Conny Ebert

Mit Lebensmut ins Fernstudium

Conny Ebert sitzt am Tisch an einem Fluss Foto: Conny Ebert
Conny Ebert bei einem Besuch in Nürnberg

Conny Ebert (41) stammt aus Wismar. Dort legte sie 1998 ihr Abitur ab – mit einer eins vor dem Komma. Direkt im Anschluss begann sie im Rahmen einer Ausbildung zur Regierungsinspektoranwärterin ein Studium an der Fachhochschule für öffentliche Verwaltung und Rechtspflege. Noch vor dem Abschluss musste sie abbrechen.

Aufgrund einer genetischen Erkrankung verlor sie mit 22 Jahren vollständig ihr Gehör. Sie orientierte sich neu und absolvierte eine Ausbildung zur Bürokauffrau in einer Einrichtung zur beruflichen Rehabilitation. Parallel lernte sie Gebärdensprache. In einem Berufsverband der Gebärdensprachdozent:innen engagiert sie sich seit Langem ehrenamtlich und unterstützt den Verband bei organisatorischen Angelegenheiten. Mittlerweile ist Conny Ebert zusätzlich zu ihrer Taubheit auch sehbehindert.

Barrierearmer Zugang zum Wunschstudium

So wenig, wie sie den Mut verloren hat, schwand der Wunsch, nochmal zu studieren. Seit 2019 studiert sie an der FernUniversität in Hagen im Bachelor Politikwissenschaft, Verwaltungswissenschaft, Soziologie (PVS) und bekommt ein Deutschlandstipendium – aufgrund ihrer bisherigen Leistungen mit jeweils einer eins vor dem Komma.

„Ich habe das Fernstudium als große Chance gesehen“, beschreibt sie. „An der FernUni kann ich zeitlich flexibel studieren, von zu Hause aus. Viele – aber nicht alle – der Kursinhalte sind verschriftlichte Materialien und somit zugänglich für mich.“

Allerdings lief der Studienstart im ersten Semester ziemlich „holprig“ und sie musste sich regelrecht „durchbeißen“: „Ich hatte viel zu tun. Nachteilsausgleiche für das Studium beantragen und organisieren, die passenden Ansprechpartner:innen finden und Mails an sie schreiben, Lehrende auf Barrierefreiheit hinweisen und so weiter“, erinnert sie sich. Mit Lehrenden und Modulbetreuer:innen konnte sie sich allerdings gut verständigen. Die wiederum tauschten sich mit der Abteilung für Medienmanagement und dem Bereich für barrierefreie Medien an der FernUniversität aus.

Ich habe mich als Mentorin angemeldet, um Studienanfänger:innen zu unterstützen – damit deren Start weniger holprig verläuft.

Conny Ebert

Untertitel und Transkripte

Gemeinsam mit dem heutigen Zentrum für Lernen und Innovation (ZLI) kümmern sie sich um die barrierearme Aufbereitung der Studienmaterialien – und untertiteln etwa Online-Vorlesungen. „Lautsprachliche Videos kann ich ohne Untertitelung oder ohne schriftliche Transkripte nicht nutzen.“ Viel Unterstützung hat Conny Ebert bisher durch die Hochschulbeauftragte für behinderte und chronisch kranke Studierende erfahren. „Diese Anlaufstelle ist eine große Hilfe bei Fragen“, ist Ebert froh.

Womit sie vor allem zu kämpfen hatte: „Ich konnte in den ersten Semestern an keinem einzigen Seminar teilnehmen. Es gab keine Regelungen der Kostenübernahme für Dolmetscher:innen.“ Inzwischen gibt es den Hilfsmittelfonds der FernUni. Darüber können derzeit Kosten für Dolmetscher:innen bei einigen Veranstaltungen bezahlt werden. Auf diese Weise konnte die 41-Jährige auch am virtuellen Treffen zum Deutschlandstipendium im Mai teilnehmen. „Ich hoffe stark, dass der Fonds langfristig erhalten bleibt.“

