Internet der Dinge: Zwischen Emanzipation und Fremdbestimmung
Ein smartes Zuhause kann mehr Komfort und Sicherheit bringen – allerdings auch zur gewaltsamen Kontrolle oder Überwachung eingesetzt werden. Ein neuer Film diskutiert das Phänomen.
Das Internet of Things, kurz IoT, soll das Leben der Menschen komfortabler, effizienter und sicherer machen – zum Beispiel im Haushalt: Fensterläden, Haustür, Heizungen und Licht sind per App steuerbar, Vorgarten und Garage kameraüberwacht, eine Sprachassistenz liest den Bewohner:innen alle Wünsche von den Lippen ab. Tatsächlich bringt die moderne Technik einige Vorteile mit sich, etwa wenn sie Barrieren für Menschen mit Behinderung abbaut, Unfälle oder Einbrüche verhindert oder den Energieverbrauch optimiert.
Genauso lohnt sich aber auch eine kritische Betrachtung möglicher Schattenseiten des IoT: Hier setzt der neueste Teil der Videoreihe Theorie|Apparate an: In der dritten Folge „IoT, Kontrolle & Gewalt“ erklären Wissenschaftler:innen, welche technischen, politischen und ökonomischen Mechanismen hinter den smarten Systemen stecken – und inwiefern sie als Kontroll- und Machtinstrumente missbraucht werden können. Die Premiere vor Ort und im Livestream wurde von einer Podiumsdiskussion gerahmt.
Format zur Wissenschaftskommunikation
Als Projekt ist Theorie|Apparate Teil des Forschungsschwerpunkts digitale_kultur der FernUniversität in Hagen. Wissenschaftliche Ergebnisse stellt die Filmreihe bewusst zugänglich dar – auch, um zur weiteren Diskussion in Politik, Forschung und Gesellschaft einzuladen. Für die neue Episode hat Dr. Thorben Mämecke (Wiss. Geschäftsführer von digitale_kultur) Interviews mit Mediensoziologin Prof. Dr. Nicole Zillien (Universität Koblenz), Bildungswissenschaftler Dr. Max Waldmann (FernUni) und Informatiker Dr. Martin Degeling (Freelancer für AI Forensics & ISD Global) geführt. Sascha Senicer und Matthias Heine-Bones vom Zentrum für Lernen und Innovation der FernUni (ZLI) sorgten für die professionelle technische Umsetzung.
Von der Wohnung um die Welt
Eindrucksvoll erklärt der Film, welcher Aufwand hinter der vermeintlich einfachen digitalen Technologie steckt: Wird etwa per Sprachbefehl um Licht im Wohnzimmer gebeten, wandern die Signale in Sekundenbruchteilen erst über mehrere internationale Serverinstanzen, wo sie verarbeitet werden, bevor die Deckenbeleuchtung anspringt. Ein enormer Energieaufwand und eine weitestgehend intransparente Datenlage sind Teil jeder Interaktion mit dem Smarthome. Kamera- und Tonüberwachung oder Fernsteuerung von Türen, Heizungen und Geräten können missbraucht werden – etwa um Gewalt in Partnerschaften auszuüben.
Da Partnerschaftsgewalt meist von Männern ausgeht und diese in der Regel auch über die Anschaffung und den Gebrauch von Technik entscheiden, können IoT-Apparate bestehende Ungleichheiten und Machtstrukturen in der Gesellschaft verstärken. Auch welchen Profit die großen IT-Konzerne aus der Teilhabe an der privaten Infrastruktur ziehen, ist nicht immer ersichtlich.
Zukunftstechnik oder Gimmick?
