Mächtig komisch

Komik und Macht – seit jeher stehen sie in einem engen Verhältnis zueinander, weiß FernUni-Forscher Nils Jablonski. Darauf blickt auch eine Tagung vom 10. bis 12. Mai in Kassel.


Gothische Dom-Statuen mit roten Pappnasen Foto: Birte Gernhardt/iStock/Getty Images Plus
Schon im Mittelalter drehten „Narrenfeste“ die Machtverhältnisse im begrenzten Rahmen um. Noch heute ist der Karneval oft politisch und ein wichtiges gesellschaftliches Ventil.

„Komik ist meist am Puls der Zeit“, erklärt Medienwissenschaftler Dr. Nils Jablonski. Worüber eine Gesellschaft lacht, verrät auch, welche Konflikte, Hoffnungen, Spannungen in ihr bestehen – ein Phänomen, mit dem sich Jablonski an der FernUniversität in Hagen schon länger befasst: „Wir haben zum Beispiel ein Seminar zu Humor im Lockdown durchgeführt. Der ganze Pandemieverlauf und die gesellschaftliche Reaktion darauf ließen sich anhand von Corona-Memes nachvollziehen.“ Kleine Witze, die helfen, mit großem Druck klarzukommen: „Komik bietet eine Entlastung von herrschenden Normen und Zwängen.“ Damit hat sie eine wichtige Ventilfunktion.

In vielen Kulturen ist das gemeinsame Lachen deshalb auch fest verankert. Ein Beispiel hierfür ist der Fasching in Deutschland. „Der Karneval war immer schon ein Mechanismus, um sich den Mächtigen zu stellen“, so Jablonski. Der Brauch ist im Kern subversiv, dennoch duldete die christliche Kirche ihn bereitwillig als eine Art Druckausgleich: „Die Kirche gesteht hier der Masse der Gläubigen zu, dass sie für eine gewisse Zeit machen kann, was sie will. Danach besteht aber wieder die Ordnung.“

Manchmal versuchen die Mächtigen sogar, das komische Brauchtum zu kapern. „Zum Beispiel bei den politischen Aschermittwochen. Hier wird die Tradition der Volkskultur instrumentalisiert.“ Eine riskante Taktik, die leicht nach hinten losgeht: „Man denke zum Beispiel an die unsägliche Karnevals-Rede von Annegret Kramp-Karrenbauer. Sie wollte lustig sein und es hat einfach nicht funktioniert“, erinnert Jablonski an einen breit diskutierten Fall. Die CDU-Politikerin hatte 2019 bei einer Fastnachtssitzung über „Toiletten für das dritte Geschlecht“ gescherzt – und dafür mehr Kritik als Lacher geerntet.

König, Narr oder beides?

Das heißt jedoch nicht, dass Politik und Komik unvereinbar sind. Im Gegenteil: „Komik ist eine große rhetorische Tugend, die sehr dabei hilft, das Wohlwollen der Zuhörenden zu gewinnen und sie auf die eigene Seite zu ziehen.“ Wie wirkungsvoll komisches Talent sein kann, zeigt derzeit ein Blick in die Ukraine: Wolodymyr Selenskyj war vor seiner Zeit als Präsident professioneller Komiker und Schauspieler.

Seinen Weg ins Regierungsamt zeichnete er in seiner international bekannten Comedy-Serie Diener des Volkes vor: Ein einfacher Geschichtslehrer steigt darin ungewollt ins Präsidentenamt auf. Dabei befasst sich die Show mit Konflikten, die das Land tatsächlich in Atem halten. „Hier hat die Realität die Fiktion eingeholt“, so der Komikforscher. „Aus Perspektive der Komikforschung ist es interessant, wie hochbrisante politische Themen als Comedy verhandelt werden.“ Den Finger auf offene Wunden legen – Komik darf das ganz unbefangen. „Gleichzeitig zeigt die Serie auch eine politische Utopie, neue Wege des Denkens.“

Portrait Foto: FernUniversität
Komikforscher Nils Jablonski

Gratwanderung zwischen den Rollen

Jablonski stellt sich aber auch die Frage: „Bis zu welchem Grad kann Komik überhaupt ein Instrument der Herrschaftsausübung sein?“ Klassischerweise steht ja der Narr mit seiner Redefreiheit dem Herrscher gegenüber, ist damit Stellvertreter der Beherrschten. Eine Doppelrolle, wie sie Selenskyj innehat, sorgt für Spannungen und eine medial gefilterte Erwartungshaltung: „Ich habe die Serie geschaut, als Selenskyj schon Präsident war. Natürlich legt man die Rollen übereinander. Ich sehe ihn, aber auch seine Figur Vasily Petrovych Goloborodko.“ Der reale Machtmensch muss sich an den Verheißungen seiner komödiantischen Kunstfigur messen lassen – eine Anforderung, die Selenskyj als Medienprofi bislang zu meistern scheint, sogar angesichts des dunklen Schattens, den der Krieg auf die Ukraine geworfen hat.

Komisch, aber nicht lustig

Zwingend im Gegensatz zueinander stehen Ernst und Komik sowieso nicht, erklärt Jablonski. Was komisch ist, muss noch lange nicht lustig sein. Deutlich wird das in der zweiten Wortbedeutung von „komisch“, eher synonym zu „seltsam“ oder „sonderbar“. Auch das sprichwörtliche „Lachen, das einem im Halse stecken bleibt“ deutet auf diese Facette hin. „Kafkas Der Process ist ein wunderbares Beispiel aus der Literatur für komisch wirkende Texte, die aber nicht in der Gattungstradition einer Komödie stehen“, so der Forscher. Franz Kafka irritiert mit seinem posthum erschienen Roman, in dem ein Mann scheinbar grundlos verhaftet wird und sich in einer völlig undurchsichtigen Bürokratie zu orientieren versucht. Trotz des düsteren Settings sehen viele darin satirische Elemente: „Der Roman wirkt wegen seines Inhalts und seiner sprachlichen Darstellung grotesk. Das ruft vielleicht kein beherztes Lachen hervor, aber regt zum Nachdenken über die Absurdität des Ganzen an.“

Tagung in Kassel vom 10. bis 12. Mai

Wie eng und vielschichtig „Komik und Macht“ zusammenhängen, das behandelt jetzt auch eine internationale Fachtagung vom 10. bis 12. Mai in Kassel, die Nils Jablonski vom Institut für Neuere deutsche Literatur- und Medienwissenschaft zusammen mit der Stiftung Brückner-Kühner in Kassel veranstaltet. In den Tagungsbeiträgen geht es unter anderem um politische Witzfiguren, Cringe Comedy, Propaganda oder gesellschaftliche Ermächtigung. Alle Interessierten sind herzlich eingeladen. Die Teilnahme an der Tagung, die unter anderem durch die Forschungsförderung der Fakultät für Kultur- und Sozialwissenschaften der FernUniversität unterstützt wird, ist kostenfrei. Den Rahmen bildet das Kasseler Komik-Kolloquium, das die nordhessische Stadt alle zwei Jahre zum Zentrum komischer Kunst macht. Alle Infos zu Tagungsprogramm und Teilnahme

 

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Benedikt Reuse | 05.05.2023