Umweltbewusstsein ist nicht genug

Unser Verhalten hat einen enormen Einfluss auf die Umwelt. Warum die Politik mehr Anreize zu klimabewusstem Handeln schaffen muss, erklärt FernUni-Prof. Annette Elisabeth Töller.


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Ein Reparaturbonus für Smartphones könnte zu umweltfreundlichem Verhalten beitragen.

Zweieinhalb Jahre. So lang ist die durchschnittliche Nutzungsdauer eines Smartphones. Ein elektronisches Gerät, in dem modernste Technik verbaut ist, Seltene Erden und Konfliktrohstoffe wie Kobalt und Gold stecken. Nach zweieinhalb Jahren landet es entweder auf dem Schrott oder verschwindet auf Dauer in der Wohnzimmerschublade. Denn entweder locken Telekommunikationsanbieter mit einem günstigeren Vertrag plus neuem Endgerät, oder Verschleißteile wie Display und Akku lassen sich nur umständlich ersetzen. „Für einen effektiveren Umweltschutz muss die Politik beispielsweise die Nutzungsdauer von Handys verlängern“, fordert Prof. Dr. Annette Elisabeth Töller in einem aktuellen Gutachten des Sachverständigenrats für Umweltfragen (SRU). Die Politikwissenschaftlerin der FernUniversität in Hagen ist seit 2020 Mitglied in dem Gremium und berät zusammen mit sechs weiteren Universitätsprofessorinnen und -professoren, die über besondere wissenschaftliche Kenntnisse und Erfahrungen im Umweltschutz verfügen, die Bundesregierung zu Fragen des Umweltschutzes.

Der Sachverständigenrat für Umweltfragen hat das Sondergutachten mit dem Titel „Politik in der Pflicht: Umweltfreundliches Verhalten erleichtern“ am 9. Mai Bundesumweltministerin Steffi Lemke überreicht.
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In dem Gutachten, das Töller federführend betreut hat, appelliert sie an die Politik, umweltfreundliches Verhalten zu erleichtern. „Verhaltensänderungen sind ein Baustein erfolgreicher Umweltpolitik und ein starker Hebel. Bis zu 60 Prozent der zukünftig notwendigen Reduktionen von Treibhausgasen lassen sich über das Verhalten erreichen“, sagt die Forscherin, die an der FernUni das Lehrgebiet Politikfeldanalyse und Umweltpolitik leitet. Der Weg zu einer Verhaltensänderung beginnt mit einer Problemanalyse. „Zunächst muss die Politik prüfen, was genau umweltfreundliches Verhalten verhindert. Bei vielen Menschen ist die Bereitschaft durchaus hoch, sie wollen sich umweltfreundlich verhalten, oder tun dies bereits, aber die Rahmenbedingungen machen es ihnen schwer“, weiß Töller. „An dieser Stelle müssen politische Maßnahmen ansetzen.“

Akkutausch bei Vertragsverlängerung

Im Fall von Smartphones ruft der Umweltrat die Politik dazu auf, Reparaturen attraktiver zu machen, und hat ein ganzes Bündel von konkreten Vorschlägen parat. Laut Gutachten könnten Adressen von Reparaturbetrieben gesammelt und veröffentlicht werden oder ein Reparaturbonus eingeführt werden, wie ihn Thüringen schon kennt. Auch Mobilfunkanbieter müssen stärker einbezogen werden. „Statt eines Neugeräts könnten Kundinnen und Kunden bei Vertragsverlängerung einen Display- oder Akkutausch erhalten“, schlägt Töller vor. „Wichtig ist, dass umweltfreundliches Verhalten insgesamt einfacher, günstiger und attraktiver wird.“

Prof. Dr. Annette Elisabeth Töller Foto: Hardy Welsch

„Wichtig ist, dass umweltfreundliches Verhalten insgesamt einfacher, günstiger und attraktiver wird.“

