange Debatte darüber, wie menschliches Handeln angemessen erklärt werden kann. Der Rückgriff auf die Methoden der Naturwissenschaften liegt dabei nahe. Schumann diskutiert in seiner Arbeit den aus seiner Sicht prinzipiellen methodischen Unterschied zwischen Natur- und Geisteswissenschaften. Doch wie sehen das die Geistes- und Sozialwissenschaften selbst?

Darüber diskutierten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler der FernUni im Januar auf dem Campus bei der interdisziplinären Tagung „Erklären in den Kultur- und Sozialwissenschaften”. Im Interview erzählen Prof. Hubertus Busche, Prof. Peter Risthaus und PD Dr. Gunnar Schumann, was die Tagung ausgelöst hat.

FernUniversität: Die Tagung scheint eine unerwartete Wirkung gehabt zu haben. Welche Pläne sind daraus entstanden?

Peter Risthaus: Wir lassen die Reihe Wissenschaftsgespräche als offenes Format wieder aufleben. Vor der Pandemie gab es vier Mal jährlich eine Veranstaltung – zuletzt auch hybrid. Für die Reihe können sich die beteiligten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler Gäste einladen. Anschließend gibt es die Gelegenheit, sich auszutauschen. Das ist im Konzept so verankert. Das schafft nicht nur Raum für Begegnungen innerhalb der Fakultät, es wendet sich auch nach außen. Durch Corona war die informelle Ebene weggebrochen und wir haben nach und nach engagierte Kolleginnen und Kollegen verloren.

Foto: FernUniversität
Anlässlich der Habiliation: KSW-Dekan Prof. Peter Risthaus (li.) und Prof. Hubertus Busche (re.) gratulierten Gunnar Schumann zur Venia Legendi.

Hubertus Busche: Auch schon vor der Pandemie haben wir interdisziplinäre Tagungen veranstaltet, etwa über „Kultur“ oder „Mode“. Hierbei ging es jedoch stets darum, diese Sachgebiete aus den jeweiligen Fachperspektiven auszuleuchten. Schumanns Habilitationsthema hat dagegen den Impuls gesetzt, die Perspektive von außen nach innen zu lenken und die Praxis der Fächer selbst zum Gegenstand des wissenschaftlichen Austauschs zu machen. Deshalb haben Gunnar Schumann und ich die Konferenz initiiert.

Peter Risthaus: An der Tagung hat sich gezeigt, dass Interdisziplinarität auch über die Grenzen der KSW-Fakultät möglich ist. Wir sind, wie gesagt, innerhalb der Fakultät sowieso differente Fächer. Auf der Tagung war beispielsweise auch das Fach Betriebswirtschaft vertreten, das ja grundsätzlich einen eher anwendungsorientierten Ansatz vertritt.

Was war so besonders an der Tagung „Erklären in den Sozialwissenschaften“?

Hubertus Busche: Es waren gleich zwei Besonderheiten. Erstens haben sich fast alle Fächer unserer Fakultät zusammengefunden. Zweitens bestand die Interdisziplinarität nicht in unterschiedlichen Perspektiven auf einen gemeinsamen Gegenstandsbereich, sondern in der Eröffnung von Inneneinsichten in die jeweils anderen Fächer und ihre spezifischen Arten des Erklärens. Hierdurch gewannen wir nicht nur eine kleine Typologie des Erklärens. Vielmehr brachte uns das gemeinsame Klettern über die Fachzäune auch sachlich wie atmosphärisch näher zusammen.

Gunnar Schumann: Eine Aufgabe unserer Tagung bestand darin, die Fülle und Bandbreite verschiedener Formen dessen, was „Erklären“ in geistes- und sozialwissenschaftlichen Fächern heißt, zu erfassen. Darüberhinaus hat sich die Tagung die Frage gestellt, ob es diese Bandbreite dennoch erlaubt, zu einem gemeinsamen Kern der unterschiedlichen Begriffe des Erklärens zu gelangen, und wenn ja, worin dieser bestehen könnte. Unsere Tagung diente ebenso der theoretischen Selbstvergewisserung der beteiligten Fächer. Denn oftmals wird im fachspezifischen Alltagsgeschäft die Frage nach den begrifflichen Grundlagen des eigenen Forschens und Lehrens ausgeblendet.

Peter Risthaus: Die Tagung hat uns deutlich gezeigt, dass wir mehr gemeinsames Potenzial haben als gedacht. Da sind Ideen für gemeinsame Projekte entstanden. Wir sind als Fakultät an sich schon diverse Fächer, arbeiten aber zusammen – im Übrigen auch sehr erfolgreich. Unsere Drittmittelakquise etwa ist sehr hoch, insbesondere im Vergleich zu den anderen Fakultäten der FernUniversität. Aber das nur am Rande. Wir haben gemerkt, dass wir uns über Fachgrenzen hinweg etwas zu sagen haben und uns mehr austauschen müssen. Dafür sind wir bereit und offen.

Nun fand die Tagung ausschließlich in Präsenz statt. Welche Formate sind künftig denkbar für die Wissenschaftsgespräche?

Peter Risthaus: Es kommen verschiedene Formate in Frage wie Workshops in Präsenz oder auch angereichert mit hybriden Elementen. Das ist gerade für Studierende interessant, die teilnehmen möchten. Solche Angebote muss man durch einen Chat oder Co-Moderation begleiten. Da muss man im Einzelfall abschätzen, was leistbar ist.

Gunnar Schumann: Die interdisziplinär ausgerichteten Wissenschaftsgespräche sind ja auch für die Studierenden unseres fächerübergreifenden Studiengangs Kulturwissenschaften interessant.

Wie geht es konkret weiter?

Peter Risthaus: Der Diskurs über die Formate ist eröffnet. Ich werde als Dekan die Institutsleitungen der KSW-Fakultät ansprechen, um Verantwortlichkeiten festzulegen. Übergreifende Themen haben wir genug. Neulich hat der Kollege aus der Soziologie, Frank Hillebrandt, die Frage diskutiert, ob das Lehrbuch noch zeitgemäß ist. Das betrifft ja alle Fächer der KSW – und darüber hinaus. Ich wünsche mir, dass wir spätestens im Herbst neue Wissenschaftsgespräche anbieten können.

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Anja Wetter | 13.04.2023