Ein Kompass für die Energiewende

Junge Wissenschaftler:innen der FernUniversität werden im Wissenschaftsjahr Zukunftsenergie für ihre Kommunikationsidee „Chancengleichheit in der Energiewende “ ausgezeichnet.


Foto: the_burtons/GettyImages

Informiert bleiben

Beitrag aus dem FernUni-Newsletter @fernuni.

Fernuni-newsletterFoto: Jakob Studnar

Lesen & abonnieren

Die Energiewende ist mit massiven Kosten verbunden. Das bedeutet, dass vor allem einkommensschwache Familien durch steigende Energiekosten und oft mangelhafte Energieeffizienz ihrer Wohnverhältnisse stark belastet werden. Wer schon Schwierigkeiten hat, die Stromrechnung zu bezahlen, kann sich keine energieeffizienten Geräte oder neuen Technologien wie Balkonkraftwerke leisten und bleibt oft von modernen Stromtarifen ausgeschlossen – dabei sind das wichtige Bausteine für die Energiewende.

Um diesem Missstand entgegenzuwirken, braucht es gezielte Maßnahmen: Zuschüsse, gestaffelte Energietarife und vor allem leicht zugängliche Beratungsangebote. Genau hier setzt ein Projekt der FernUniversität an: der „Energiewende-Kompass“.

Interdisziplinäre Forschung

Kern des Projekts ist die Entwicklung einer interaktiven Online-Plattform, die insbesondere einkommensschwache Haushalte über ihre Möglichkeiten zur Teilhabe an der Energiewende informiert, indem sie etwa Einsparpotenziale beim Strombezug aufzeigt. „Viele Haushalte in Deutschland sind im Grundversorgertarif ihres Energiedienstleisters. Diese Tarife sind in der Regel besonders teuer. Über 60 Prozent der Stromkundinnen und -kunden könnten durch einen Wechsel Geld sparen. Doch für einkommensschwache Haushalte ist das oft nicht so einfach“, erklärt Dr. Michael Bucksteeg, Junior-Professor für Energiewirtschaft an der FernUni und Mitglied des Forschungsschwerpunkts Energie, Umwelt & Nachhaltigkeit (FSP E/U/N).

Die Idee für den Energiewende-Kompass entstand im interdisziplinären Austausch im E/U/N-Cluster Sozio-technische Transformationen des Energiesektors: Neben Bucksteegs wirtschaftlicher Perspektive fließen über Julia-Lena Reinermann und Hannah Müller Erkenntnisse aus den Kommunikations- und Umweltwissenschaften und über Dr. Anna Wenz-Temming Ansätze aus der Policy-Forschung ein.

Wissenschaftsjahr „Zukunftsenergie“

Mit ihrer Idee für den Energiewende-Kompass sind die jungen Forscher:innen im Hochschulwettbewerb 2025 aus knapp 120 Einreichungen als eine von zehn Projektideen mit einem Preisgeld von 10.000 Euro ausgezeichnet worden. Das Wissenschaftsjahr ist eine Initiative des Bundesministeriums für Bildung und Forschung gemeinsam mit Wissenschaft im Dialog.

Informationsdschungel lichten

Oft fehlen einkommensschwachen Haushalten die Mittel und das Wissen, sich durch die komplexen Tarifstrukturen zu navigieren. „Welcher Stromtarif passt zu mir, zu meinen Gewohnheiten und meinem Haushalt? Das ist schon für Otto-Normalverbraucher schwer zu beantworten. Vergleichsportale und die Tarife selbst sind oft kompliziert, was dazu führt, dass viele Menschen einfach beim Grundversorger bleiben“, erklärt Bucksteeg.

Die zu hohe Komplexität (der Tarife selbst) kann das FernUni-Projekt nicht reduzieren. „Unser Anspruch ist es“, erläutert Bucksteeg, „diese Komplexität zu verstehen und die Informationen so aufzubereiten, dass Menschen aufgeklärter an ihre Tarifwahl herangehen.“

Drei Schritte zum Tool

Das Projekt verfolgt einen dreistufigen Ansatz: Interviews mit Expert:innen, eine Online-Befragung unterstützt durch Prof. Dr. Robert Gaschler und einen partizipativen Workshop. „Besonders das partizipative Element ist uns wichtig, da hier wissenschaftliche Erkenntnisse mit den Perspektiven der Betroffenen verknüpft werden sollen“, betont Anna Wenz-Temming, wissenschaftliche Mitarbeiterin im Lehrgebiet Politikfeldanalyse & Umweltpolitik.

