Der Mensch als Teil und Beteiligter

Beim Tag der Forschung der Fakultät KSW füllten die neuen FernUni-Profs Orsolya Friedrich, Jennifer Eickelmann und Felix Ackermann mit ihren Antrittsvorlesungen den Saal.


Foto: FernUniversität
Fachwissen aus drei Professuren (v.li.): Orsolya Friedrich, Jennifer Eickelmann und Felix Ackermann

„Heute erleben wir ein neues und anderes Format.“ Diesen Hinweis stellte Dekan Prof. Dr. Peter Risthaus dem Tag der Forschung der Fakultät für Kultur- und Sozialwissenschaften (KSW) voran. Kurz zuvor war die Fakultät selbst überrascht worden: Der Andrang im Saal war so gewaltig, dass spontan zusätzliche Stühle herbeigeschafft wurden. Das große Interesse hing wohl auch mit dem feierlichen Charakter der Veranstaltung zusammen: So bündelte der Tag diesmal gleich drei Antrittsvorlesungen an der FernUniversität in Hagen – von Prof. Dr. Felix Ackermann (Public History), Jun.-Prof. Dr. Jennifer Eickelmann (Digitale Transformation in Kultur und Gesellschaft) und Prof. Dr. Dr. Orsolya Friedrich (Philosophie der Medizin und der Technik). Im Anschluss bezogen die Vortragenden ihr Publikum in einer offenen Podiumsdiskussion mit ein. „Ich bin sehr zufrieden, dass Sie zeigen“, wandte sich Prof. Ackermann an den übervollen Saal, „dass es auch an der FernUniversität eine richtige Präsenz auf dem Campus gibt.“

Im Vernichtungskrieg waren die mechanischen Verschlussgeräusche von Schnappschüssen der Deutschen mehr als analoge Begleitung, sie waren Akte symbolischer Gewalt.

Prof. Dr. Felix Ackermann

Bilderschau vom Angriffskrieg

In seinem wissenschaftlichen Vortrag thematisierte der Historiker den Überfall Russlands auf die Ukraine. Ackermann zog einen Vergleich zwischen dem bildstarken Telegram-Channel des russischen Militär-Influencers Anatolyj Dremov und dem Wehrmachtssoldaten Kurt Riemer, der die Besatzung der der Sowjetunion mit seiner eigenen Kamera erfasst hatte. „Im Vernichtungskrieg waren die mechanischen Verschlussgeräusche von Schnappschüssen der Deutschen mehr als analoge Begleitung, sie waren Akte symbolischer Gewalt“, urteilte Ackermann über die bereits große Wirkung analoger Kriegsdokumentation.

Mit Blick auf die reichweitenstarke Inszenierung Dremovs bei Telegram plädierte er für eine methodische Öffnung: „Erstens möchte ich anhand des Vergleichs analoger und digitaler Kriegsalben aufzeigen, dass wir die Trennung zwischen privat und öffentlich in der Analyse von Kriegsöffentlichkeiten aufgeben“, so der Experte für Public History. „Zweitens arbeite ich in der Forschung gemeinsam mit meinem Team an der Auflösung der strikten Trennung zwischen Ereignis-, Wahrnehmungs- und Erinnerungsgeschichte.“

Wer kuratiert die Datenflut?

Jun.-Prof. Eickelmann stellte ein interaktives Kunstprojekt von Mushon Zer-Aviv aus Israel vor (zur Webseite „normalizi.ng“). Es fordert die Betrachtenden dazu auf, ihr eigenes Gesicht via Smartphone zu portraitieren und Gesichter anderer nach dem Grad ihrer „Normalität“ zu sortieren. So entsteht ein dynamischer Foto-Cluster aus standardisierten Selbstbildnissen. Diese sind umgeben von biometrischen Daten und Infos dazu, wie normal oder abweichend ein Gesicht erscheint. Die Teilnehmenden speisen sich selbst ins System ein, bewerten und werden bewertet. Damit sind sie bereitwillig „Subjekt wie Objekt der Verdatung und biometrischen Normalisierung“, so Eickelmann. Ausgehend davon diskutierte sie die Bedeutung des Kuratierens im Digitalen – einem Vorgang, an dem Mensch und Algorithmus gemeinsam beteiligt sind.

Heutzutage sind die Datenmassen schier endlos und müssen kuratiert werden, um nutzbar zu bleiben; die Auswahlpraktiken haben allerdings immer auch eine politische Dimension – wie etwa in sozialen Medien sichtbar wird. Begreift man das Kuratorische „als eine spezifische Form der Sorgearbeit in digitalen Kulturen“, ist damit auch die Frage nach zugrundeliegenden Interessen verbunden. Welche Formen des Kuratierens sind noch denkbar? Welche gesellschaftlichen Schlüsse lassen sich daraus ziehen? In Zukunft möchte sich die Forscherin dem Komplex noch stärker zuwenden, auch im FernUni-Forschungsschwerpunkt digitale_kultur.

Emotionen zwischen Mensch und Maschine

Prof. Friedrich gab Einblicke in ihre Forschung zu Emotionen zwischen Menschen und Maschinen. Es gibt mittlerweile viele Systeme, die menschliche Emotionen erkennen und auf sie reagieren sollen – zusammengefasst unter dem Begriff des Affective Computing. „Dabei kommen vor allem visuelle Erkennungsmethoden zum Einsatz, bei denen Gesichtsausdrücke dekodiert werden“, erklärt die Philosophin und Ärztin. „Hinzu kommen Analysen von Gesten und Körperhaltungen sowie die akustische Emotionserkennung, welche vor allem auf die Sprachmelodien Wert legt.“ Auswerten lassen sich aber auch sprachliche Inhalte und Kontexte – und sogar körperlichen Daten wie Atmung oder Puls.

Trotz der enormen Möglichkeiten, die sich daraus zum Beispiel für den Bildungs- und Gesundheitssektor ergeben, sieht Friedrich die Entwicklung kritisch: Problematisch erscheint etwa, dass die Erfassung von Emotionen eng mit deren Bewertung zusammenhängt. Die Kategorisierung ist kompliziert, schnell kommt es zu Verzerrungen: „Trauer nach einem Todesfall gilt als normal“, nennt Friedrich ein Beispiel. „Eine zu langanhaltende Trauer, die nicht an ein solches Ereignis gebunden ist, wird häufig im Bereich der Depression verortet.“ Eine Reihe offener ethischer Fragen – von der Datensicherheit bis zur Manipulation durch Maschinen – schürt Bedenken bei der Wissenschaftlerin: „Ich persönlich empfinde da schon ein ziemliches Unbehagen und es wird sicherlich Teil meiner Forschung sein, dieses Unbehagen weiter auszubuchstabieren.“

 

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Benedikt Reuse | 30.05.2023