Lernort zu postkolonialer Geschichte: Ein anderer Blick auf Bilder vom Kaffee

Zwei Glasfenster machen postkoloniale Geschichte erlebbar – auch in ihren belastenden Facetten. Die FernUniversität hat dafür einen Lernort geschaffen, der sich weiterentwickelt.


Foyer mit Buntglas-Fenster und Milchglasscheibe Foto: FernUniversität
Der postkoloniale Lernort im Gebäude 3 der FernUniversität

Am 17. Oktober wird im Foyer des Gebäudes 3 auf dem Campus in Hagen das FernUni-Café eröffnet. Als Handelsware hat Kaffee in Europa eine lange Geschichte, in der der Kolonialismus eine zentrale Rolle spielt. Lange Zeit war „Kolonialwaren“ ein gängiger Oberbegriff für verschieden Genussmittel wie Kakao, Tee oder eben Kaffee, deren Rohstoffe aus dem globalen Süden stammen. An zwei Buntglasfenstern aus der früheren Hauptverwaltung der Hagener Firma Hussel, die im selben Foyer ausgestellt werden, kann man lernen, wie sich postkoloniale Geschichte bis in den Alltag einer Stadt wie Hagen im globalen Norden fortschreibt. Die Fenster stellen Szenen der Kaffeeernte in einer idealisierten Form dar, die rassistische und sexistische Stereotype bedient. Die FernUniversität hat rund um die Fenster einen postkolonialen Lernort geschaffen, der den vielschichtigen historischen und politischen Aspekten der Bilder Rechnung trägt.

Historische Objekte aus Hagener Firmenzentrale

Die Fenster wurden von dem in Düsseldorf geborenen und lange Jahre in Hagen lebenden Maler Hans Slavos in den 50er Jahren für den Sitz der Firma Hussel entworfen und vom Hagener Kunstglaser Kurt Swiatkiewicz angefertigt. Der Unternehmensgründer Rudolf Hussel, in dessen deutschlandweit sehr erfolgreichen Süßwarengeschäften auch Kaffee verkauft wurde, hatte intensive Geschäftsbeziehungen in das mittelamerikanische Land El Salvador. Die dekorative Kunst sollte seine Handelsaktivitäten in repräsentativer Form wiederspiegeln. Nach dem wirtschaftlichen Niedergang des Unternehmens Hussel, dessen Markenrechte inzwischen dem Arko-Konzern gehören, wurde die leerstehende ehemalige Firmenzentrale im Frühjahr 2020 verkauft und sollte abgerissen werden. Der Hagener Heimatbund konnte die Fenster sichern. Heute werden sie als Dauerleihgaben an zwei Stellen ausgestellt: Ein großformatiges Triptychon, das eine Kaffeeverladungsszene am Hafen abbildet, hängt heute im Café Handwerk in den Hagener Elbershallen. An der FernUni befindet sich ein Fenster, das eine stilisierte Kaffeepflanze zeigt, und ein zweites, das zwei Kaffeepflückerinnen darstellt. Sie tragen Kaffeebohnen in großen Körben auf dem Kopf. Eine der beiden indigenen Frauen ist nur mit einem Wickelrock bekleidet, ihr Oberkörper ist nackt. Die andere Frau trägt ein körperbetontes Kleid.

Milchglasscheibe macht das Fenstermotiv verschwommen. Foto: FernUniversität
Eine Milchglasscheibe bricht den „kolonialen Blick“

Idealisierte Darstellung verschleiert Ungleichheit und Abhängigkeit im Welthandel

„Das Bild der Kaffeepflückerinnen ist ein gutes Beispiel dafür, wie wirtschaftliche Ungleichheit zwischen dem globalen Norden und Süden durch Idealisierung verschleiert werden sollte“, erklärt der Historiker Dr. Fabian Fechner, der am Lehrgebiet Geschichte Europas in der Welt zum Postkolonialismus forscht. Während in Wirklichkeit die Kaffeeernte harte Arbeit sei, bei der die Arbeitskräfte auch heute noch häufig ausgebeutet würden, stelle das Glasfenster eine idyllische Szenerie dar. „Die beiden Frauen tragen keine individuellen Merkmale, sondern sind sehr klischeehaft so dargestellt, wie sich Europäer dunkelhäutige Lateinamerikanerinnen vorgestellt haben“, so Fechner weiter. „Rassistische Exotik und Erotik lenken davon ab, dass es im globalen Kaffeehandel eine starke Ungleichheit zwischen den dominanten Handelsnationen in Europa und den davon abhängigen Produktionsnationen gab.“ Die Buntglasfenster würden postkoloniale Facetten der Hagener Stadtgeschichte sichtbar machen, die heute wenig bekannt seien oder verdrängt würden.

Ausstellungssituation bricht „kolonialen Blick“

Im September 2022 wurde die Ausstellung der beiden Fenster im Gebäude 3 der FernUniversität eröffnet. Vorbereitet wurde sie vom Arbeitskreis Hagen postkolonial am Historischen Institut der FernUniversität, der von Fabian Fechner und Barbara Schneider geleitet wird, in Zusammenarbeit mit dem Hagener Heimatbund, der die Fenster als Dauerleihgabe unentgeltlich zur Verfügung stellt. Eine begleitende Texttafel erläutert die Hintergründe und stellt die realen Produktionsbedingungen bei der Kaffeeernte der idealisierten Darstellung durch Slavos‘ Kunstwerke gegenüber. Im August 2023 haben die Ausstellungsmacher:innen die Ausstellung gemeinsam mit der Antidiskriminierungs- und der Gleichstellungsbeauftragten der FernUniversität überarbeitet und erweitert. Vor das Bild mit den Kaffeepflückerinnen wurde eine halbtransparente Glasscheibe gehängt, so dass die Figuren je nach Betrachtungsweise und Lichteinfall nur schemenhaft erkannt werden können. Wer das Bild im Originalzustand betrachten möchte, muss seitlich herantreten und kann erst dann hinter die Scheibe schauen. Dieser Umgang mit Objekten im Kolonialismuskontext nennt sich dekoloniales Ausstellen. Ziel ist es, den „kolonialen Blick“ zu brechen. Denn die Verfremdung macht die rassistische und sexistische Gesellschaftsordnung sichtbar, die in den Bildern zum Ausdruck kommt. Sie lädt ein, sich irritieren zu lassen und das Bild nicht unreflektiert zu betrachten, wie es in der Entstehungszeit beabsichtigt war.

Zum postkolonialen Lernort rund um die Bilder gehören noch eine Büchervitrine, in der Interessierte wissenschaftliche Literatur und Infomaterialien über Postkolonialismus und Rassismus finden. Die Bücher wurden zum Teil von den Verlagen zur Verfügung gestellt. Eine begleitende Webseite informiert über die Geschichte der Fenster und den postkolonialen Lernort. Für das kommende Semester ist eine öffentliche Diskussionsreihe im partizipativen Werkstattcharakter zum Umgang mit den Hussel-Buntglasfenstern geplant.

 

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Stephan Düppe | 16.10.2023