Dem Sterben einen Platz im Leben geben

Die Sterbehilfe muss gesetzlich neu geregelt werden – aber wie? Dazu diskutierte an der FernUniversität ein hochkarätig besetztes Podium mit vielen Gästen.


Die Rektorin, Prof. Dr. Ada Pellert, spricht an einem Rednerpult. Foto: FernUniversität
FernUni-Rektorin Prof. Ada Pellert eröffnete die Podiumsdiskussion mit einem Grußwort.

„Wir werden alle sterben.“ Mit diesem Satz setzte der Leiter der Aids-Hilfe Hagen, Andreas Rau, den Ton für eine Diskussionsrunde zur Sterbehilfe an der FernUniversität in Hagen. Denn hier sollte offen über ein Tabuthema gesprochen werden: Die Unterstützung eines Menschen bei seinem Suizid. Rau ergänzte: „Es ist eine banale Erkenntnis. Die man aber laut aussprechen kann und sollte.“ Und stieß damit in den voll besetzten Publikumsreihen auf Zustimmung. Denn viele der interessierten Zuhörenden sind selbst oder mittelbar, durch Angehörige und Freundinnen und Freunde, mit dem Thema Sterbehilfe konfrontiert, was sich im Laufe der Veranstaltung zeigte. 80 Gäste waren der Einladung der FernUniversität in Kooperation mit der Aids-Hilfe Hagen gefolgt.

Eine schwierige Entscheidung

Zu Beginn der Veranstaltung verdeutlichte Prof. Dr. Ada Pellert, Rektorin der FernUniversität, ebenfalls die Brisanz der Debatte: „Wir müssen als Gesellschaft immer mehr entscheiden, was Generationen vor uns scheinbar vorgegeben war: Wann das Leben beginnt, wann es endet. Und ich finde es wichtig, dass wir uns dieser Entscheidung stellen, und uns als Gesellschaft fragen: Wie wollen wir das gestalten?“ Prof. Dr. Dr. Orsolya Friedrich, Leiterin des Lehrgebiets Philosophie der Medizin und Technik an der FernUniversität, ergänzte diese Frage mit zwei Thesen aus ihrem Forschungsgebiet: „Die einen vertreten den maximalen Lebensschutz und sehen Leben und Tod als ‚gottgegeben‘. Die andere Seite sagt: Zum würdevollen Sterben gehört eigenverantwortliches Sterben.“

Zwei Männer und eine Frau sitzen nebeneinander an einem Holztisch und schauen interessiert nach links. Foto: FernUniversität
Der Moderator der Podiumsdiskussion, René Röspel, Andreas Rau von der Aids-Hilfe Hagen und Prof. Orsolya Friedrich (v.l.n.r.).

Neuregelung der Sterbehilfe dringend notwendig

Die eigenverantwortliche Auffassung vom Tod teilte nicht nur das Hagener Publikum, sondern auch das Bundesverfassungsgericht. So urteilten die Richter*innen im Jahr 2020, dass das allgemeine Persönlichkeitsrecht ein Recht auf selbstbestimmtes Sterben sowie die Freiheit, sich hierfür Hilfe bei Dritten zu suchen, umfasse. Seitdem ist der Bundestag aufgefordert, die sogenannte „passive Sterbehilfe“ – also die Beihilfe zur Selbsttötung – gesetzlich neu zu regeln. Das ist bislang jedoch noch nicht passiert. Diese Untätigkeit bemängelte auch Katrin Helling-Plahr, selbst Bundestagsabgeordnete für die FDP und Vorsitzende des Rechtsausschusses ihrer Partei, in ihrem Redebeitrag: „Es darf nicht sein, dass das im Grundgesetz verankerte Recht auf selbstbestimmtes Sterben nicht transparent geregelt ist, dass ungeklärt ist, wie dieses Recht in Anspruch genommen werden könnte“, so die Juristin. Helling-Plahr selbst hat einen der drei Gesetzesentwürfe miterarbeitet, die dem Bundestag zur Neuregelung der Sterbehilfe vorliegen. Der Entwurf sieht flächendeckende Beratungsangebote für Sterbewillige sowie ärztlich gesicherten Zugang zu Medikamenten zur Selbsttötung vor. Die Politikerin machte den Anwesenden Hoffnung: Die abschließende Beratung im Plenum über die Gesetzesentwürfe sei „zügig“ geplant.

Drei Frauen sitzen an einem längeren Holztisch. Foto: FernUniversität
Eine Medizinerin und zwei Juristinnen: Uta-Sophia von Mallinckrodt-Mallach, Kathrin Helling Plahr (MdB) und Prof. Ruth Rissing-van Saan (v.l.n.r.).

Suizidprävention ebenfalls priorisieren

Zum hochkarätig besetzten Podium gehörte auch Prof. Dr. Ruth Rissing-van Saan, Vorsitzende Richterin am Bundesgerichthof a.D. Mit ihrer juristischen Expertise beantwortete sie viele Fragen aus dem Publikum, etwa zum Thema Patientenverfügungen. „Ich kann jedem nur raten, seine Behandlungswünsche aufzuschreiben – auch formlos.“, appelierte Rissing-van Saan. Und sie betonte: „Ebenso wichtig wie der gesetzliche Rahmen für den assistierten Suizid ist die Suizidprävention in Deutschland.“ Schließlich ist die Zahl der Suizidtoten in Deutschland etwa dreimal so hoch wie die der Verkehrstoten.

Mehr Demut

Uta-Sophia von Mallinckrodt-Mallach, Fachärztin für Palliativmedizin, Anästhesie und Psychotherapie, brachte einen weiteren Ansatz mit in die Debatte: „Ich wünsche mir mehr Demut bei diesem Thema. Auszuhalten, dass manche Dinge, die Patient*innen sich wünschen, einfach nicht gehen.“ Die aktuelle rechtliche Grauzone sei für sie als Ärztin belastend. Frau von Mallinckrodt-Mallach unterstrich außerdem, dass sie die meisten todkranken Patientinnen und Patienten palliativmedizinisch ausreichend betreuen könne: „Von bisher 900, die ich betreut habe, haben drei um einen assistierten Suizid gebeten. Nur ein Patient hat diesen dann auch mit einem anderen Arzt tatsächlich umgesetzt.“

Das Foto zeigt die Publikumsreihen von hinten, im Bildhintergrund ist das Podium zu erkennen. Foto: FernUniversität
80 Gäste waren an der Diskussionsrunde interessiert, der Saal war damit voll besetzt.

Dem Sterben das Tabu nehmen

Trotzdem zeigte sich bei der Podiumsdiskussion, dass das Thema Sterbehilfe eine hohe Relevanz hat. Unter der Moderation von René Röspel, ehemaliges Bundestagsmitglied der SPD, stellte das Publikum im Anschluss an die Redebeiträge über eine Stunde lang Fragen an das Podium. Es wurde noch einmal deutlich, was Andreas Rau zu Beginn der Veranstaltung betont hatte: „Das Thema Sterbehilfe gehört nicht ans Ende, sondern mitten ins Leben.“

 

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Eva Schulze-Gabrechten | 08.02.2023