Kinderarbeit im digitalen Zeitalter
Kidfluencer stehen im Rampenlicht – oft auf Kosten ihrer Rechte. Dr. Till Nierhoff beleuchtet in seiner Dissertation an der FernUni ein verdrängtes Problem: Kinderarbeit.

Grinsend vor der Kamera packen sie Spielzeug aus, tanzen zu TikTok-Trends oder präsentieren Glitzer-Make-up – Kinder auf Social Media, sogenannte Kidfluencer, erreichen ein Millionenpublikum und sind längst Teil einer neuen Unterhaltungsökonomie. Was oft wie harmlose Freizeitbeschäftigung aussieht, wirft ernste rechtliche Fragen auf. Der Berliner Jurist Dr. Till Nierhoff hat sich in seiner Doktorarbeit an der FernUniversität in Hagen mit diesem Phänomen beschäftigt: Kinderarbeit in den Medien.
„Man denkt bei Kinderarbeit an Minen in Entwicklungsländern – aber sie findet auch direkt vor unseren Augen statt“, sagt Nierhoff. Kinder, die über Jahre hinweg regelmäßig vor der Kamera stehen, deren Eltern ihre Berufe aufgeben, um das mediale Familienunternehmen zu managen, die Millionen verdienen und dabei psychisch unter enormem Druck stehen. „Das Fatale ist: Diese Form der Kinderarbeit ist nicht nur erlaubt, sie wird oft nicht einmal als solche erkannt.“
Promotion an der FernUni
Der 31-Jährige ist Justiziar bei der Bundespolizei in Berlin. Sein Weg dorthin begann im westfälischen Coesfeld, führte ihn über das Jurastudium in Heidelberg, ein Masterstudium in Völkerrecht am UN-Forschungsinstitut in Turin und ein Referendariat in Dortmund schließlich zur FernUniversität in Hagen. Als wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Bürgerliches Recht, Arbeitsrecht und Rechtsvergleichung ergab sich das Thema beinahe zufällig. „Ich wollte etwas mit internationalem Bezug – Kinderarbeit etwa“, erzählt er. Seine Betreuerin und Lehrstuhlinhaberin Prof. Dr. Kerstin Tillmanns war sofort begeistert, hatte das Thema selbst schon lange im Blick. Dass es ausgerechnet Kinder in deutschen Kinderzimmern sein würden, die im Zentrum seiner Forschung stehen würden, überraschte auch ihn.

„Man denkt bei Kinderarbeit an Minen in Entwicklungsländern – aber sie findet auch direkt vor unseren Augen statt.“
Dr. Till Nierhoff
Denn juristisch ist der Fall klarer, als viele glauben: „Die Arbeitswelt von Medienkindern ist rechtlich keineswegs ein blinder Fleck. Doch das Paradoxe daran ist, dass die durchaus klaren Regeln nicht angewandt werden“, betont Nierhoff. Die größte Herausforderung sieht er in der Durchsetzung. „Die Aufsichtsbehörden wissen oft, was passiert. Aber es fehlen Ressourcen und klare Zuständigkeiten.“ Seine Dissertation streift fast alle juristischen Felder: Familienrecht, Arbeitsrecht, allgemeines Zivilrecht, öffentliches Recht, Völker- und Unionsrecht. „Eine Herausforderung war, viele Perspektiven zusammenzubringen – doch gerade das hat mich gereizt. Ich wollte keine dogmatische Abhandlung schreiben, sondern ein greifbares gesellschaftliches Thema durchdringen.“
Kinderarbeit auch in Deutschland
Der Ort der Ausbeutung moderner Kinderarbeit ist oft das eigene Zuhause und die Eltern befinden sich in einer Doppelrolle. „Wenn Eltern ihre Kinder als Influencer vermarkten, sind sie juristisch gesehen Arbeitgeber. Und sie sind gleichzeitig die gesetzlichen Vertreter des Kindes. Die Familie ist hier nicht Schutzraum, sondern Arbeitsplatz.“ Gerade wenn Kinder zum Hauptverdiener der Familie werden, wie im Fall prominenter YouTube-Stars, sei das Argument, alles ist freiwillig und jederzeit kündbar, trügerisch. „Die psychische Belastung ist real – auch wenn keine Fabrikhalle im Spiel ist“, so Nierhoff.
Ein Fall wie der erfolgreiche YouTube-Kanal Mileys Welt, dessen Betreiber inzwischen ihren Lebensunterhalt durch die Präsenz ihrer Tochter bestreiten, zeigt, wie dringend Klarstellungen wären. Nierhoff plädiert deshalb für konkrete Schutzmechanismen: etwa einen Fonds, in den Einnahmen kindlicher Medienarbeit verpflichtend eingezahlt werden – ähnlich wie in den USA oder Frankreich. „Es geht nicht darum, Eltern zu kriminalisieren, sondern Kinder zu schützen, vor allem finanziell. Denn das Geld gehört dem Kind.“
Von der FernUni zur Bundespolizei
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Die Probleme rund um Kinderarbeit in den Medien werden nicht verschwinden – da ist sich Nierhoff sicher. Im Gegenteil: „Je mehr Geld in der Branche fließt, desto wichtiger wird es, dass wir genau hinschauen.“ Die Frage, wie sich das auf die kindliche Psyche auswirkt, sei bislang kaum untersucht. „Wir brauchen mehr Aufklärung – und eine Debatte, die über Klickzahlen hinausgeht.“
Nierhoffs beruflicher Alltag bei der Bundespolizei ist weit entfernt von Kinderarbeit – aber die analytische Schärfe aus der Promotionszeit kommt ihm zugute. „Man muss komplexe Sachverhalte präzise herunterbrechen können – das hilft enorm, etwa in der Rechtsberatung von Polizistinnen und Polizisten.“ In seiner Rolle als Justiziar begleitet er dienstrechtliche Verfahren, vertritt die Behörde vor Gericht und steht im ständigen Austausch mit Nichtjuristen. Die Vielseitigkeit des Jobs begeistert ihn: „Ein breites, spannendes Feld, in dem analytisches Denken extrem hilfreich ist.“
Mut zu sensiblen Themen
Die Entscheidung zur berufsbegleitenden Promotion an der FernUni bezeichnet er als fordernd, aber lohnend. „Die Bedingungen waren hervorragend, die Betreuung intensiv, der Zugang zur Literatur flexibel. Für Berufstätige ist die FernUni ein Glücksfall.“
Sein Rat an Nachwuchsjuristinnen und -juristen, die sich mit gesellschaftlich sensiblen Themen befassen wollen: „Mut haben. Es muss nicht alles durchdacht sein. Gute Ideen treffen oft auf offene Ohren – wie bei mir damals.“ Gerade die FernUniversität sei mit ihrer Infrastruktur und Flexibilität ein guter Ort, um auch neben dem Beruf zu promovieren.