Psychologie: Neuer Chancengerechtigkeits-Preis

Die Fakultät für Psychologie prämierte erstmalig zwei Abschlussarbeiten mit Gender- und Diversitätsbezug. Das Preisgeld stiftete die Gesellschaft der Freunde der FernUniversität.


Portraitbilder von zwei Frauen Foto: Timo Schäfers/privat
Ausgezeichnete Absolventinnen im psychologischen Fernstudium: Marina Utzel-Schäfers und Julia Beideck (re.)

Wissenschaft trägt Verantwortung. Ob mit der Wahl des Gegenstands, der Zusammenstellung eines Teams oder der Kommunikation von Ergebnissen – Forschung ist immer verknüpft mit gesellschaftsrelevanten Entscheidungen. Gut sichtbar wird das am Themenkomplex Gender-Gerechtigkeit, Chancengleichheit und Diversität: Hier gibt es noch viele Leerstellen, die es inhaltlich zu füllen gilt. Außerdem muss sich die Wissenschaftslandschaft diesbezüglich selbst weiterentwickeln. Darin erkennt auch die Fakultät für Psychologie der FernUniversität eine wesentliche Aufgabe – und hat einen eigenen Plan zur strukturellen Förderung von Chancengerechtigkeit in Forschung und Lehre bis 2024 entwickelt. Im Zuge dessen prämierte sie nun erstmals zwei Psychologie-Studentinnen für ihre herausragenden Abschlussarbeiten mit Gender- und Diversitätsbezug: Julia Beideck für ihre Master- und Marina Utzel-Schäfers für ihre Bachelorarbeit. Die jeweils 500 Euro für den Chancengerechtigkeits-Preis stifteten die Gesellschaft der Freunde der FernUniversität (GdF).

Dekanin Prof. Dr. Ingrid Josephs zeichnete die Gewinnerinnen mit Zustimmung der Gleichstellungsbeauftragten der Fakultät aus. Eingereicht wurden die Vorschläge von den wissenschaftlichen Betreuenden. Infrage kamen dabei Arbeiten aus dem vorangegangenen Winter- und Sommersemester, die bis zum Oktober 2022 abgeschlossen und benotet worden waren.

Forschung zu „Victim Blaming“

Marina Utzel-Schäfers ist 32 Jahre alt und lebt in NRW. Den Chancengerechtigkeits-Preis erhielt sie für ihre Bachelorarbeit „Geschlechtsbasierte Gewalt – Ein systematisches Literaturreview“. Hierin untersuchte sie Erklärungen, warum Frauen nach Vergewaltigungen nur selten Anzeige gegen den Täter erstatten. Ein Schwerpunkt lag dabei auf sogenanntem „Victim Blaming“, bei dem Opfern unterstellt wird, für ihre Vergewaltigung seien sie selbst verantwortlich.

  • In ihrer Abschlussarbeit widmet sich die Autorin Marina Utzel dem hochaktuellen und globalen Thema „Geschlechtsbasierte Gewalt“ und untersucht die Frage, warum nur ein geringer Teil der Frauen, die zum Vergewaltigungsopfer wurden, die erfahrene Vergewaltigung zur Anzeige bringen. Schwerpunktmäßig untersucht Frau Utzel das Phänomen des sogenannten „Victim Blaming“, bei welchem Außenstehende dem Vergewaltigungsopfer die Schuld und Verantwortung für die eigene Viktimisierung zuschreiben. Über ein systematisches Literaturreview mit aktuellen Forschungsdaten identifiziert Frau Utzel drei Charakteristika, die mit „Victim Blaming“ einhergehen, darunter „Akzeptanz von Vergewaltigungsmythen“ (z.B. „Sie wollte es/hat es provoziert!“), „Belief in a Just World“ (bzw. der Glaube, dass die Welt ein gerechter Ort sei und jede Person das bekäme, was sie verdiene) und „Gender Role Traditionalism“ (bzw. die Befürwortung traditioneller Geschlechterrollen). Insbesondere „Akzeptanz von Vergewaltigungsmythen“ stellte sich als nicht zu unterschätzender Prädiktor für „Victim Blaming“ heraus. Mit ihrer Arbeit leistet Marina Utzel einen wichtigen Beitrag in der wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit dem Thema „Victim Blaming“ sowie der Bekämpfung von Geschlechtsbasierter Gewalt.

    Dr. Stephanie de Oliveira Laux

Nach dem Psychologie-Bachelor an der FernUniversität schob Utzel-Schäfers rasch ihren Master nach. Im Beruf unterstützt sie gerne andere Menschen: „Mittlerweile habe ich mein Studium abgeschlossen, bin M.Sc. Psychologin und als Sexual- und Paartherapeutin in eigener Praxis selbstständig tätig. Zudem bin ich in Teilzeit als Psychologin in einer Rehaklinik angestellt.“

Als nächstes strebt die FernUni-Absolventin eine Promotion an. Die nötige Disziplin hierfür hat sie längst unter Beweis gestellt – nicht erst mit ihrem Fernstudium: „Ich habe davor an der Georg-August-Universität Göttingen Jura und Sozialwissenschaften studiert und mit einem Zwei-Fächer-Bachelor of Arts abgeschlossen. Eine Affinität zu diversitätsbezogenen Fragestellungen habe ich nicht zuletzt auch dadurch, denke ich.“

Hände emfpangen Reisspende Foto: hadynyah/E+/GettyImages
Güter wie Bildung und Einkommen sind weltweit extrem ungleich verteilt. Im Kampf dagegen leistet auch studentische Forschung einen Beitrag.

