Stolen Memory macht Schicksale sichtbar
Die Wanderausstellung #StolenMemory wurde an der FernUniversität eröffnet – begleitet von einem Workshop und studentischen Präsentationen.

Ringe, Füllfederhalter und Taschenuhren – persönliche Gegenstände, die einst Menschen gehörten, die von den Nationalsozialisten in Konzentrationslager verschleppt wurden. Es sind letzte Spuren, die Jahrzehnte in Archiven lagerten und heute stumme Zeugen von Verfolgung und Gewalt sind. Genau diese Objekte zeigt die Wanderausstellung #StolenMemory, die am 25. September auf dem Parkplatz der FernUniversität in Hagen eröffnet wurde. Untergebracht in einem schlichten Übersee-Container entfalten sich eindrücklich Erinnerungen an individuelle Schicksale. Bis zum 7. Oktober ist die Ausstellung in Hagen zu sehen.
Erinnerung in bewegter Zeit
Die Eröffnung war zugleich Auftakt für den Workshop „Die biographische Dimension der Public History“. Expert:innen aus Deutschland, Österreich und der Schweiz waren nach Hagen gekommen. Gemeinsam diskutierten sie aktuelle Herausforderungen der Geschichtsvermittlung – besonders, wie Biografien genutzt werden können, um Geschichte greifbar zu machen.

Rektor der FernUniversität Prof. Dr. Stefan Stürmer würdigte Ausstellung und Workshop als Beitrag zur kollektiven Erinnerung: „Diese Ausstellung könnte zu keinem passenderen Zeitpunkt hier sein. Wir sehen derzeit, wie historische Narrative umgedeutet werden. Umso wichtiger ist es, standhaft zu bleiben im Erinnern und im gemeinsamen Diskurs. Dass unsere Studierenden in einem Präsenzseminar in den Arolsen Archives geforscht haben und ihre Ergebnisse nun hier vorstellen, zeigt, wie innovativ die FernUniversität moderne Lehrkultur mit wissenschaftlicher Forschung verbindet.“
Spurensuche nach individuellen Geschichten
Im Mittelpunkt des Workshops standen die Präsentationen von FernUni-Studierenden, die in den Arolsen Archives an Einzelschicksalen geforscht hatten. Die Arolsen Archives sind das weltweit größte Archiv zu den Opfern und Überlebenden der nationalsozialistischen Verfolgung. Sie bewahren rund 30 Millionen Originaldokumente auf, die von KZ-Häftlingen, Zwangsarbeiter:innen und anderen Verfolgten erzählen. Seit 2016 werden persönliche Gegenstände von ehemaligen KZ-Häftlingen, die jahrzehntelang im Archiv lagerten, an Familien zurückgegeben. Über 1.000 dieser Gegenstände konnten so bereits übergeben werden, mehr als 2.000 warten noch auf ihre Rückkehr.
Ziel der FernUni-Studierenden war es, Biografien zu rekonstruieren und die Geschichten von Menschen sichtbar zu machen, deren persönliche Gegenstände bis heute auf eine Rückgabe an Angehörige warten. Eine zentrale Rolle spielte dabei Angela Beljak, wissenschaftliche Mitarbeiterin im Lehrgebiet Public History. Sie hatte das Projekt initiiert und koordiniert, stellte die Verbindung zu den Arolsen Archives her und führte mit ihrer Expertise in das Thema ein. Um das Anliegen von #StolenMemory greifbar zu machen, schilderte sie den Fall von Zofia Mościcka, die 1944 ins KZ Ravensbrück verschleppt wurde und überlebte – ihr Ring konnte 80 Jahre später an ihre Enkelin zurückgegeben werden.
Fokus auf eine lange übersehene Opfergruppe
Im Seminar stießen die Studierenden dann auch auf schwierige Kategorien wie die der sogenannten Berufsverbrecher. Als Berufsverbrecher stufte das NS-Regime Menschen ein, die mehrfach vorbestraft waren – unabhängig von der Art ihrer Delikte –, und erklärte sie pauschal für „gemeinschaftsfremd“. Nach nationalsozialistischer Ideologie wurde daraus ein Charakterbild konstruiert. Diese Akten galten oft als „ungelöste Fälle“, weil die Suche nach Angehörigen besonders schwer ist. Während sich Nachfahren von Zwangsarbeiterinnen manchmal leichter über einen Aufruf in sozialen Medien finden ließen, blieben die Spuren der Berufsverbrecher meist im Dunkeln. Hinzu kommt, dass „Berufsverbrecher“ überhaupt erst im Februar 2020 offiziell als Opfer der NS-Diktatur anerkannt wurden.
„Die Spurensuche in Archiven wie den Arolsen Archives ermöglicht Studierenden, diese Zusammenhänge sichtbar zu machen – und trägt dazu bei, Erinnerungskultur lebendig zu halten.“
Prof. Dr. Felix Ackermann
Lange Zeit herrschte gesellschaftlicher Konsens darüber, dass jemand, der als Verbrecher galt, das KZ verdient habe. Bei einem Besuch im Archiv in Bad Arolsen stellten die Studierenden fest, dass ihnen fast ausschließlich Fälle aus dieser Opfergruppe übergeben worden waren. Sie nahmen sich diesem Umstand bewusst an und rekonstruierten die Biografien von Männern wie Siegfried und Wilhelm Upmeier oder Friedrich Wilhelm Falke – Menschen, die stigmatisiert und in Konzentrationslagern inhaftiert waren.
Der Workshop, der vom Lehrgebiet Public History unter der Leitung von Prof. Dr. Felix Ackermann veranstaltet wurde, verbindet familiäre Geschichten mit gesellschaftlicher Erinnerung. „Unsere Arbeit zeigt, dass private und kollektive Narrative oft eng verwoben sind“, so Ackermann. „Die Spurensuche in Archiven wie den Arolsen Archives ermöglicht Studierenden, diese Zusammenhänge sichtbar zu machen – und trägt dazu bei, Erinnerungskultur lebendig zu halten.“ Auch wenn nicht jede Suche erfolgreich war, blieb der Gewinn spürbar: Die Recherche machte aus Akten wieder Menschen mit Gesichtern.
FernUni als Ort der Bildung und Verantwortung
Elisabeth Schwabauer ist Mitarbeiterin der Arolsen Archives und extra zur Ausstellungseröffnung nach Hagen gekommen. Sie dankte den Studierenden für ihr Engagement: „Jede Spurensuche hilft uns, Geschichte lebendig zu machen und den Familien ein Stück Erinnerung zurückzugeben. #StolenMemory zeigt, dass Erinnerung nicht nur in Archiven oder Museen lebt, sondern durch die Arbeit der Menschen, die hinschauen und nachfragen.“
So verband die Veranstaltung historische Aufarbeitung mit aktueller Forschung und studentischem Engagement – ein lebendiges Beispiel dafür, wie die FernUni Geschichte nicht nur bewahrt, sondern aktiv in die Gegenwart trägt. Maßgeblich unterstützt wurden Workshop und Rahmenprogramm vom Allgemeinen Studierendenausschuss (AStA) der Fernuni.