Zyklus, Kognition und digitales Arbeiten – eine Studie

Wie beeinflussen hormonelle Schwankungen unsere Fähigkeit, im digitalen Arbeitsalltag konzentrierte und fehlerarme Entscheidungen zu treffen?


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Forschen zusammen: die Wirtschaftswissenschaftlerin Alina Bockshecker und die Psychologin Rabea Liebram.

Diese Frage steht im Zentrum eines interdisziplinären Forschungsprojekts an der FernUniversität in Hagen, das neurowissenschaftliche Methoden mit Fragestellungen der Wirtschaftsinformatik verknüpft.

Im Rahmen einer geplanten Längsschnittstudie untersuchen Rabea Liebram, Studentin im Master Wirtschaftswissenschaft sowie Doktorandin in der Psychologie, und Dr. Alina Bockshecker, Postdoktorandin am Lehrstuhl für Betriebliche Anwendungssysteme, wie sich der Menstruationszyklus auf die Fehlerverarbeitung und Reaktionsgeschwindigkeit auswirkt – und welche Rückschlüsse daraus für die Gestaltung digitaler Arbeitsumgebungen gezogen werden können. Ihr Vorhaben haben sie im Frühsommer auf dem NeuroIS Retreat 2025 in Österreich vorgestellt.

Die Studie basiert auf Methoden der Elektroenzephalografie (EEG) und typischen Aufgaben aus der kognitiven Psychologie (Go/No-Go-Paradigma), um zu messen, wie sich zyklusabhängige hormonelle Veränderungen auf die Aufmerksamkeit, Handlungskontrolle und Fehlerverarbeitung auswirken. Ziel ist es, beispielsweise digitale Tools zu entwickeln, die – je nach Zyklusphase – Empfehlungen für die Aufgabenorganisation und -verteilung geben und dabei die individuelle Leistungsfähigkeit berücksichtigen. Im Interview berichten die beiden Wissenschaftlerinnen, wie sich ihre Zusammenarbeit entwickelt hat, wie sie methodisch vorgehen und welche Erwartungen sie an die Studie haben.

Wie ist Ihre Kooperation entstanden?

Rabea Liebram: Ich bin eigentlich aus der Wirtschaft – habe ursprünglich als Controllerin gearbeitet, heute bin ich Produktmanagerin in der Medizintechnik. Nebenberuflich habe ich mich für die Wirtschaftswissenschaft an der FernUni eingeschrieben. Zusätzlich habe ich mich auch für Psychologie eingeschrieben, um einer Freundin einen Gefallen tun – da bin ich hängengeblieben. Die Psychologie hat irgendwann die Wirtschaftswissenschaft rechts überholt – mit dem Masterabschluss und dem Start der Promotion. Aber die WiWi habe ich nicht links liegen lassen: Ich habe den Bachelor in Wirtschaftswissenschaft ebenfalls abgeschlossen und studiere derzeit zusätzlich zu meiner Promotion den Master in Wirtschaftswissenschaft. Ein Master in Wirtschaftsinformatik steht außerdem noch auf dem Plan! Die Idee zur Studie entstand in einem Seminar des Lehrstuhls für Betriebliche Informationssysteme von Prof. Dr. Stefan Smolnik. Frau Bockshecker war meine Seminarbetreuerin und hat mich im Anschluss angesprochen, ob ich mir vorstellen könnte, eine Abschlussarbeit bei ihr zu schreiben. Die Chemie zwischen uns hat sehr gut gepasst und die neue Option der studentischen Forschungsarbeit (kann als Wahlpflichtseminar angerechnet werden) hat die Idee gut ergänzt. Die studentische Forschungsarbeit basiert auf der Expertise, die ich im Psychologiestudium zu Fehlerverarbeitung gewonnen habe. Mit dem Zyklusthema von Frau Bockshecker kam ein neuer spannender Aspekt dazu.

Alina Bockshecker: Ich bin seit fast zehn Jahren an der FernUni und beschäftige mich in der Forschung mit den Auswirkungen des menstruellen Zyklus auf die digitale Arbeit. Mit Rabeas studentischer Forschungsarbeit – ein Glücksfall – betreue ich im Pilotprojekt der Fakultät WiWi ein Thema mit gesellschaftlicher Relevanz, methodisch anspruchsvoll, interdisziplinär. Das passt hervorragend zur Ausrichtung unseres Lehrstuhls.

Wie schaffen Sie es, dieses Pensum neben dem Beruf zu bewältigen?

Liebram: Andere schauen abends Fernsehen, ich lese wissenschaftliche Paper. Für mich ist das eine Frage der Selbstdisziplin und des Interesses. Ich habe gelernt zu lernen – und es macht mir Spaß.

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Das Setting der Studie: Mit Methoden der Elektroenzephalografie werden Reaktionsgeschwindigkeit und Fehlerverarbeitung gemessen.

Welche Erkenntnisse erhoffen Sie sich von der Studie – besonders mit Blick auf digitale Arbeitsumgebungen?

