Mehr Miteinander im Alltag dank „Social Streets“

Eine psychologische Studie der FernUniversität zeigt: Zufällige Begegnungen wirken als Motor für sozialen Zusammenhalt. Dafür braucht es ein aktives Mobilitätsverhalten im Alltag.


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Weniger Technik, weniger Tempo, weniger Tunnel – wer sich ganz ohne Auto oder Fahrrad durch den Alltag bewegt, ist vielleicht nicht so schnell am Ziel, erlebt dafür aber einen entscheidenden Vorteil: „Je langsamer man unterwegs ist, desto mehr Interaktionsmöglichkeiten hat man nämlich“, erklärt Sozialpsychologe Harald Schuster.

Gemeinsam mit drei Kolleginnen von der FernUniversität in Hagen hat er ein neues Paper zum Thema veröffentlicht (s. Infobox). „Die Studie macht bewusst, welche Chance im sozialen Raum um die eigene Haustür herum liegt.“ Mit anderen in Kontakt kommen, angesprochen werden und so auch mal aus der Komfortzone ausbrechen – das passiert ganz automatisch, ist man draußen auf der Straße unterwegs. „Wenn ich zu Fuß gehe, werde ich zu meinem Glück gezwungen“, bringt es Harald Schuster mit einem Augenzwinkern auf den Punkt.

Neues Paper im Open Access

Schuster, H., Duden, G. S., van der Noll, J., & Rohmann, A. (2025):
Incidental, everyday social and spatial experiences in urban mobility as a driver of local social cohesion: towards social streets. Cities & Health, 1–18. https://doi.org/10.1080/23748834.2025.2550872

Doch damit das klappt, ist es wichtig, öffentliche Straßen in der Stadtplanung anders zu begreifen – als sozialen Raum, in dem Fußgänger:innen ernstgenommen werden. Die Realität in vielen Städten sieht anders aus: Wer zu Fuß läuft, gilt oft eher als störendes Hindernis für den ringsumher rasenden Verkehr. Das hat auch mit der Einstellung der Menschen zu tun: „Oft wollen wir uns ja am liebsten von einem zum anderen Ort beamen“, so der Psychologe. „Aber Straßen sollten eben nicht nur ein Mittel zur Fortbewegung sein, sondern ein sozialer Ort!“

Was braucht es dafür? Die Studie von Harald Schuster, Gesa Solveig Duden, Jolanda van der Noll und Anette Rohmann zählt mehrere Faktoren auf: saubere Luft, wenig Lärm und Verkehr. „Dazu kommen natürlich ästhetische Aspekte“, betont Schuster. „Zum Beispiel viel Grün, Bäume, Blumen und Bänke zum Ausruhen.“

Social Streets: Der Weg ist das Ziel

Das Autor:innenteam nennt solche gemeinsamen Passagen, die im Alltag zum Verweilen und Austauschen anregen, „Social Streets“. Harald Schuster freut es, dass die neue Studie die positive Wirkung dieser Räume untermauert: „In Social Streets sind wir eher mit der Bereitschaft zur Resonanz unterwegs – und können dadurch auch zurück zu einer Art sozialer Achtsamkeit finden.“ Beispiele für zufällige Interaktionen lassen sich leicht ausmalen: Ich helfe einer alten Dame kurz beim Tragen von Einkäufen, der Nachbar erkundigt sich nach meiner Gesundheit, Kinder auf ihrem Schulweg grüßen mich – und so weiter. Am Herzen liegt dem Psychologen, dass die Verantwortung dabei nicht auf die Anwohner:innen abgewälzt wird, sondern die Stadtplanung das Ruder bewusst in die Hand nimmt. „Man hängt nicht einfach nur ein Schild auf: ‚Bitte relaxt!‘ Es gilt, den öffentlichen Raum zu gestalten.“

Harald Schuster, Sozialpsychologe Foto: Babic Fotografie

„Wie wäre es, wenn Google nicht immer den kürzesten, sondern den schönsten Weg zeigen würde?“

Harald Schuster, Sozialpsychologe

Interviews vor Ort

„Social Streets können Raum für ungeplante niedrigschwellige Begegnungen schaffen“, unterstreicht auch Prof. Dr. Anette Rohmann, die das Lehrgebiet Community Psychology leitet, in dem die Studie im Jahr 2022 startete. Auf die erfolgreiche Teamarbeit ist sie stolz: „Das Projekt leistet einen wichtigen Beitrag zum Verständnis des Mobilitätsverhaltens in Nachbarschaften mit Blick auf die Bedeutung für den sozialen Zusammenhalt.“

Um qualitative Daten zu erheben, führte das Team umfassende Interviews mit 19 Teilnehmenden durch – vor Ort im Kölner Stadtteil Ehrenfeld, der durch seine hohe Diversität und urbane Beschaffenheit perfekt ins Versuchsschema passte. „Wir haben die Interviews auch tatsächlich auf der Straße geführt“, sagt Schuster. Die Befragungen stellten deutlich den Mehrwert sozialer Stadtplanung heraus; und widerlegten zugleich gängige Klischees über multikulturelle Räume als Gefahrenorte. „Von allen Teilnehmenden hat tatsächlich nur eine einzige Person von schlechten Erfahrungen berichtet“, resümiert Harald Schuster. Die Mehrheit empfand alltägliche Begegnung im Rahmen ihres Mobilitätsverhaltens in der Nachbarschaft als große Bereicherung. „Aktive Mobilität ist eine Superkraft“, ist sich Harald Schuster mit Blick auf die Studienergebnisse sicher. „Und es liegt nun in unserer Hand, sie zu gestalten.“

 

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Benedikt Reuse | 02.12.2025