Wie erleben Menschen aus Bulgarien und Rumänien das Zusammenleben in Hagen?

FernUniversität und Stadt Hagen haben gemeinsam eine Studie durchgeführt, in der es um Teilhabe von Menschen aus Südosteuropa geht. Diese lässt sich nun noch gezielter verbessern.


Gruppenfoto Foto: FernUniversität
Projektverantwortliche der Stadt Hagen, der FernUniversität und des nordrheinwestfälischen Integrations-Ministeriums trafen sich mit weiteren Interessierten, um die Ergebnisse zu besprechen.

Hagen steht für Vielfalt. Über ein Drittel der hier lebenden Menschen blickt auf eine Einwanderungsgeschichte zurück. Obwohl sich die Stadt für eine offene Willkommenskultur einsetzt, ist gleichberechtigte Teilhabe für alle Beteiligten mit Herausforderungen und Lernprozessen verbunden. Besondere Aufmerksamkeit gilt immer wieder Personen, die aus Bulgarien und Rumänien nach Hagen gekommen sind. Sie zählen zu den Top 10 zugewanderter Gruppen. Inwiefern ihre Integration in die Stadtgesellschaft gelingt und wo es noch hakt, zeigt eine neue psychologische Studie. Forschende der FernUniversität in Hagen arbeiteten hierfür eng mit kommunalen Verantwortlichen aus dem Fachbereich Integration, Zuwanderung und Wohnraumsicherung zusammen. Gefördert wurde das Projekt vom Ministerium für Kinder, Jugend, Familie, Gleichstellung, Flucht und Integration.

Abschlusstreffen auf dem Campus

Verantwortliche und Interessierte kamen nun zu einem gemeinsamen Abschlusstreffen zusammen. Nach einer Begrüßung durch den FernUni-Psychologen Prof. Dr. Oliver Christ, Matylda Stoy vom Integrationsministerium und der städtischen Fachbereichsleiterin Natalia Keller, stellte Dr. Sarina Schäfer die Studie stellvertretend für ihr Team vor. Den Forschenden war bei ihren Stichproben wichtig, alle Seite miteinzubeziehen: Der erste Teil der Studie stützt sich deshalb auf rund 500 Online-Fragebögen, beantwortet von der deutschen Mehrheitsbevölkerung. Der zweite Teil wandte sich an Menschen aus Bulgarien und Rumänien – und erforderte besonderes Engagement von den Projektbeteiligten. Das lag einerseits an Sprachbarrieren und Problemen beim Zugang zu der Zielgruppe. Andererseits erschwerten aber auch Corona-Pandemie und Personalwechsel die Durchführung. Dennoch kamen am Ende dank der städtischen Expert:innen, die im persönlichen Kontakt mit der Zielgruppe stehen, rund 400 Fragebögen zusammen. Die Stichproben beziehen sich dabei auf einen spezifischen Kontext in Hagen und sind nicht repräsentativ. „Uns war klar, dass wir an einem Strang ziehen müssen“, erklärt Güler Kahraman, Abteilungsleiterin des Kommunalen Integrationszentrums. „Die Ergebnisse sind wertvoll für uns und helfen dabei, weitere Handlungsfelder zu identifizieren.“

Forschende der FernUniversität

Für das Projekt arbeiteten die FernUni-Forschenden Dr. Sarina J. Schäfer, Prof. Dr. Anette Rohmann, Prof. Dr. Oliver Christ, Jil Ullenboom, Maria Nidrich, Jascha Naumann, Mona C. Griesberg und Initiatorin Dr. Jolanda van der Noll zusammen, die auch schon das Vorgängerprojekt „Willkommen in Hagen?!“ durchgeführt hatte und inzwischen als Wissenschaftlerin bei Statistics Netherlands in Den Haag tätig ist.

