Diversität in der Forschung stärken
Beim Tag der Forschung der Fakultät für Psychologie ging es in drei Antrittsvorlesungen und einem Gastvortrag um die Frage, wie sich Vielfalt abbilden lässt.

Die Psychologie hat in den letzten Jahrzehnten viele Fortschritte erzielt und entwickelt sich stetig weiter – dazu gehört auch, dass sie ihre Standpunkte und Methoden immer wieder kritisch hinterfragt. Dieser Blick nach innen bildete die Klammer zwischen den Antrittsvorlesungen beim Forschungstag der Fakultät für Psychologie. Gleich drei neue Professorinnen an der FernUniversität in Hagen stellten sich hier vor: Prof. Dr. Jenny Sarah Wesche ist seit 2023 Professorin für Wirtschaftspsychologie, Prof. Dr. Angela Dorrough leitet seit 2024 das Lehrgebiet Behavioral Economics und Interkulturelle Psychologie mit einer Heisenberg-Professur. Das neue Lehrgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie besetzt seit 2024 Jun.-Prof. Dr. Hannah Comteße.
Hoffnung auf mehr Diversität
Den Start machte Angela Dorrough: Ihr Vortrag thematisierte die teils selektive Sicht ihres Fachgebiets, bezugnehmend auf einen Artikel, den Joseph Henrich, Steven J. Heine und Ara Norenzayan im Jahr 2010 veröffentlicht haben und der den Start einer noch immer andauernden Debatte markierte: „The WEIRDEST people in the world?“ Demnach basieren Top-Publikationen in der Psychologie überwiegend auf Stichproben von westlichen, gut ausgebildeten, reichen und demokratischen Gesellschaften – eine Verzerrung, die das Akronym WEIRD zusammenfasst (western, educated, rich, democratic). Wie generalisierbar sind wissenschaftliche Ergebnisse angesichts dessen?
„Manche Forschungsfragen lassen sich natürlich am besten mit sehr speziellen Zielgruppen abdecken“, ordnete Dorrough ein. „Aber in der Regel ist das eher problematisch – zum Beispiel, weil die breite Wirksamkeit von getesteten Interventionen unklar bleibt.“ Die Wissenschaftlerin zeigte jedoch auf, dass sich die Situation seit Veröffentlichung des Artikels bereits verbessert habe – und gab verschiedene Impulse, wie sich künftig noch mehr kulturelle Diversität herstellen ließe.
Zugleich verschwieg die Professorin nicht, welche Hürden sich beim Streben nach repräsentativeren Stichproben auftun: Gerade für Forschende in früheren Karrierephasen sei der beträchtliche organisatorische, zeitliche und finanzielle Aufwand oft nur schwer zu stemmen, räumte Dorrough ein. Meist brauche es Kooperationspartner:innen aus verschiedenen Ländern oder spezialisierte Panelanbieter, um überhaupt an belastbare Daten aus dem nichtwestlichen Ausland zu gelangen. „Manche Dinge funktionieren in anderen Ländern schlicht nicht so wie wir es gewohnt sind.“ Deshalb ermunterte sie zum Austausch – und verwies dabei auch auf kooperative Forschungsprojekte aus ihrem eigenen Lehrgebiet. Mehr über Angela Dorrough

Elitäre Perspektive?
Jenny Wesche griff in ihrem Vortrag den Faden direkt auf. Neben der von Dorrough thematisierten WEIRD-Verzerrung sieht die Wirtschaftspsychologin nämlich noch ein zweites Problem, das sich mit dem Akronym POSH umreißen lässt. Noch immer konzentrieren sich viele Studien auf Menschen mit hohem sozioökonomischen Status: Qualifizierte Fach- und Führungskräfte in geregelten Arbeitsverhältnissen, relativ sicher vor Diskriminierung und wohnhaft in Ländern mit hohem Einkommensniveau (professionals, official jobs, safety, high-income).
