Unterschiedliche Perspektiven auf das Kaffeepflückerinnen-Fenster

Die Debatte war notwendig, die konkrete Diskussion verlief kontrovers und sachlich: Rund 100 Menschen aus Hagen kamen zur Podiumsdiskussion an der FernUni.


Foto: FernUniversität
Die Ellipse war voll, das Publikum weitgehend homogen.

Die Debatte war notwendig, die konkrete Diskussion verlief kontrovers und sachlich: Rund 100 Menschen aus Hagen kamen zur Podiumsdiskussion über das Kaffeepflückerinnen-Fenster, das an der FernUni ausgestellt und mit einer satinierten Glasscheibe verhängt ist. In der Diskussion vor Ort, die der Hagener Heimatbund und die Uni gemeinsam initiiert haben, ging es insbesondere um den Kunstbegriff, (Post-)Kolonialismus, Rassismus und Sexismus – und die unterschiedlichen Perspektiven darauf: von „notwendiger Eingriff“ bis „Zensur“.

Zum Hintergrund: Vor allem die Art und Weise, wie das Glasfenster des Hagener Künstlers Hans Slavos (1900–1969) an der FernUni ausgestellt wird, hatte in den vergangenen Wochen zu teils emotionalen Auseinandersetzungen in der regionalen Presse und den Sozialen Medien geführt. Es zeigt halbnackte indigene Frauen, stammt aus dem Jahr 1952. In Auftrag gegeben hatte es Rudolf Hussel, Honorarkonsul von El Salvador und Inhaber der Firma Hussel, für das Treppenhaus der Hagener Firmenzentrale.

„Wir müssen uns endlich dem Thema Kolonialismus stellen“

„Es ist ein postkoloniales Bild mit zweifelhaftem Inhalt und stammt aus einer Zeit, als die nackten weißen Brüste von Hildegard Knef im Film für eine Aufschrei gesorgt haben. Aber mit einer indigenen Frau kann man es ja machen“, ordnete Michael Eckhoff, Kunsthistoriker und Vorsitzender des Heimatbundes, seine Position auf dem Podium deutlich ein. „Wir müsse uns dem Thema Kolonialismus endlich stellen. Er ist Teil unserer Geschichte.“

Der Hagener Heimatbund ist Besitzer des Fensters und hat es vor dem Abriss der Hussel-Zentrale gerettet – „als Geschichtsverein und obwohl Slavos mal Vorsitzender des Hagenring war“. Dem Künstlerverein, dem auch Karl-Friedrich Fritzsche angehört. Fritzsche, ebenfalls auf dem Podium zu Gast, widerholte seine Kritik der „Zensur“ und machte deutlich: „Ein Mosaik lebt vom Licht und Kunst ist dafür da, sichtbar zu sein. Sie von der FernUniversität machen es unsichtbar.“

„Betroffenenperspektive fehlt“

Den Eingriff durch die Milchglasscheibe wiederum hält Kunstwissenschaftlerin und Kuratorin Joanne Rodriguez für „sinnvoll“ und sieht keinen Verstoß gegen die Kunstfreiheit darin. Allerdings mahnt sie die fehlende „Betroffenenperspektive“ an. Daran knüpfte Phyllis Quartey an. Quartey brachte es auf den (wunden) Punkt: „Das Bild ist aus einer privilegierten Position heraus ausgestellt worden, über die Köpfe der Betroffenen hinweg.“

    • Michael Eckhoff, Stadtheimatpfleger und Vorsitzender des Hagener Heimatbundes

    • Fabian Fechner, Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrgebiet Geschichte Europas in der Welt, Arbeitskreis Hagen postkolonial

    • Karl-Friedrich Fritzsche, freischaffender Künstler, Maler und Bildhauer, Mitglied im Hagenring seit 2006

    • Jost Lübben, Chefredakteur der Westfalenpost

    • Phyllis Quartey, Bildungsreferentin und Aktivistin, Initiative N-Wort Stoppen und Decolonize Wuppertal

    • Joanne Rodriguez, Museumsleiterin Städtische Galerie Fruchthalle Rastatt und Kuratorin der Ausstellung HIER UND JETZT. Antikoloniale Eingriffe im Museum Ludwig

    Moderator:

    • Robin Hiermer, Radio Hagen

Von der Wuppertaler Bildungsreferentin und Aktivistin (Initiative „N-Wort stoppen“) kam im Verlaufe der Diskussion der Kompromissvorschlag, statt einer festen Milchglasscheibe einen Vorhang zur Verhüllung zu installieren. „Dann kann man selbst entscheiden, ob man es betrachten will oder nicht.“ Ein Brückenschlag.

Auch die FernUni ist lernfähig

Den Prozess von der Rettung des Werkes bis zur Verhüllung zeichnete Podiumsteilnehmer Dr. Fabian Fechner nach: „Ein mehrstufiger Prozess hat zu der Entscheidung geführt, dass der ungehinderte Fernblick auf das Fenster nicht mehr möglich sein sollte. Da geht es auch um den Schutz von Mitarbeitenden.“ Fechner ist Historiker an der FernUni und macht mit seiner wissenschaftlichen Arbeit „Hagen postkolonial“ seit 2018 gemeinsam mit einem Arbeitskreis die Spuren des Kolonialismus in Hagen sichtbar und im Alltag erfahrbar.

Das letzte Wort hatte FernUni-Rektorin Ada Pellert, als Gastgeberin der Veranstaltung. Sie schlug einen versöhnlichen Ton an: „Mit dem ausgestellten Bild haben wir einen Lernort an der FernUni geschaffen, wenn vielleicht auch nicht direkt den adäquaten Umgang mit dem Werk selbst gefunden. Aber als Uni gehen wir reflektiert damit um und finden hoffentlich einen, der dem Werk und seinem historischen Kontext gerecht wird – vielleicht auch in einem Museum.“ Und im Dialog mit der Stadtgesellschaft, begleitet von den beiden Lokalmedien Radio Hagen und Westfalenpost.


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Anja Wetter | 02.02.2024