Richtig handeln in schwierigen Zeiten

Unternehmen sollen Umsatz machen – das scheint klar. Doch wie sieht es mit der ethischen Verantwortung aus? Solche Fragen thematisiert das neue Überblickswerk „Unternehmensethik“.


Foto: Artur Debat/Moment/Getty Images
Alles nur Fassade? Viele Unternehmen stehen im Verdacht, ethische Maßnahmen nur aus Imagegründen umzusetzen – zum Beispiel beim Umweltschutz, Stichwort „Greenwashing“.

Im Januar 2025 wurde Donald Trump als 47. Präsident der USA vereidigt. Die großen Technologiekonzerne, die vormals öffentlich für Werte wie Diversität, Inklusion oder Nachhaltigkeit warben, wechselten plötzlich ihren Tonfall, schienen sich regelrecht den Forderungen der neuen Regierung zu unterwerfen. So verabschiedete sich etwa Mark Zuckerberg, der milliardenschwere Kopf hinter Facebook, WhatsApp und Instagram, hastig per Videobotschaft von bisherigen ethischen Standards zur Plattformregulierung. „Die Festigkeit einer ethischen Überzeugung zeigt sich im Umgang mit Widerständen“, sagt Prof. Dr. Jürgen Weibler. Er ist Professor für BWL, insbes. Personalführung und Organisation, an der FernUniversität in Hagen – und hat vor kurzem gemeinsam mit Dr. Thomas Kuhn (Privatdozent an der Universität St. Gallen) ein neues Überblickswerk verfasst: „Unternehmensethik: Macht, Maßlosigkeit, Moral. Einsichten zum Zusammenspiel von Wirtschaft und Gesellschaft“, erschienen im Verlag Vahlen.

Das rund um die US-Wahlen beobachtete Phänomen ist nicht unbekannt: Unternehmen stehen häufig im Verdacht, ethische Programme eher aus Imagegründen, denn aus Überzeugung zu fahren – und sich von den behaupteten Werten zu verabschieden, sobald Nachteile drohen. Eine „Ethik des guten Wetters“, pointiert Prof. Weibler: „Wir beobachten schon, dass ökonomischer Opportunismus derzeit über eine Werteorientierung dominiert.“

Dabei ist Unternehmensethik keine Nebensache: Die Haltung großer Organisationen hat besonders viel Gewicht in einer Welt globalisierter Märkte, teils sogar mehr, als das mancher Staaten. „Die Macht von Großunternehmen hat eine Dimension angenommen, die einzigartig in der globalen Wirtschaftsgeschichte ist“, bilanziert Weibler. Einem auf Vielfalt, Aushandlung und Ausgleich basierenden Ethikverständnis steht diese enorme Machtkonzentration entgegen.

BWL mit philosophischem Getriebe

Doch wie lässt sich Unternehmensethik überhaupt fassen? „Die Ethik ist ein Bereich der praktischen Philosophie und war über Jahrtausende Gegenstand intensiver Reflexionen“, erklärt Jürgen Weibler. Vereinfacht gesagt, geht es dabei um die Frage nach dem „richtigen Handeln“. Dahinter steht eine zweite Ebene der Moral – also die „Frage, welche Wertvorstellungen über das Gute und Richtige in einer Gemeinschaft vorliegen“. Wie passen diese philosophischen Begriffe zur BWL? „Ich sehe die Betriebswirtschaftslehre als eine Disziplin, die ihren eigenständigen Platz unter den Sozialwissenschaften findet“, betont der FernUni-Ökonom. „Gerade bei der Unternehmensethik sollte man Wirtschaft und Gesellschaft zusammendenken.“ Dabei nicht auch auf die philosophische Denktradition einzugehen, „das wäre Etikettenschwindel“.

Bewusst weiten die beiden Autoren deshalb ihren Blickwinkel – und greifen in ihrem Buch auch in den geisteswissenschaftlichen Methodenkoffer: „Wir müssen eben die Theorien und Ansätze heranziehen, die gegenstandsadäquat sind.“ Gewöhnlich sei diese offene Denkweise nicht in einem Fach, das sich traditionell an ökonomischen Messgrößen und Zahlen abarbeite – etwa mit Blick auf Umsatzrendite, Produktivität, Mitarbeiteranzahl oder Wachstum. „Fragen der Ethik werden da gerne ausgelagert.“

Prof. Dr. Jürgen Weibler Foto: Volker Wiciok

„Ethik setzt voraus, dass man auch bereit ist, sich einzusetzen für das, was man sagt.“

Prof. Dr. Jürgen Weibler

Modernes Forschungsthema

Zu diesem Befund passt auch der Blick in den Rückspiegel: „Es gab zwar in der Geschichte gewisse Ansätze – etwa dazu, was einen ‚ehrbaren Kaufmann‘ ausmacht oder ein Nachdenken über eine protestantische Ethik“, wertet Weibler den neuzeitlichen Diskurs. „Eigentliche ethische Auseinandersetzungen haben aber lange Zeit überhaupt nicht stattgefunden.“ Kritik musste sich die Ökonomie eher von außen anhören, ernsthafte Selbstreflexion? Lange Zeit Fehlanzeige.