Unabhängigkeit wichtig

Persönlich liegt es Utzel-Schäfers am Herzen, in allen Lebenslagen unabhängig zu bleiben. Selbstständige Arbeit und lebenslanges Lernen haben deshalb einen besonders hohen Stellenwert für sie. „Für mich war ein Fernstudium abseits von Anwesenheitsverpflichtungen und ohne Ortsgebundenheit optimal: Maximale Selbstverantwortung, aber eben auch maximale Unabhängigkeit und Flexibilität.“

Blick über den Tellerrand

Was Chancengerechtigkeit angeht, sieht die Psychologin ihr Fach in der Pflicht, offen zu bleiben: „Meiner Meinung nach ist es in der Psychologie – so wie in jedem anderen Bereich auch – wichtig, über den altbekannten Tellerrand zu schauen. Erst recht, wenn es um Diversität, Vielfalt, Chancen und gesellschaftliche Entwicklungen geht.“ Darum plädiert sie auch für fächerübergreifenden Austausch: „Dass auch diversitätsbezogene Fragestellungen aus einem psychologischen Blickwinkel untersucht werden, beziehungsweise dieser in die Untersuchungen mit einfließt, ist wichtig und trägt zu einem umfassenden Verständnis sowie zur Sensibilisierung bei.“

Globale Ungleichheit mindern

Julia Beideck erhielt den Preis für ihre Masterarbeit „Handeln gegen globale Ungleichheit: Die Rolle von individuellem Ungerechtigkeitserleben und Attributionen von Ungleichheit“. Mit einem Online-Experiment ging sie unter anderem der Frage nach, inwiefern Infos zu globaler Ungleichheit mit bestimmten Zuschreibungen und der Spendenbereitschaft zusammenhängen. Außerdem interessierte sie, welche Rolle das Ungerechtigkeitsempfinden der Testpersonen spielt. Indem sie individuelles Verhalten untersucht, trägt sie dazu bei, eine Lücke zu schließen: „Während die Forschung zu den Mechanismen der Aufrechterhaltung globaler Ungleichheit auf der Ebene der Institutionen und Staaten bereits fortgeschritten ist, befindet sich die Forschung auf der individuellen Ebene noch in den Anfängen.“

  • Mit der Agenda 2030 hat sich die Weltgemeinschaft 17 Ziele (Sustainable Development Goals, SDGs) für eine sozial, wirtschaftlich und ökologisch nachhaltige Entwicklung gesetzt. Dem Ziel 10 für nachhaltige Entwicklung zufolge soll die Ungleichheit in und zwischen Ländern verringert werden, so dass alle Menschen unabhängig von Alter, Geschlecht, sexueller Orientierung, Behinderung, Ethnizität, Religion, Herkunft oder sozialem und wirtschaftlichem Status die gleichen Möglichkeiten haben. Güter wie Bildung und Einkommen sind jedoch nach wie vor ungleich verteilt und globale Krisen wie die Corona-Pandemie haben die Ungleichheit teils noch verstärkt. Um die Ungleichheit zu reduzieren sind Maßnahmen auf unterschiedlichen Ebenen notwendig. Ein Verständnis zugrundeliegender psychologischer Prozesse kann hilfreich sein, um Menschen zu motivieren, sich für die Reduzierung sozialer Ungleichheit einzusetzen. Hier setzt die Masterarbeit von Julia Beideck mit dem Titel „Handeln gegen globale Ungleichheit: Die Rolle von individuellem Ungerechtigkeitserleben und Attributionen von Ungleichheit“ an. In ihrer Arbeit geht Julia Beideck der Frage nach, wie Informationen hinsichtlich der Ursachen von globaler Ungleichheit sich auf die Attributionen globaler Ungleichheit und das Spendenverhalten auswirken. Weiterhin wird die Rolle von eigenen Ungerechtigkeitserfahrungen analysiert. Zur Untersuchung dieser Frage führte Julia Beideck im Rahmen ihrer Masterarbeit ein präregistriertes Online-Experiment durch. Die Arbeit adressiert ein aktuelles und relevantes Thema und zeichnet sich durch ein präzises und der Fragestellung angemessenes methodisches Vorgehen sowie eine durchgehend sehr stringente Argumentationsführung aus.

    Prof. Dr. Anette Rohmann

Auch Beideck hat neben ihrem FernUni- bereits einen zweiten Abschluss im Rücken: In Köln studierte sie Volkswirtschaftslehre. Über die Wertschätzung studentischer Leistungen, die mit dem Preis verbunden ist, freut sie sich sehr – und fühlt sich angespornt: „Da mir das Thema ‚globale Ungleichheit‘ auch persönlich am Herzen liegt, freut mich die Auszeichnung einer Masterarbeit zum Thema ganz besonders und motiviert zusätzlich, mich auch weiterhin mit der Thematik zu beschäftigen.“ Nach ihrem erfolgreichen Abschluss an der FernUniversität strebt auch sie die Promotion an – als Doktorandin an der Universität zu Köln.

Persönliches Engagement

Auch abseits vom Campus setzt sich die 30-Jährige seit langem für mehr globale Gerechtigkeit ein: So arbeitete sie zum Beispiel in einem Kinderheim in Palästina, half in einer Geflüchteten-Unterkunft in Dresden mit oder leitete das Hochschulteam des sozialunternehmerischen Studierendennetzwerks Enactus an der Universität zu Köln und setzte mit anderen Mitgliedern ein Hilfsprojekt in Kambodscha um. In ihrem Portrait auf unserer Webseite erzählt sie mehr über ihr Engagement.

 

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Benedikt Reuse | 19.01.2023