Erfahrungen mit politischen Strukturen

Vor allem haben Conny Ebert persönliche Erfahrungen darin bestärkt, ein Studium der Politikwissenschaft aufzunehmen. „Ich hatte vor einigen Jahren mehrere OPs mit längeren stationären Behandlungen. Zu dieser Zeit war unklar, wer die Kosten für Dolmetscher:innen übernimmt: Krankenhaus oder Krankenkasse“, berichtet sie. Infolgedessen nahm sie zu einem Abgeordneten des Bundestages Kontakt auf, um eine Klarstellung der gesetzlichen Regelung zu erreichen. Sie setzte sich dafür ein, dass taube Patient:innen zukünftig weniger Organisationsstress haben und sich auf ihre Genesung konzentrieren können. „Durch dieses Engagement verstärkte sich mein Interesse an politischen Prozessen und Strukturen und ich begann das Studium.“

Kontaktadressen für barrierearmes Studienmaterial

Mentorin zum Studienanfang

Inhaltlich interessiert sie vor allem die politische, aber auch wirtschaftliche und gesellschaftliche Entwicklungen in der Region Lateinamerika. Ebenso spannend findet sie digitale politische Beteiligungsformen und die Auswirkungen des digitalen Wandels auf die Demokratie. Außerdem ist sie ein „Mathefreak“, wie sie über sich urteilt – und nimmt noch das Modul zu quantitativen Methoden der Sozialwissenschaften in ihre Favoritenliste auf.

Sich für andere stark zu machen und ihre Erfahrungen weiterzugeben, führt sie an der FernUni fort. Im Rahmen des neuen Angebots zum Einstieg ins Fernstudium studyFIT gibt es das Programm „Peer-Mentoring für Studierende Behinderung und/oder gesundheitlicher Beeinträchtigung“. Zum Wintersemester 2021/22 geht es los: Neue Studierende bilden für ein Jahr ein virtuelles Tandem mit einem studienerfahrenen Kommilitonen oder einer studienerfahrenen Kommilitonin. „Ich habe mich als Mentorin angemeldet, um Studienanfänger:innen zu unterstützen – damit deren Start weniger holprig verläuft“, hofft Ebert.

  • Das Angebot richtet sich an Studierende in der Studieneingangsphase oder bei Wiedereinstieg in das Fernstudium mit einer Behinderung und/oder einer chronischen Erkrankung, deren Anteil bei rund zwölf Prozent liegt. Interessierte Mentor:innen können das Programm ab dem 3. Semester unterstützen. Im Rahmen des Projekts gehen Studierende in der Studieneingangsphase bzw. im Wiedereinstieg für die Dauer eines Jahres eine (digitale) Tandembeziehung mit einem studienerfahrenen Kommilitonen oder einer studienerfahrenen Kommilitonin ein.

    „Die Hilfe beinhaltet, die Neueinsteigenden auf Ansprechpersonen hinzuweisen, ihnen Anlaufstellen zu nennen oder in Prüfungsphasen zu unterstützen “, fasst Noëmi Gemicioğlu zusammen. Sie koordiniert das Mentoring-Programm im Rahmen von studyFIT und wird die Tandems eng begleiten.

    Auf ihre neue Rolle als Mentee bzw. als Mentor:in werden die Teilnehmenden in einem Workshop ausreichend vorbereitet. „Wichtig ist uns auch, das Thema Nähe-Distanz zu klären und entsprechende Grenzen für beide Seiten aufzuzeigen“, ergänzt Gemicioğlu. Aktuell werden interessierte Mentor:innen gesucht, die ebenfalls Erfahrungen mit einer Behinderung und/oder gesundheitlichen Beeinträchtigung mitbringen.

Teilhabe durch Deutschlandstipendium

Ihr selbst hilft das Deutschlandstipendium. „Es ist eine große Auszeichnung für mich“, freut sie sich. „Mit der finanziellen Unterstützung kann ich mich einerseits stärker auf mein ehrenamtliches Engagement konzentrieren. Andererseits kann ich durch das Stipendium Online-Kurse in Schriftform externer Anbieter:innen nutzen.“

Gern würde sie auch an zusätzlichen Veranstaltungen mit Dolmetscher:innen teilnehmen, etwa an einem lokalen Stammtisch des Absolventenkreises der FernUni oder an den „Hagener Soziologietagen“. „So könnte ich mehr Kontakte knüpfen und mir ein Netzwerk aufbauen.“ Sie denkt noch weiter und hat sich zum Ziel gesetzt, Seminare zur Gebärdensprache und Kultur tauber Menschen an der FernUniversität und in den Regionalzentren zu organisieren. An Energie fehlt es Conny Ebert nicht.

Stand: August 2021