Prof. Dr. Annette Elisabeth Töller

Mehr politisches Eingreifen fordert die Wissenschaftlerin nicht nur für den großen Bereich der Elektroniknutzung, in dem Smartphones nur eine Sparte darstellen. Auch in der Ernährung drängt sich das Drehen an wichtigen Stellschrauben auf. „Es ist erwiesen, dass ein reduzierter Verzehr von tierischen Nahrungsmitteln erheblich dazu beiträgt, Treibhausgasemissionen zu reduzieren“, so Töller. Daher empfiehlt sie, die Mehrwertsteuer auf tierische Produkte zu erhöhen, während die Steuer auf Obst, Gemüse und Hülsenfrüchte ganz wegfallen sollte.

Dabei stellt die Forscherin heraus, dass besonders beim politischen Instrument der Preisanpassung immer ein finanzieller Ausgleich mitgedacht werden muss. „Das ist uns ganz wichtig: Die Maßnahmen dürfen nicht zulasten von Personen mit niedrigem Einkommen gehen.“ Die Dringlichkeit von Bepreisungsinstrumenten sowie von Ge- und Verboten stellt Töller deutlich heraus: „Langfristig kann das Umweltbewusstsein zwar über Bildungsangebote gefördert werden und einen Wertewandel in der Gesellschaft hervorrufen, aber Informationsinstrumente reichen nicht aus, um die gravierenden Umweltprobleme in den Griff zu bekommen.“

Produktionsseitigen Umweltschutz beibehalten

Was der von Töller geforderte strengere Blick auf unser Verhalten nicht soll: umweltfreundliche Produktionsprozesse innerhalb der Industrie ersetzen. „Das wurde in der Vergangenheit öfter versucht, die Verantwortung auf die Individuen abzuwälzen, um damit Auflagen für die Industrie zu verhindern“, bemängelt sie. Dabei müsste im besten Fall beides kombiniert werden – Verhaltensänderungen und produktionsseitige Umweltschutzmaßnahmen.

Was in dem Gutachten gut wie sinnvoll klingt und nicht zuletzt erforderlich ist, um aktuelle Klima- und Umweltkrisen zu bewältigen, ist realpolitisch nicht immer leicht umzusetzen, da macht sich die erfahrene Politikwissenschaftlerin nichts vor. „Besonders in heterogenen Regierungskonstellation wie aktuell in der Koalition aus SPD, Grünen und FDP, deren Positionen zum Teil weit voneinander entfernt sind, ist es schwierig, sich auf eine gemeinsame Linie zu einigen.“ Die Wissenschaftlerin empfiehlt daher, Maßnahmen zu bündeln, um einen Kompromiss zu erzielen, oder Paketlösungen zu erarbeiten, die in einem Bereich Zugeständnisse erfordern, und dafür in einem anderen mit der parteipolitischen Linie kompatibel sind. „So läuft das nun einmal in einer Demokratie, aber das ist auch in Ordnung so.“

Der SRU

Der SRU berät die Bundesregierung seit 1972. Er ist eine der ältesten Institutionen wissenschaftlicher Beratung für die deutsche Umweltpolitik. Seine Aufgabe besteht darin, die jeweilige Situation der Umwelt und deren Entwicklungstendenzen darzustellen. Darüber hinaus soll er Fehlentwicklungen und Möglichkeiten zu deren Vermeidung oder zu deren Beseitigung aufzeigen. Alle vier Jahre übergibt er dem Bundesumweltministerium ein umfassendes Umweltgutachten – zuletzt im Jahr 2020 zum Thema „Für eine entschlossene Umweltpolitik in Deutschland und Europa“. Darüber hinaus erarbeitet er Sondergutachten, Stellungnahmen sowie Offene Briefe und stößt auch breitere politische und gesellschaftliche Diskussionen zur Umweltpolitik an.

 

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Sarah Müller | 19.05.2023