Was Schiris und Jetlag mit Ökonomie zu tun haben

Hendrik Sonnabend erforscht Arbeitsmärkte im Stadion – mit einem Blick für Daten, der sogar die ARD-Quizshow „Wer weiß denn sowas?“ erreicht.


Foto: ARD/Morris Mac Matzen
Eine Forschungsarbeit von Hendrik Sonnabend schaffte es bis in die ARD-Quizshow „Wer weiß denn sowas?“ – die Frage drehte sich um den Napoleon-Komplex bei Schiedsrichtern. Moderator Kai Pflaume (M.) und seine Rateteam-Kapitäne Bernhard Hoëcker (v.l.) und Elton (r.) begrüßten in dieser Sendung den Komiker und Musiker Mike Krüger (h.l.) und den Schauspieler und Comedian Jan van Weyde (2.v.r.).

Wenn Dr. Hendrik Sonnabend über seine Forschung spricht, dann klingt das selten nach trockenem Elfenbeinturm. Stattdessen: Gelbe Karten, Wasserspringen, Baseball-Spielpläne – Volkswirtschaft einmal anders. Der 45-Jährige schafft es wie kaum ein anderer, Sport und Wirtschaft zu verbinden. Und manchmal landet seine Forschung sogar im Fernsehen. „Dass mein Paper zum Napoleon-Komplex in der Quizshow ‚Wer weiß denn sowas?‘ zitiert wurde – das war wirklich kurios!“, erzählt er und lacht.

Schon mal im Fernsehen gefragt worden?

Frage: Laut einer Studie pfeift ein Schiedsrichter beim Fußball eher ein Foul und greift zur gelben Karte, wenn ...

A) der Spieler einen Vollbart trägt
B) mehr als drei Vokale im Spielernamen vorkommen
C) der Spieler größer ist als er

Richtige Antwort: C – Der sogenannte „Napoleon-Komplex“ beeinflusst offenbar auch Entscheidungen auf dem Fußballplatz.

Im vergangenen Jahr erhielt Sonnabend die Venia Legendi, seine Lehrbefugnis. Ein formaler Meilenstein in einer Laufbahn, die geprägt ist von Neugier, Begeisterung und einem Faible für ungewöhnliche Blickwinkel. Schon seit 2006 ist der gebürtige Dortmunder an der FernUniversität in Hagen tätig – und hat dort nicht nur seinen Platz, sondern auch seine Berufung gefunden.

Sein Weg in die Sportökonomie? Ein Zufall mit Folgen. Eigentlich wollte er in seiner Abschlussarbeit klassische Arbeitsmarktthemen untersuchen. Doch sein damaliger Betreuer am Institut zur Zukunft der Arbeit (IZA) legte ihm kurzerhand einen Elfmeter-Datensatz vor – buchstäblich. „Ich sollte ein Konzept der Spieltheorie testen. In der Spieltheorie geht es darum, wie Menschen oder Gruppen Entscheidungen treffen, wenn das Ergebnis auch davon abhängt, was andere tun – wie in einem strategischen Spiel. Und das hat mir so viel Spaß gemacht, dass ich wusste: Das ist mein Ding.“ Der Rest ist Wissenschaftsgeschichte – mit viel Praxisbezug und einem Herz für Daten.

Die Forschung auf dem Spielfeld …

Sonnabend ist ein Wissenschaftler, der seine Forschungsfragen gedanklich lieber auf dem Fußballplatz als vergraben in Bücher stellt. „Der Profisport ist für mich eine Art Quasi-Labor“, erklärt er. Die Regeln sind klar, das Verhalten der Akteurinnen und Akteure messbar – ein ideales Umfeld für ökonomische Analysen. Wie verhalten sich Menschen im Wettbewerb? Was bedeutet Status für Konsequenzen? Warum treffen manche mehr Risiken – und andere weniger?

Foto: Torsten Silz
Hendrik Sonnabend verbindet Forschung und Alltag mit einem besonderen Blick auf menschliches Verhalten – nicht nur auf dem Spielfeld.

