Kirstin ter Jung
Auf Du und Du mit historischen Figuren
Foto: Kirstin ter Jung
Geschichte war immer schon Teil ihres Lebens – aber erst etwas später hat sie darin ihren Weg gefunden: Kirstin ter Jung, 56 Jahre alt, studiert an der FernUniversität in Hagen im Master Geschichte, mit großer Begeisterung für Fach und FernUni. „Geschichte ist mein Herzensfach. Quellen finde ich hochspannend“, sagt sie. Für Kirstin ter Jung ist die FernUniversität mehr als ein Ort des Lernens. „Ich bin ein großer Fan der FernUni. Für mich ist das eine demokratische Möglichkeit zum Studium. Die FernUni sorgt für Chancengerechtigkeit.“ Auch als sie chronisch erkrankte, konnte sie ihr Studium fortsetzen – dank der Strukturen, mit der ihre Lebensrealität berücksichtigt wird.
Beruf und Studium in Teilzeit
Dabei hatte sie ihr Geschichtsstudium schon einmal begonnen – klassisch an der Ruhr-Universität Bochum. Doch eine berufliche Perspektive ergab sich damals nicht. Also wechselte sie in die Filmbranche, wo sie beim WDR im Landesstudio Dortmund als Mediengestalterin arbeitet. „Das Leben kam dazwischen“, sagt sie. „An der FernUni kann ich beides verbinden. Das ist eine super Möglichkeit zu studieren.“ In ihrer Freizeit ist stets die FernUni dran. Kein Urlaub findet ohne Studienbriefe oder Laptop statt, um an einer Hausarbeit zu schreiben. „Im Urlaub müssen zudem alle möglichen Museen und Gedenkstätten zu den Themen Kolonialismus und Nationalsozialismus besucht werden“, lacht sie. „Fragen sie mal meine Familie…“
Tatsächlich nutzt Kirstin ter Jung ihre Reisen regelmäßig, um historische Kontexte zu erkunden und fährt auch in Archive vor Ort: Im Stadtarchiv Brilon war sie während eines Urlaubs im Sauerland, um über das internationale Friedenstreffen 1931 auf dem Borberg zu recherchieren, als über tausend Menschen zur dortigen Wallfahrtskapelle kamen – pro französisch-deutscher Völkerverständigung, kurz vor der NS-Diktatur. Für ter Jung ist klar: „Es gibt kein Thema, das nicht spannend ist.“ Ihr Beitrag darüber wird im Sammelband „Kolonialismus dezentriert. Netzwerke, Strukturen, Erinnerungskulturen im Sauerland“ erscheinen.
Kolonialgeschichte ist auch Frauengeschichte
Besonders interessiert ist sie an Kolonialgeschichte – auch weil sie zeigt, wie globales Geschehen ins Lokale hineinwirkt und dabei ganz konkrete Spuren hinterlässt. Als im Wintersemester 2018 ein Seminar zu Hagens kolonialer Vergangenheit angeboten wurde, nahm sie teil. Aus dem Seminar „Hagen postkolonial“ entstand ein Sammelband mit Beiträgen von Studierenden. Daraus hat sich ein Projekt zum forschenden Lernen entwickelt.
Zudem hat Kirstin ter Jung einen Aufsatz in der Zeitschrift Forum Geschichtskultur Ruhr veröffentlicht, die zwei Mal jährlich herausgegeben wird u.a. vom Deutschen Bergbau-Museum Bochum, Forum Geschichtskultur an Ruhr und Emscher, Regionalverband Ruhr/Referat Industriekultur, Ruhr Museum. Darin beleuchtet sie die Aktivitäten der Hagener Abteilung des Frauenbundes der Deutschen Kolonialgesellschaft seit 1910, eine der größten und aktivsten in Deutschland. Ihr Blick richtet sich auf die Frauen, die sich damals für die „koloniale Sache“ einsetzten und damit neue gesellschaftliche Handlungsspielräume gewannen – ohne sich von tradierten Geschlechterrollen und dem rassistisch-imperialen Denken ihrer Zeit zu lösen.
Foto: Kirstin ter Jung
Ich bin ein großer Fan der FernUni. Für mich ist das eine demokratische Möglichkeit zum Studium. Die FernUni sorgt für Chancengerechtigkeit.