Überwiegen angesichts vielschichtiger Risiken trotzdem die Vorteile? Selbst die Expert:innen auf dem Podium können darauf keine eindeutige Antwort geben: Dagmar Hoffmann ist Professorin für Medienwissenschaft und Gender Media Studies an der Universität Siegen. Unter anderem hat sie Menschen bei der alltäglichen Nutzung smarter Speaker innerhalb der eigenen vier Wände begleitet. Ein Ergebnis: Für viele habe die IoT-Technologie eher Gimmick-Charakter. „Es wird oft eher als Spielerei empfunden oder auch als Komfort.“
Das Vertrauen in die Datensicherheit habe je nach Anbieter geschwankt. „In den Narrationen dominiert so etwas wie ein pragmatischer Fatalismus“, so Hoffmann. „Ich weiß um die Problematiken eines gewissen Unternehmens, aber es hat für mich individuell nicht die Konsequenz, dass ich das Gerät wieder aus dem Haushalt verbanne.“ Ein weiteres Muster sei die Denkweise „Nothing to hide, nothing to fear“. Vermeintlich habe man nichts zu verbergen im eigenen Haushalt.
Allerdings habe dieser eher spielerische Ansatz auch dazu geführt, dass die Tech-Konzerne ihre vormals großen Gewinnerwartungen korrigieren mussten. So habe sich etwa das System Alexa von Amazon schlicht nicht als Medium etabliert, über das Nutzer:innen im großen Stil Waren und Dienstleistungen einkaufen wollen. Der Vormarsch generativer KI bringe nun abermals frischen Wind in die Branche und schaffe neue Dynamiken. „Das wird für uns natürlich spannend zu beobachten.“

Stereotype im neuen Gewand?
Ein weiterer Diskussionspunkt, den auch der Film aufgreift, war die Frage: Wie sehen wir unser digitales Gegenüber eigentlich? Als gesichtslosen Apparat? Als Roboterbutler? Oder als das digitale Äquivalent einer Frau, die im Haushalt unliebsame Aufgaben für männliche User übernimmt? In vielen Fällen scheint es zumindest so, als würde die Technik althergebrachte Geschlechterstereotypen widerspiegeln: Siri, Cortana, Alexa… Ist es ein Zufall, dass viele der Systeme Frauennamen tragen? In Japan gebe es gar eine smarte Assistenz, visualisiert als weibliche Manga-Figur, die sich direkt an eine Zielgruppe junger alleinstehender Männer richtet und sie servil mit „Meister“ anspricht, umreißt Dr. Maximilian Waldmann.
„Die Maschinen sozialisieren uns, wir sozialisieren sie aber auch mit verschiedenen Interaktionspraktiken.“ Als Medienpädagoge forscht er an der FernUni zu Ungleichheitsverhältnissen digitaler Kultur. Bestehende Machtverhältnisse im digitalen Raum sieht er nicht als unverrückbar an: So stellte er unter anderem ein alternatives Sprachmodell vor, das darauf trainiert ist, progressive, intersektionale Sichtweisen zu vertreten und ungleiche Machtstrukturen zu hinterfragen. „Bildungswissenschaftlich würde ich immer auch auf den gesellschaftlich sozialen Hintergrund verweisen“, betont Waldmann. „Denn nur davor können wir solche Systeme verstehen – und uns Gedanken darüber machen, wie man das Geschlechterskript in eine Nichtpassung überführt, das System sprengt.“
Filme als wissenschaftliches Medium
Das Gespräch wechselte auch auf eine Metabebene, in der die Expert:innen den Nutzen des Filmprojekts bewerteten. „Ich finde Wissenschaftskommunikation klasse und sie unbedingt notwendig“, unterstrich Jan Groos. Er ist als Assoziierter mit dem Forschungsschwerpunkt digitale_kultur verbunden und betreibt den Podcast Future Histories. Groos hob die besondere Zugänglichkeit des Films hervor. Axel Nattland wiederum schlug die Brücke zurück zur Lehre. „Uns ist es daran gelegen, innovative Formate in die Lehre zu bringen“, so der Leiter des Bereichs „Educational Technology und Medienproduktion“ im ZLI. Er betont, dass es mit Theorie|Apparate gelungen sei, entsprechende Produktionen „nicht nur zur Wissenschaftskommunikation, raus in eine Öffentlichkeit, zu denken, sondern auch gleichzeitig so, dass sie in der Lehre verwendet werden können – auf unterschiedlichen Niveaus.“