Wir müssen die Kommunikation zu Energiethemen so gestalten, dass sie möglichst viele erreicht.

Hannah Müller, Lehrgebiet Umweltwissenschaften

Über die Expert:innen-Interviews sollen Problemfelder identifiziert und schon mögliche Lösungsansätze entwickelt werden. Für die Interviews arbeitet das Projekt-Team mit dem Fachbereich Jugend & Soziales der Stadt Hagen, dem regionalen Energieversorger Enervie und den Verbraucherzentralen aus NRW und Rheinland-Pfalz zusammen. „Die Erkenntnisse, die wir aus den Interviews ziehen, fließen dann unter anderem in die repräsentative Online-Befragung ein“, erklärt Bucksteeg. „So können wir am Ende auch vergleichen, ob die Probleme vielleicht nicht nur einkommensschwache Haushalte, sondern auch andere Bevölkerungsgruppen betreffen.“

Dialog mit Betroffenen

Die Herausforderung, einkommensschwache Haushalte überhaupt zu erreichen, macht Hannah Müller, wissenschaftliche Mitarbeiterin im Lehrgebiet Umweltwissenschaften, deutlich: „Über den Workshop wollen wir möglichst einen direkten Kontakt zu Betroffenen bekommen, damit sie ihre Perspektiven ungefiltert einbringen. Dieser Dialog und die Teilhabe – darin besteht ein wertvoller Mehrwert des Projekts.“ Darüber hinaus sind Kooperationen mit Quartiersmanagements und Vereinen aus Hagen geplant. „Das sind Möglichkeiten, um die Perspektiven der Betroffenen auch über Vertreter:innen mitzunehmen.

Blick in die Zukunft

Bis Ende 2025 soll das frei zugängliche Online-Tool fertiggestellt sein. Kommunikation spielt dabei eine Schlüsselrolle – nicht nur im Projekt, sondern auch in der Verbreitung des Tools. „Wir müssen die Kommunikation zu Energiethemen so gestalten, dass sie möglichst viele Stromkundinnen und -kunden erreicht und dabei unterstützt, ihre Stromversorgung aktiv zu gestalten“, so Hannah Müller.

Der Energiewende-Kompass ist ein vielversprechender Schritt hin zu mehr Chancengleichheit in der Energiewende – und ein Beispiel dafür, wie Wissenschaft konkrete gesellschaftliche Herausforderungen angeht.

    • Jun.-Prof. Dr. Michael Bucksteeg, Lehrgebiet Energiewirtschaft, Sprecher des Clusters Sozio-technische Interaktionen im Klimaschutz (E/U/N): Seine Forschungsschwerpunkte liegen in den Bereichen Energiesystemmodellierung, Marktdesign und Integration von erneuerbaren Energien sowie Energie und Verhalten.
    • Mensur Delic, wiss. Mitarbeiter im Lehrgebiet Energiewirtschaft: In seiner Forschung befasst er sich mit der Abbildung von Verhalten und Rebound-Effekten in Energiesystemmodellen.
    • Prof. Dr. Robert Gaschler, Lehrgebiet Allgemeine Psychologie – Lernen, Motivation, Emotion: Er unterstützt das Projekt bei der Gestaltung und Evaluation der Online-Plattform.
    • Hannah Müller, wiss. Mitarbeiterin im Lehrgebiet Umweltwissenschaften: Ihre Forschungsinteressen umfassen Stadtentwicklung und Raumgestaltung sowie Partizipation und Diskursforschung in sozialökologischen Transformationsprozessen.
    • Dr. Stefan Poier, Postdoc im Lehrgebiet Energiewirtschaft: Seine Forschungsinteressen liegen im Bereich erneuerbarer Energien und Konsumentenverhalten.
    • Dr. Julia-Lena Reinermann, Postdoc im Lehrgebiet Umweltwissenschaften: Ihre Forschungsinteressen umfassen die Kommunikation von Nachhaltigkeit und Klimawandel in den Medien, die partizipative Bewertung von (Umwelt-)Technologien und die Bedeutung von Wissenschaftsaktivismus.
    • Dr. Anna Wenz-Temming, wiss. MA im Lehrgebiet Politikfeldanalyse & Umweltpolitik: Ihre Forschungsschwerpunkte liegen in den Bereichen Klimapolitik und nachhaltige Mobilität, Klimaklagen, Policy-Prozesse und Policy-Design, Europäische Integrationsforschung mit Fokus auf EU-Haushalts- und Finanzstrukturen.

Das könnte Sie noch interessieren

Anja Wetter | 28.04.2025