Akzeptanz durch Stadtgesellschaft fördern

„Integration kann nur unter Einbeziehung aller gelingen“, stellt Sarina Schäfer den Ergebnissen voran. „Das ist sehr relevant!“ Gerade hier zeichnet sich noch ein Ungleichgewicht ab: Während die Befragten aus Südosteuropa von einem überwiegend positiven Kontakt mit der deutschen Majorität sprechen, legt die Erhebung mit deutschen Teilnehmenden noch Vorbehalte offen. Das Vertrauen zu steigern und Vorurteile abzubauen, hält Schäfer daher für eine wichtige Aufgabe. Die Ergebnisse legen nahe, dass eine beidseitige Annäherung durchaus möglich wäre: Immerhin halten es die meisten in- und ausländischen Befragten für erstrebenswert, Freundschaften mit Deutschen zu pflegen und neue Kontakte zu knüpfen. Die Forscherin rät deshalb zu mehr Begegnungen im Alltag – erwiesenermaßen bauen sich Vorurteile im direkten Umgang miteinander schnell ab. „Akzeptanz von kultureller Vielfalt und tatsächliche Kontakterfahrungen sind wichtig für das gesellschaftliche Zusammenleben“, so Schäfer. „Es ist wichtig, dass es Orte und Anlässe gibt, die solche Begegnungen im Alltag ermöglichen” ergänzt Prof. Anette Rohmann, ebenfalls Mitglied im Forschungsteam.

Baustelle Bildung?

Als weitere Entwicklungsfelder benennt Schäfer Bildung und berufliche Qualifikation. Die meisten der Befragten sind weniger als 10 Jahre zur Schule gegangen, einen Hochschulabschluss hat kaum jemand. Trotzdem streben viele einen Aufstieg an, wollen sich weiter qualifizieren. „Es gibt eine große Bereitschaft sich beruflich weiterzuentwickeln“, bilanziert die Forscherin. „Zugleich scheint die Zufriedenheit mit der aktuellen Arbeitsstelle relativ hoch.“ Diese Einstellung zum Berufsleben ist vielversprechend – auch, weil im Job leicht positiver Kontakt zu anderen Gruppen hergestellt wird.

Insbesondere für die Kinder der Eingewanderten ist Bildung ein entscheidender Integrationsfaktor. „Das Wohlergehen der Kinder und gute Schulen sind neben Arbeitschancen die wichtigsten Gründe, um nach Deutschland zu kommen“, sagt Schäfer. Trotzdem berichten die Teilnehmenden nicht selten über schlimme Diskriminierungserfahrungen, auch in der Schule. Dieses Muster prägt schon früh: Bereits mit Blick auf Kinderbetreuungseinrichtungen mangelt es an Vertrauen in die staatlichen Einrichtungen. Schäfer empfiehlt daher, Schulen und Kitas von Anfang an in den Integrationsprozess einzubeziehen: „Wir müssen erkennen, dass Integration kein Prozess ist, der sich von heute auf morgen erledigt. Das dauert – für alle Seiten – mehrere Generationen. Umso wichtiger ist es, den Kindern gute Chancen zu geben.“

Interesse an weiteren Kooperationen

Die Studie beinhaltet noch zahlreiche weitere Ergebnisse zum städtischen Zusammenleben – etwa zur Wohnraumsituation, der Freizeitgestaltung oder den sprachlichen Kompetenzen. Aufgabe der kommenden Wochen wird sein, sie zu interpretieren und konkrete Maßnahmen daraus abzuleiten. „Diese ersten Daten haben uns interessante Einblicke in die Erfahrungen und Einstellungen von rumänischen und bulgarischen Menschen in Hagen gegeben“, resümiert Schäfer. „Eine entscheidende Rolle spielen aber eben auch die Mehrheitsgesellschaft und die Institutionen.“ Hier schlummert noch viel Potenzial, um Teilhabe zu fördern – ein Grund, warum das FernUni-Team gemeinsam mit der Stadt weiterforschen möchte. „Für uns als Fakultät für Psychologie sind solche praktischen Projekte mit der Gesellschaft sehr wichtig“, betont auch Prof. Oliver Christ. „Als Forschende arbeiten wir zu Themen, die für die Gesellschaft relevant sind und können eine Expertise einbringen. Umgekehrt wollen wir aber auch das Feedback aus der Praxis und können viel lernen von ihr.“ Güler Kahraman vom Kommunalen Integrationszentrum bekräftigte ihrerseits den Anspruch, künftig noch enger mit der FernUniversität zusammenzuarbeiten: „Ich freue mich darüber, dass wir immer mehr miteinander kooperieren.“

 

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Benedikt Reuse | 17.01.2024