Kirstin ter Jung, Master GeschichteGesellschaftliche Teilhabe
„Trotz des rassistischen Weltbilds, das die Frauen hatten, kann ich ihre Motivation nachvollziehen“, sagt sie. „Sich zu engagieren, hat sie gesellschaftlich und politisch sichtbar gemacht, bis dahin waren sie auf karitatives Engagement beschränkt.“ Die Frauen organisierten Kolonialfeste, sammelten Spenden und knüpften Netzwerke – und bekamen wirtschaftliche Macht. „Im Vorstand waren bedeutende Hagener Familien wie Cuno, Post, Putsch, Harkort und Söding vertreten.“ Die gesellschaftliche Elite zog die ,Stars der Kolonialbewegung‘ an. Sie hielten Lichtbildvorträge in Hagen über das Leben in den deutschen Kolonien. „Dort wurden idealisierende und rassistische Bilder gezeigt.“ Sie wirkten.
Das Entsendungsprogramm nach Deutsch-Südwestafrika – heute Namibia –, über das Frauen zum Heiraten und Arbeiten in die Kolonien angeworben wurden, lief auch in Hagen an. Für die entsandten Frauen bedeutete das einen sozialen Aufstieg, „und die Deutschen demonstrierten so ihren Herrschaftsanspruch.“ Auch die propagandistische Begleitung durch eine Zeitschrift „Kolonie und Heimat“, die die Erfolgsgeschichten erzählte, wird in ihrem Beitrag thematisiert.
Für ihre Recherchen hat sie eng mit der Stadtgesellschaft zusammengearbeitet. „Ich hatte auch viel Unterstützung von Lehrenden wie Dr. Fabian Fechner und Barbara Schneider wie auch vom Stadtarchiv“, betont sie.
Lokale Führungen zum Nationalsozialismus
In ihrer Heimatstadt Schwerte bringt sie ihr Wissen zudem ehrenamtlich ein: Sie bietet Stadtführungen zum Nationalsozialismus an – ein oft verdrängtes Kapitel lokaler Geschichte. „Viele kennen die Geschichte vor der eigenen Haustür nicht. Es ist spannend zu erfahren, wie sie sich lokal abgespielt hat. Man lernt Menschen und Handlungsräume kennen und geht nach der Führung ganz anders durch die Stadt.“
Bei ihren Studien geht es Kirstin ter Jung selbst so: Sie ist „auf Du und Du“ mit den historischen Figuren. „Beim Blick zurück wird mir immer wieder bewusst, dass man die Frauengeschichte extra suchen muss, die Auswirkungen von Ereignissen auf Frauen, ihre Sichtweisen, Handlungsräume. Häufig bestehen Überlieferungslücken, außerdem hinterlassen Frauen weniger ,Ego-Dokumente‘.“
Mit dem Bewusstsein und Gespür für die vergessene oder vernachlässigte Frauengeschichte engagiert sich Kirstin ter Jung in der Schwerter Frauengeschichtswerkstatt gemeinsam mit der Gleichstellungsbeauftragten Birgit Wippermann. Sie haben an einem Projekt des Frauenrats NRW teilgenommen. „Wir haben bereits zwei FrauenOrte in der Stadt installiert – für die jüdische Schriftstellerin und Lokalpolitikerin Luise Elias sowie für die Lehrerin und Stadtverordnete Sophie Ludwig.“ Die Gedenktafel für die Frauen hängen im Rathaus: Beide wurden 1919 als die ersten Frauen ins Schwerter Stadtparlament gewählt und engagierten sich für Emanzipation und Demokratie.
Stand: Dezember 2025
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Die Zeitschrift „Forum Geschichtskultur Ruhr“ (Redaktion: Franz-Josef Jelich, Susanne Abeck und Dr. Uta C. Schmidt) wird zwei Mal jährlich gemeinsam herausgegeben vom Deutschen Bergbau-Museum Bochum, Forum Geschichtskultur an Ruhr und Emscher, Regionalverband Ruhr/Referat Industriekultur, Ruhr Museum, Stiftung Geschichte des Ruhrgebiets und Stiftung Industriedenkmalpflege und Geschichtskultur. Die Zeitschrift bietet aktuelle Informationen aus der ‚Geschichtsszene’ der Region und befasst sich in einem übergreifenden Schwerpunkt mit Fragen zur Ruhrgebietsgeschichte.
In der Ausgabe 01/2025 ist die FernUniversität mehrfach vertreten: Neben Kirstin ter Jungs Beitrag über den kolonialen Frauenbund thematisiert Dr. Fabian Fechner (Lehrgebiet Geschichte Europas in der Welt) die Ausstellung in der UB „Fernes Hagen. Kolonialismus und wir“. Der Audiorundgang für das Hagener Stadtgebiet „Colonial tracks“ wird ebenso erwähnt wie eine Ausstellung im Freilichtmuseum Hagen und die Ausstellung auf Zeche Zollern in Dortmund, in die auch einige Hagener Forschungsergebnisse geflossen sind.