Zwischen Mensch und Maschine: Ethik im Dialog

Prof. Takashi Kitano ist Experte für Technikethik und zu Gast am Forschungsschwerpunkt digitale_kultur. Was können Japan und Deutschland philosophisch voneinander lernen?


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Wissenschaftliche Partner und befreundete Kollegen: Prof. Takashi Kitano (li.) und Prof. Thomas Bedorf

Neue Technik bringt Innovationen und bisweilen Fortschritte – gleichzeitig birgt sie oft auch Risiken und Gefahren. Diese Gemengelage zu analysieren und abzuwägen, das Für und Wider neuer Technologien philosophisch zu reflektieren, ist Aufgabe einer Technikethik. Zum Beispiel bringt ein Atomkraftwerk emissionsfreien Strom für tausende Haushalte und Fabriken; dennoch sind Umweltbelastungen durch radioaktiven Abfall und die Gefahren von Havarien enorm. Wie ist die Technologie angesichts dessen zu bewerten? Experte für solche philosophischen Fragen ist Prof. Dr. Takashi Kitano. In Toyota, Japans Automobilstadt, forscht er zu Technikethik und Technikphilosophie. Derzeit ist er zu Besuch an der FernUniversität in Hagen bei Prof. Dr. Thomas Bedorf, Philosoph und Mitglied des Sprecher:innen-Teams des Forschungsschwerpunkts digitale_kultur.

Schon seit langem hat Takashi Kitano eine enge Verbindung zu Deutschland: Von 2000 bis 2003 war er Stipendiat an der Ruhr-Universität Bochum. Hier widmete er sich vor allem der philosophischen Strömung der Phänomenologie – und lernte auch seinen befreundeten Kollegen Thomas Bedorf kennen. Seitdem ist er immer wieder für verschiedene Forschungsaufenthalte nach Deutschland zurückgekehrt.

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Gemeinsam erkunden die beiden Philosophen die innovative Technik im Immersive Collaboration Hub (ICH) der FernUniversität. Im Bild eine interaktive Projektionsfläche aus Sand.

Keine Technik ohne Verantwortung

Unter anderem sammelte der Wissenschaftler Innenansichten im Verein Deutscher Ingenieure (VDI), der sich stark mit den ethischen Folgen technischer Entwicklung auseinandersetzt. Dessen Anspruch, philosophische Sichtweisen selbstständig mitzuberücksichtigen und zu reflektieren, sei weltweit einzigartig. „Nach dem Zweiten Weltkrieg hat der VDI als Reflexion über das fachlich isolierte Denken von Ingenieuren ein Ausschuss gegründet, um den Austausch zwischen Vertretern der Ingenieure und Forschern anderer Wissenschaften und der Philosophie zu erleichtern“, erklärt Kitano. Als Lehre aus der NS-Zeit mit ihrer entgrenzten Tötungsmaschinerie werden philosophische Gedanken nun frühzeitig in technische Entwicklungen miteinbezogen.

Auch über den VDI hinaus ist die ethische Perspektive auf Technik institutionell eingebettet in Deutschland: So berät etwa das Büro für Technikfolgen-Abschätzung beim Deutschen Bundestag (TAB) als unabhängige wissenschaftliche Einrichtung das Parlament, wenn es um Fragen des technischen Wandels geht. „Die Idee habe ich auch in Japan vorgestellt“, berichtet der Forscher von seiner interkulturellen Arbeit. In seiner Heimat gebe es keine vergleichbare Institution, urteilt Kitano, in der Regel seien Diskurse von Machtinteressen bestimmt. „Wie kann man die Politik unabhängig beraten – und auch die Bürger dabei einbeziehen?“ Diese Frage treibt ihn mit Blick auf Japan um.

Relationen statt Individuen

Umgekehrt gibt es aber auch aus europäischer Sicht viel zu lernen von Japan, zum Beispiel, wenn es um den Umgang mit humanoiden Robotern geht. „Wir denken nicht individualistisch, sondern sehen auf das Verhältnis zwischen Menschen und Maschinen“, erörtert Kitano. Während in der europäischen Denktradition seit der Aufklärung Individuen im Mittelpunkt stehen, sind es in Japan Beziehungen. So wird auch ein Roboter weniger als konkurrierendes Individuum wahrgenommen, als Gegner oder Diener des Menschen, sondern viel interaktiver: als Teil einer solchen Beziehung.

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Anderes Verhältnis zu Robotik: In Japan kommen z.B. in der Altenpflege Roboter wie „Paro“ zum Einsatz, die warm, weich und freundlich anmuten.

„Wärme“ zulassen?

Das erlaubt eine offenere Haltung in der Robotertechnik: „Bei uns kommt der therapeutische Roboter ‚Paro‘ in der Pflege zum Einsatz. Er hat ein hübsches Gesicht und fühlt sich bei Berührung warm und weich an“, nennt der Forscher ein Beispiel. „Wir behaupten natürlich nicht, dass ein Roboter Gefühle hätte oder Liebe empfindet. Trotzdem verstehen wir Roboter in Japan vielleicht eher als eine Art Haustier.“ Mit seinen analytischen Vergleichen bringt Takashi Kitano auch frische Perspektiven in den Forschungsschwerpunkt digitale_kultur. „Ein Mensch existiert nicht allein, sondern immer in der Gemeinschaft, in einem Umfeld und Verhältnis“, ist sich der Professor sicher. Im Kontext der uns umgebenden Digitalität und Technik brauche es daher eine „neue relationale Ethik“. Dazu will er beitragen: „Zwischen Japan und Europa gibt es Kulturunterschiede“, fasst er zusammen. „Ich möchte dabei helfen, sie zu überbrücken. Wir können gemeinsam denken, verstehen – und teilweise auch kontrollieren.“

 

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Benedikt Reuse | 09.09.2025