Gerichte als Bühne der Energiewende

Eine internationale Tagung der FernUniversität in Hagen beleuchtete strategische Klagen in Klima- und Energiefragen – mit Akteur:innen aus Japan, Frankreich und Deutschland.


Wie beeinflussen Gerichte die Energiewende? Mit dieser Frage befasste sich eine internationale Konferenz am Campus Berlin der FernUniversität in Hagen. Unter dem Titel „Strategic Litigation in the Fields of Energy and Climate in Japan, France and Germany“ diskutierten Forschende und Praktikerinnen und Praktiker aus drei Ländern die Rolle strategischer Klagen in der Klima- und Energiepolitik.

Organisiert wurde die Tagung von Dr. Anna Wenz-Temming, Politikwissenschaftlerin an der FernUniversität, gemeinsam mit Prof. Dr. Annette Elisabeth Töller, Leiterin des Lehrgebiets Politikfeldanalyse und Umweltpolitik, und Alix Weigel, ebenfalls Politikwissenschaftlerin an der FernUniversität. Alle drei sind Mitglieder des internationalen Forschungsprojekts ConTE (Comparative study on energy transition and energy litigation), das von der französischen Forschungsorganisation CNRS und der Université de Lille koordiniert und von Dr. Magali Dreyfus von der Université de Lille geleitet wird.

Internationale Perspektive auf strategische Klagen

„Wir wollten verstehen, wie strategische Klagen in unterschiedlichen rechtlichen und gesellschaftlichen Kontexten wirken“, erklärt Wenz-Temming. „Denn nicht jede Klage zielt allein darauf, einen konkreten Rechtsstreit zu gewinnen – häufig geht es um langfristige politische oder gesellschaftliche Veränderungen.“ Dieses Konzept der „Strategic Litigation“ stammt ursprünglich aus der Forschung zu sozialen Bewegungen und beschreibt juristische Verfahren, die über den Einzelfall hinaus auf öffentliche Aufmerksamkeit, politische Wirkung und rechtliche Weiterentwicklung zielen.

Im Mittelpunkt der Tagung standen Vergleiche zwischen Japan, Frankreich und Deutschland – drei Ländern, die in der Energiewende ganz unterschiedliche Wege gehen. „In Deutschland spielen Verbandsklagen, etwa durch Umweltorganisationen, eine große Rolle“, erläutert Töller. „In Japan dagegen gibt es kein Verbandsklagerecht, und Gerichte tun sich zudem schwer, individuelle Klagen überhaupt als begründet anzuerkennen.“ Gerade im Bereich Windenergieklagen zeigen sich Unterschiede zwischen Deutschland und Frankreich. So haben in Frankreich ästhetische Aspekte wie der Schutz des Landschaftsbilds teilweise mehr Gewicht als in Deutschland.

Klagen als Motor der Energiewende

Die Konferenz machte deutlich, dass Klagen sowohl Motor von Transformation als auch Symptom gesellschaftlicher Spannungen sein können. „Klima- und Energieklagen bringen die Auseinandersetzung darüber zum Ausdruck, wie Klimaschutz, Landschaftsschutz, soziale Gerechtigkeit und wirtschaftliche Interessen in Einklang gebracht werden können“, so Wenz-Temming. Das gelte nicht nur für Verfahren, die sich für Klimaschutz engagieren, sondern auch für solche, die gegen bestimmte Energieprojekte gerichtet sind – etwa Windkraftanlagen.

Unter den Teilnehmenden waren renommierte Juristinnen und Juristen. Aus Japan nahmen u.a. Kaoru Koide und Naoki Ikeda teil, die beide als Anwälte in strategischen Klagen im Bereich Energie und Klima aktiv sind. Über die deutsche Perspektive berichteten Prof. Dr. Dr. h.c. Andreas Paulus, ehemaliger Richter des Bundesverfassungsgerichts, und Prof. Dr. Remo Klinger, Anwalt zahlreicher strategischer Umweltklagen in Deutschland. Beide berichteten über ihre Erfahrungen aus Praxis und Rechtsprechung – etwa über das wegweisende Klimaschutzurteil des Bundesverfassungsgerichts von 2021, das jüngeren Generationen ein Recht auf künftige Freiheit durch frühzeitigen Klimaschutz zusprach.

Juristische Kreativität und richtungsweisende Urteile

Für die internationalen Gäste aus Japan und Frankreich war diese Perspektive besonders aufschlussreich. „Wir konnten zeigen, dass Recht ein dynamisches System ist“, betont Töller. „Neue rechtliche Argumentationslinien entstehen oft erst durch solche Verfahren. Das Bundesverfassungsgericht hat 2021 etwa das Prinzip der intertemporalen Freiheitssicherung entwickelt. Darauf ist vorher niemand gekommen, auch nicht die Kläger selbst.“

Neben juristischen Fragen wurden auch Verteilungsgerechtigkeit und soziale Dimensionen der Energiewende intensiv diskutiert. „Es geht immer auch darum, wer die Kosten und wer den Nutzen trägt“, sagt Wenz-Temming. „In Deutschland sehen wir etwa, dass steigende Energiepreise Haushalte mit geringem Einkommen besonders stark belasten.“ Solche Fragen werden auch in künftigen Klimaklagen verhandelt werden – nicht nur in Deutschland, sondern weltweit.

Forschung im Austausch: Von Berlin nach Kyoto

Ein interdisziplinärer Sammelband mit den Ergebnissen der Berliner Konferenz ist bereits in Vorbereitung. Die Tagung war Teil einer Konferenzreihe im ConTE-Projekt, die zuvor in Tokio startete und 2026 in Kyoto fortgesetzt wird. Dort wollen die Forschenden sich mit dem Thema „Climate Justice“ – also Fragen der Klima- und Verteilungsgerechtigkeit – beschäftigen.

„Für uns war die Veranstaltung ein großer Erfolg“, resümiert Töller. „Sie hat gezeigt, wie fruchtbar der Austausch zwischen Rechts- und Politikwissenschaft ist – und wie internationale Perspektiven helfen können, das Zusammenspiel von Recht, Politik und Gesellschaft in der Energiewende besser zu verstehen.“

Die Konferenz fand am 30. September 2025 auf dem Campus Berlin der FernUniversität in Hagen statt und ermöglichte auf technisch hohem Niveau auch den hybriden Austausch mit Referentinnen und Referenten, die nicht vor Ort dabei sein konnten.

 

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Sarah Müller | 13.11.2025