Bockshecker: Wir entwickeln ein Tool, welches das Taskmanagement von Frauen im digitalen Arbeitskontext unterstützen soll. Je nach Zyklusphase könnten z. B. strategische Aufgaben vertagt oder Leistungsschwerpunkte angepasst werden. Dabei geht es nicht um Einschränkungen, sondern um gezielte Selbststeuerung – mit einer empowernden Perspektive: „Trotz Phase X konnte ich diese Aufgaben heute schaffen.“

Liebram: Frauen sind von hormonellen Schwankungen betroffen – das gilt für 50 Prozent der Gesellschaft. Trotzdem fehlt es an entsprechender Forschung. Wir betreiben Grundlagenforschung zur kognitiven Variabilität über den Zyklus hinweg und wollen zeigen, wie sich hormonelle Einflüsse messbar auf Reaktionszeiten und Fehlerquoten auswirken.

Wie sieht das Studiendesign konkret aus?

Liebram: Geplant ist eine dreimonatige Längsschnittstudie mit 20 Frauen ohne hormonelle oder neurologische Vorerkrankungen. Jede der vier Zyklusphasen wird dabei drei Mal erfasst. Dies ergibt 12 Messpunkte je Probandin. Wir nutzen die technische Infrastruktur, das EEG sowie das sehr gut ausgestattete Labor der psychologischen Fakultät der FernUni und führen psychologische Tests durch, bei denen Probandinnen auf visuelle Reize, sogenannte Stimuli (Kreise und Quadrate) reagieren müssen – abhängig von bestimmten Regeln. Zusätzlich planen wir eine kleine Vergleichsgruppe mit Männern, um zyklusunabhängige Leistungsschwankungen besser einordnen zu können.

Welche praktischen Anwendungen sind auf Basis der Ergebnisse denkbar?

Bockshecker: Ziel ist ein adaptives Systemdesign. Informationssysteme sollen in Zukunft nicht nur situativ, sondern auch physiologisch responsiv auf die Nutzer und Nutzerinnen reagieren – etwa durch intelligente und adaptive Benachrichtigungen, individuell abgestimmte Arbeitsvorschläge oder die Anpassung von Aufgabenschwierigkeiten. Das fördert eine gesunde, effektive und inklusive Arbeitskultur.

Welche Rolle spielen dabei studentische Beiträge?

Liebram: Eine sehr große, ich selbst bin ein gutes Beispiel. Ich bin über ein Seminar zur studentischen Forschungsarbeit gekommen und daraus ist ein echtes Forschungsprojekt geworden. Mein Rat an andere Studierende: Sucht die Nähe zu den Lehrstühlen und den dortigen Teams, traut euch, eigene Fragen und Ideen einzubringen!

Bockshecker: Unser Pilotprojekt zeigt, dass Studierende echte Beiträge zur Wissenschaft leisten – mit relevanten Themen und praxisnaher Methodik. Mit der studentischen Forschungsarbeit kann schon im Studium eine Einreichung für eine wissenschaftliche Konferenz oder in ein Journal erfolgen. Mit dem Pilotprojekt wurde dafür an den Lehrstühlen bewusst Strukturen geschaffen, die das (weiter-)fördern. Mit Rabea ist ein größeres Forschungsprojekt entstanden – neben der Veröffentlichung auf dem NeuroIS Retreat 2025.

Wie geht es nun im Projekt weiter?

Liebram: Im Herbst 2025 starten wir mit der Datenerhebung. Die Teilnehmenden werden individuell begleitet, jede einzelne Testung wird geplant und dokumentiert. Parallel bereiten wir weitere Forschungsanträge und Veröffentlichungen vor.

Bockshecker: Mit dem Feedback aus der NeuroIS Community können wir die Studie noch einmal anpassen und starten nun in die empirische Phase. Wir hoffen auf viele Probanden und Probandinnen – auch aus der Studierendenschaft.

Liebram: „Für mich war es eine sehr wertvolle Erfahrung. Obwohl ich Doktorandin bin, war ich noch auf keiner wissenschaftlichen Konferenz und hatte zeitlich bedingt noch nichts publiziert. Von Frau Bockshecker konnte ich viel Praktisches lernen und wurde toll in das Netzwerk integriert.“

Perspektiven für ein zyklussensitives Aufgabenmanagement

Die Studie „Cycle-Sensitive Error Processing: Neurophysiological Insights for Enhancing Cognitive Performance in Digital Work Environments“ ist ein Beispiel dafür, wie sich Grundlagenforschung aus der Psychologie und Konzepte der Wirtschaftsinformatik sinnvoll verzahnen lassen. Dabei entstehen nicht nur neue Erkenntnisse über die Wirkung hormoneller Schwankungen auf das menschliche Verhalten, sondern auch konkrete Ideen für personalisierte digitale Lösungen. Die Forschung steht am Anfang, der Blick auf individuelle Bedürfnisse im Arbeitsalltag – insbesondere der Hälfte der Gesellschaft – könnte damit künftig stärker in das Design von Informationssystemen einfließen.

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Anja Wetter | 09.07.2025