Ein Beispiel: Sonnabend hat untersucht, wie Fußballspieler mit hohem Status für unsportliches Verhalten anders bewertet werden als unbekanntere Mitspieler. Das Ergebnis: Stars dürfen mehr – weil sie gelernt haben, dass Sanktionen oft ausbleiben. Eine andere Studie zeigt, dass frühe sportliche Erfolge Risikobereitschaft fördern. Und wer dachte, dass Schlaf nur etwas für Erholung sei, irrt: In seiner neuesten Studie analysiert Sonnabend die Auswirkungen von Jetlag auf Spieler in der MLB, der höchsten professionellen Baseballliga in Nordamerika – inspiriert von einer Netflix-Doku. „Ostwärts fliegen, weniger Schlaf bekommen – und prompt steigen die Fehlerquoten. Besonders bei jüngeren Spielern. Das zeigt, wie eng Biorhythmus, Kognition und Leistung zusammenhängen.“

… und abseits davon

Doch der Sport ist nicht alles. „Ich forsche nicht nur zu Fußball – auch wenn der in meiner Arbeit oft die Bühne ist.“ Seine Schwerpunkte sind breit gefächert: Applied Microeconomics, Behavioural und Labour Economics, Cultural sowie Sports Economics. Gerade arbeitet er mit Kolleg:innen an einem Projekt zur A45-Brückensperrung – einem massiven Infrastrukturproblem, das weite Teile Südwestfalens betrifft. „Ich kenne Leute aus Lüdenscheid – die bekommen die Auswirkungen hautnah mit. Uns interessieren dabei nicht nur die offensichtlichen Faktoren wie Umwege und Arbeitszeiten, sondern auch mittel- bis langfristige Folgen: etwa, ob sich Fachkräfte schwerer finden lassen, wie sich das auf Schulen oder die regionale Gesundheit auswirkt.“ Noch fehlen belastbare Langzeitdaten, doch das Projekt steht in den Startlöchern – ganz ohne Elfmeterdaten, aber mit dem gleichen Anspruch: Forschung, die mitten ins Leben zielt.

Ein Forscher mit Teamgeist

Auch wenn Sonnabend gerne tief in Daten gräbt – am liebsten arbeitet er im Team. „Ich liebe den Austausch mit anderen Forschenden – auch außerhalb meines Lehrstuhls. Auf Konferenzen zu präsentieren, Feedback zu bekommen, das bringt mich weiter.“ Seit dem Sommersemester 2024 ist er am Lehrstuhl für Volkswirtschaftslehre, insbes. Internationale Ökonomie, von Prof. Dr. Hans-Jörg Schmerer tätig – ein beruflicher Neustart mit Rückenwind. „Der plötzliche Tod meines Doktorvaters Prof. Dr. Joachim Grosser 2022 war ein echter Einschnitt, der mir den Boden unter den Füßen weggezogen hat. Die neue Aufgabe hat mir neue Zuversicht gegeben.“

„Ich liebe den Austausch mit anderen Forschenden – auch außerhalb meines Lehrstuhls.“

Dr. Hendrik Sonnabend

Zunehmend entdeckt Sonnabend auch die Lehre für sich – und das mit Innovationsgeist. So hat er mit seinen Kolleg:innen am Lehrstuhl ein neues Modul zur Einführung in die Wirtschaftspsychologie entwickelt und das neue Prüfungsformat der Portfolioprüfung mit einem Datenprojekt in der Angewandten Ökonometrie eingeführt. „Die Nähe zur Verhaltensökonomie war schon durch meine Forschung da, das hat den Einstieg erleichtert.“

Privat Sport-Enthusiast und Familienmensch

Privat ist Hendrik Sonnabend Vater von drei Töchtern im besten Bewegungsalter: 8, 11 und 13 Jahre alt. Da wird am Wochenende mitgefiebert – auf Fußballplätzen, in Handballhallen, zwischen Thaiboxtraining – das er selbst für sich entdeckt hat – und Turnieren. „Ich freue mich, dass meine Kinder Freude an Sport und Wettkämpfen haben, auch, weil sie dort wichtige Erfahrungen ‚fürs Leben‘ sammeln können.“

Ob auf dem Platz oder im Datensatz: Hendrik Sonnabend findet dort Erkenntnisse, wo andere nur den Ball sehen. Und zeigt uns dabei, wie viel Wirtschaft tatsächlich im Alltag steckt – man muss nur genau hinschauen.

 

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Sarah Müller | 03.06.2025