Erst in den 1980er Jahren wurde das Thema von einigen reformerischen Forschenden in die BWL eingebracht – und fand somit auch seinen Weg in eine Marktwirtschaft, die sich irgendwie in Beziehung setzen musste zu den vielen verursachten Scherbenhaufen: Umweltzerstörung, Korruption, Ausbeutung – hinter Phänomenen wie diesen stand allzu offensichtlich die pekuniäre Maßlosigkeit einzelner Unternehmen, Manager oder Aktionäre. „Durch marktwirtschaftliches Versagen und dessen ungünstige Auswirkungen ist ein hoher Druck entstanden“, so Weibler.

Management in der Pflicht?

Reaktion auf Druck ist das eine, Überzeugung das andere. Ethik sollte mithin mehr sein als ein Marketinginstrument. Häufig genug wurde sie als solches missverstanden, so Weibler: „Lange Zeit herrschte die Ansicht: ‚Ethik zahlt sich aus‘.“ Die Annahme dahinter: „Wenn ich mich als Unternehmen ethisch verhalte, habe ich ein gutes Image – dann kommen auch die Konsumenten zu mir und alle sind glücklich.“ Wie brüchig dieses ethische Win-win-Verständnis sein kann, zeigt das eingangs erwähnte Beispiel der Tech-Riesen im Nachgang der US-Wahl.

Am Ende stellt sich auch die Frage nach Verantwortlichkeit. „Letztlich sind alle Mitarbeitenden in einem Unternehmen mitverantwortlich, wiewohl man dem Einzelnen nicht aufbürden kann, ganz allein ein heroisches Bild abzugeben“, so Weibler. Dennoch könne jeder Mensch in seinem Wirkungskreis agieren und bewusste Entscheidungen treffen – bis hin zur Kündigung. „Man sollte sich nicht selber korrumpieren.“ Besonders viel lastet indes auf den Schultern der Führung: „Manager müssen, teils gebunden an ihre Vergütung, Umsätze generieren. Aus der empirischen Forschung wissen wir, dass der dadurch erzeugte Druck auch mit einer größeren Wahrscheinlichkeit zu einem ethischen Fehlverhalten führt.“

Infos zum Buch

Weibler/Kuhn: Unternehmensethik: Macht, Maßlosigkeit, Moral. Einsichten zum Zusammenspiel von Wirtschaft und Gesellschaft. Vahlen 2025

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Alternative im Kleinen

Welche Marktkonstellation wäre aus unternehmensethischer Sicht förderlich? „Wir benötigen auch weiterhin eine Mischung aus kleineren und größeren Unternehmen“, urteilt Weibler – wobei er gerade kleineren, nicht börsennotierten Organisationen eine tragende Rolle zuschreibt: „Kleinere Unternehmen werden meist von Einzelpersonen geführt, die diese gegründet oder geerbt und ihr eigenes Geld im Betrieb haben“, so der Forscher. „Damit haben sie auch mehr Zugriff aufs Unternehmen und eine größere emotionale Verbundenheit.“ Die Autonomie sei gleichzeitig ein guter Nährboden für ethisch eigenverantwortliches Handeln. Ein weiterer Punkt: Wer mit mehr Bodenhaftung agiert, etwa weil er fest in seiner Region verwurzelt ist, handelt wahrscheinlich auch nach anderen Maßstäben als rein kalkulatorischen: „Vernunft ist kalt, sie wärmt nicht emotional. Ich brauche eine Verbundenheit zu meiner Gemeinschaft.“

Wie geht es weiter?

Die starke Einbindung ins soziale Ökosystem macht einen wichtigen Unterschied. Bei seinen Erwägungen zur Unternehmensethik geht Jürgen Weibler jedoch noch einen Schritt weiter – und benennt damit auch die Grenzen seines aktuellen Überblickswerks: „Eigentlich müssten wir bei all dem die Biosphäre noch viel stärker berücksichtigen.“ Es gelte mithin, nicht nur vom Menschen her zu denken. „Wir stehen in einem viel größeren Zusammenhang mit allen belebten Bereichen der Welt.“ Die Natur einfach ausklammern – nach dem Muster „wir und die Natur“? Das dürfe nicht mehr passieren: „Wir sind nicht nur Beobachter oder Gestalter, sondern Bestandteil. Eine planetare Ethik ist das Gebot der Stunde“, ist der Wirtschaftsprofessor überzeugt. Vielleicht liegt darin ja bereits der Keim für ein nächstes wissenschaftliches Buch.

 

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Benedikt Reuse | 17.07.2025