Hemm den Wind: Wie Klagen und Bürgerentscheide den Windkraft-Ausbau beeinflussen

Warum scheitern Windräder? Prof. Annette Elisabeth Töller erklärt im Interview, was den Windkraftausbau bremst – und welche Rolle Bürgerentscheide und Klagen dabei spielen.


Foto: Martial Colomb/Photodisc/Getty Images
Das Projekt „Hemm den Wind“ ist im FernUni-Forschungsschwerpunkt „Energie, Umwelt & Nachhaltigkeit“ (E/U/N) angesiedelt.

Windenergie ist ein zentraler Baustein der Energiewende – doch vielerorts scheitern neue Windkraftprojekte an Klagen und Bürgerentscheiden. Das interdisziplinäre Forschungsprojekt „Hemm den Wind“ an der FernUniversität in Hagen untersucht, welche Faktoren dazu führen, dass solche Verfahren angestrengt werden und den Windenergieausbau tatsächlich hemmen. Unter der Leitung von Prof. Dr. Annette Elisabeth Töller analysiert das Forschungsteam die politischen, rechtlichen und psychologischen Dynamiken hinter Protest und Widerstand gegen Windkraftanlagen. Welche Motive treiben Klägerinnen und Kläger an? Welche gesetzlichen Rahmenbedingungen begünstigen Widerstand? Und was bedeutet das für die Zukunft der erneuerbaren Energien? Im Gespräch gibt die Politikwissenschaftlerin, die auch Mitglied des Sachverständigenrates für Umweltfragen (SRU) ist, erste Einblicke in die Erkenntnisse des Projekts.

Frau Prof. Töller, worum geht es in „Hemm den Wind“ genau, und was war der Anlass für das Projekt?

Prof. Dr. Annette Elisabeth Töller: Die Idee für das Projekt entstand vor dem Hintergrund des massiven Einbruchs des Windenergieausbaus zwischen 2018 und 2020. Für diesen gab es zwar eine ganze Reihe von Gründen, aber auch Bürgerentscheide und (Verbands-)Klageverfahren wurden als relevante Ursachen für den verringerten Windenergieausbau identifiziert. Aus einer politikwissenschaftlichen Perspektive haben Bürgerentscheide und Verbandsklageverfahren gemeinsam, dass es sich um formale Verfahren handelt, in denen sich mangelnde gesellschaftliche Akzeptanz einen Weg bahnen kann. Wir wissen vergleichsweise wenig darüber, warum es in manchen Fällen zu diesen Verfahren kommt und in anderen nicht. Das Projekt untersucht daher, unter welchen Bedingungen es zu Bürgerentscheiden und Verbandsklagen gegen Windenergieprojekte kommt und wie diese zu einem Hemmnis für den Windenergieausbau werden.

Das Projekt ist in wirtschaftlich unruhigen Zeiten an den Start gegangen. Wie begegnen Sie diesen Hürden?

Herausfordernd ist der Umgang mit den Entwicklungen der vergangenen drei Jahre. Die umfangreichen rechtlichen Maßnahmen zur Beschleunigung des Ausbaus der Erneuerbaren Energien infolge des russischen Angriffs auf die Ukraine haben die formalen Voraussetzungen, unter denen Bürgerentscheide und Verbandsklagen zulässig sind, allerdings nicht geändert. Ebenso wenig wurden grundlegende Konflikte aufgelöst; etwa der Konflikt zwischen dem Windenergieausbau und der Akzeptanz vor Ort oder Zielkonflikte zwischen dem Beitrag der Windenergie zum Klimaschutz und dem Artenschutz, auch wenn sich die rechtliche Gewichtung zumindest im letzteren Fall deutlich verschoben hat.

Wodurch zeichnen sich die einzelnen Teilprojekte aus?

Im juristischen Teilprojekt untersuchen die Kolleg:innen nicht nur, welche rechtlichen Gründe in der Vergangenheit bei Klageverfahren gegen Windenergieanlagen erfolgreich waren, sondern befassen sich auch mit der Frage, wie relevant diese in Zukunft sind. Ein Schwerpunkt liegt außerdem auf der Analyse der aktuellen Rechtslage und der Frage, wo zukünftig mögliche Angriffspunkte für Verbandsklagen liegen könnten. Dies bildet zugleich einen wichtigen Schnittpunkt zur politikwissenschaftlichen Untersuchung von Verbandsklagen anerkannter Umweltverbände. Auch hier ist neben der Identifizierung von Bedingungen, unter denen es zu Verbandsklagen kommt oder nicht kommt, eine zentrale Frage, wie sich die rechtlichen Änderungen auf die für den Zeitraum bis 2022 identifizierten Bedingungen auswirken könnten. Analog zu den Verbandsklagen untersucht das politikwissenschaftliche Teilprojekt zu Bürgerentscheiden, unter welchen Bedingungen Ratsbeschlüsse zum Windenergieausbau durch diese Verfahren angegriffen werden. Im Fokus des psychologischen Teilprojekts steht die Frage, welche Rolle gruppenbezogene Motivationen und Emotionen für den Protest gegen Windenergieanlagen spielen.