Dadurch entstehen blinde Flecken, die Forschende vor Herausforderungen stellen. Beispielsweise seien Beschäftigte im Niedriglohnbereich oder in prekären Arbeitsverhältnissen weniger gut für die oft genutzten Online-Befragungen per E-Mail erreichbar, da sie oft nicht am Computer arbeiten und über keinen Arbeits-E-Mail-Account verfügen. Zudem können Begriffe und Konzepte abweichend wirken als im Bereich der Fach- und Führungskräfte. „Beispielsweise ist Flexibilität für Fach- und Führungskräfte häufig ein positives Merkmal ihrer Arbeit, die ihnen Freiräume bezüglich der selbstbestimmten zeitlichen und räumlichen Gestaltung ermöglicht“, so Jenny S. Wesche. „Für Beschäftigte außerhalb dieses Bereiches, beispielsweise für Beschäftigte in der Clubszene, bedeutet Flexibilität eher etwas Negatives, Fremdbestimmtes. Weil sie da sein müssen, wenn die Gäste kommen – und erst gehen können, wenn auch die Gäste gehen.“
Mit ihrer Forschung möchte sie dazu beitragen, dass auch weniger privilegierte Beschäftigte wahrgenommen werden. Ihre Projekte sprechen daher gezielt Menschen an, die noch zu selten von wirtschaftspsychologischen Studien berücksichtigt werden: etwa das unstet arbeitende Personal in Berliner Clubs oder nichtklinischen Unterstützungskräfte in Krankenhäusern. Mehr über Jenny S. Wesche
Situation von Geflüchteten
Auch Jun.-Prof. Dr. Hannah Comteße fokussierte auf eine Gruppe, die Forschende in ihrem Fachgebiet der Klinischen Psychologie vor Herausforderungen stellt: geflüchtete Menschen. „Im letzten Jahrzehnt hat sich die Anzahl von Geflüchteten weltweit erhöht“, erinnerte Comteße. „Nach Deutschland flohen fast 3 Millionen Menschen, die größten Gruppen kamen aus Syrien, Afghanistan und der Ukraine. Das zeigt uns, wie kulturell divers die Gruppe ist, mit der wir es als Forschende zu tun haben.“
Viele hätten eine längere Abfolge traumatischer Ereignisse erlebt – nicht nur im Herkunftsland und auf der Flucht, auch in den Aufnahmeländern gebe es zahlreiche Stress-Faktoren, etwa Diskriminierung, Einsamkeit oder Arbeitslosigkeit. Daher seien diese Menschen verstärkt von posttraumatischen Belastungsstörungen betroffen. Die Forschung hätte in den letzten Jahren viel darüber gelernt, aber es sei auch hier wichtig, eher westlich geprägte Konzepte und Theorien auf den Prüfstand zu stellen. Der Juniorprofessorin liegt besonders die Anwendung am Herzen: „Was können wir daraus für die Behandlung ableiten? Wie können wir ihnen am besten helfen?“
Comteße ging auch darauf ein, dass es für viele Betroffene schwer sei, professionelle Hilfe in Anspruch zu nehmen und einen Therapieplatz zu bekommen. „Wir müssen mehr darüber lernen, wie wir diese Menschen in Behandlung bekommen“, sagte die Psychologin mit Blick auf künftige Forschung. Zudem lohne es sich, neben dem Fokus auf psychische Probleme mehr über Schutzfaktoren und positive Effekte auf die mentale Gesundheit bei Geflüchteten herauszufinden. Mehr über Hannah Comteße
Austausch bei Diskussion und Buffet
Auf die drei Antrittsvorlesungen folgte ein Gastvortrag von Jun.-Prof. Dr. Kinga Bierwiaczonek vom Leibniz Institute for Psychology. Unter dem Titel „Correlates of migrant adaptation to living in receiving societies“ präsentierte sie die Ergebnisse einer großangelegten Meta-Analyse von über 1000 psychologischen Studien und zeigte damit, dass insbesondere Stress-Faktoren im Aufnahmeland wie Diskriminierung oder Einsamkeit eine entscheidende Rolle zukommt. Danach führte eine Podiumsdiskussion, moderiert von Prof. Dr. Anette Rohmann (Lehrgebiet Community Psychology), alle Stränge zusammen. Ein Buffet gab am Ende die Gelegenheit, sich zu vernetzen und im lockeren Rahmen auszutauschen.