Prof. Dr. Annette Elisabeth Töller Foto: Peter Himsel

„Viele schätzen den Anteil von Personen, die Windenergieausbau ablehnen, höher ein, als er tatsächlich ist.“

Prof. Dr. Annette Elisabeth Töller

Warum stoßen Windkraftanlagen so oft auf Widerstand, und welche Akteure sind dabei besonders aktiv?

Informationen aus dem persönlichen Umfeld und Informationsveranstaltungen zu geplanten Windkraftanlagen können Ausgangspunkt dafür sein, dass sich Menschen vernetzen und gemeinsam gegen die Errichtung von Windkraftanlagen protestieren. Viele schätzen den Anteil von Personen, die Windenergieausbau ablehnen, höher ein, als er tatsächlich ist. Wer sich gegen Windenergieausbau engagiert, tut dies oft in dem Glauben, dass die meisten Menschen diese Meinung teilen. Wahrgenommene Ungerechtigkeit und damit verbundener Ärger ist eine wesentliche Quelle für solchen Protest. Einerseits kann als ungerecht empfunden werden, wer, wie, basierend auf welcher Information und Mitsprache über die Errichtung entscheidet. Andererseits kann mangelnde Ausgewogenheit von Belastungen wie Lärm oder vermutete negative Effekte auf Grundstückpreise und Entlastungen wie finanzielle Vorteile zugeschrieben werden. In manchen Regionen wird viel Windstrom produziert, die Gewinne bleiben überwiegend nicht in der Region und die Stromkosten sind dennoch hoch. Anti-Windkraft-Aktivist:innen halten verschiedene Bausteine der Energiewende wie zum Beispiel Elektroautos für weniger relevant. Sie halten es für ähnlich wahrscheinlich oder unwahrscheinlich, dass wir Klimaziele wie das Zwei-Grad-Ziel erreichen wie andere Personen, finden Klimaziele allerdings deutlich weniger wichtig. Was wir auch festgestellt haben: Protestbereit sind Menschen aller Altersgruppen.

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Beitrag aus dem FernUni-Newsletter @fernuni.

Fernuni-newsletterFoto: Jakob Studnar

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Gibt es typische Muster bei Verbandsklagen gegen Windkraftprojekte?

Im Projekt haben wir mit einer sogenannten „fuzzy set Qualitiative Comparative Analysis“ (fsQCA) für zwei Bundesländer – NRW und Hessen – die Bedingungen untersucht, unter denen es zu Verbandsklageverfahren gegen Windenergieanlagen kommt, oder vielmehr wann diese ausbleiben. Dabei haben unsere Ergebnisse zum einen gezeigt, dass anerkannte Umweltverbände nicht nur dann klagen, wenn es sich um einen Projektstandort handelt, der besonders arten- oder naturschutzrechtlich sensibel ist. Vielmehr spielen auch die Fragen der Durchführung einer Öffentlichkeitsbeteiligung, die Ressourcenausstattung der Genehmigungsbehörde und die Mobilisierung der Umweltverbände aus Situationen lokalen Protests heraus eine Rolle. Dabei gibt es aber große Unterschiede zwischen den Ländern: Während in NRW der Artenschutz allein zwar das Verbandsklagegeschehen nicht erklärt, aber gegenüber dem Vorhandensein von Protest eine bedeutendere Rolle in der Erklärung besitzt, ist Protest in Hessen eine notwendige Bedingung für das Auftreten von Verbandsklagen. Für diesen Unterschied relevant sein könnte auch, dass in NRW vor allem etablierte Umweltverbände wie der NABU klagen, während dies in Hessen überwiegend Verbände wie die Naturschutzinitiative oder der „Regionalverband Taunus – Windkraft mit Vernunft“ sind.

Lassen sich anhand Ihrer bisherigen Forschungsergebnisse bereits Empfehlungen ableiten?

Dafür ist es noch zu früh, das wird Gegenstand des letzten Projekthalbjahrs sein. Ansatzpunkte für das Ableiten von Handlungsempfehlungen können aber die Bedingungen sein, die wir für das Ausbleiben von Verbandsklagen identifiziert haben. Das sind insbesondere ein artenschutzrechtlich wenig sensibler Standort, die Abwesenheit von lokalem Protest, aber auch kommunalpolitische Unterstützung für das Vorhaben.

Welche nächsten Schritte stehen im Projekt an, und wann sind abschließende Ergebnisse zu erwarten?

Wir werden zunächst die noch laufenden Untersuchungen zu den Bürgerentscheiden abschließen. Im Anschluss wird es darum gehen, einerseits die Erkenntnisse aus der Psychologie und dem politikwissenschaftlichen Teilprojekt zu den Bürgerentscheiden zusammenzuführen sowie andererseits die Ergebnisse aus dem rechtswissenschaftlichen Teilprojekt und dem politikwissenschaftlichen Teilprojekt zu den Verbandsklagen. Eine Abschlussveranstaltung mit Präsentation der abschließenden Ergebnisse ist für Ende 2025 geplant.

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Presse | 28.04.2025