Open Education verändert Bildungsprozesse

PD Dr. Markus Deimann hat sich für seine Habilitationsschrift an der FernUniversität mit Open Education beschäftigt und die theoretischen Bezüge zur Bildungswissenschaft hergestellt.


Drei Männer stehen nebeneinander. Einer hält eine Urkunde vor sich.
Freuen sich mit PD Dr. Markus Deimann (m.) über die Habilitationsurkunde im Fach Erziehungswissenschaft: KSW-Dekan Prof. Frank Hillebrandt (li.) und Prof. Theo Bastiaens als Betreuer der Arbeit. (Foto: FernUniversität, Pressestelle)

„PD“ für „Privatdozent“: Diesen Zusatz darf Dr. Markus Deimann jetzt ab sofort im Namen führen. Seine Habilitationsschrift im Lehrgebiet Mediendidaktik von Prof. Dr. Theo Bastiaens an der FernUniversität in Hagen ist durch: „Open Education – Gegenstand, Theorie und Diskurs“. Deimann hat die Venia Legendi, die Lehrbefugnis, für das Fach Erziehungswissenschaften erhalten.

Der Wissenschaftler ist der FernUniversität in Hagen besonders verbunden: Zehn Jahre arbeitete er als Wissenschaftlicher Mitarbeiter und Akademischer Rat bei Prof. Bastiaens – nach den Stationen Mannheim, Ilmenau, Erfurt und Tallahassee/Florida. Schon seine Dissertation aus dem Bereich „Instructional Design – Bildungstechnologien“, die er an der FernUniversität beendete, beschäftigte sich mit einer Teildisziplin der Medienpädagogik. In das Nischenthema „Open Education“ (OE) rutschte Deimann über eine Projektarbeit – und biss sich wissenschaftlich daran fest.

Theoretischer Unterbau fehlt

Er veröffentlichte zu dem Thema, initiierte zwei Reihen der in Deutschland eher skeptisch beäugten Massive Open Online Courses (MOOCs) an der FernUniversität mit, kannte bald die um das Thema OE und Open Educational Resources kreisende Scientific Community von Konferenzen und merkte: „In der deutschsprachigen Erziehungswissenschaft fehlt der theoretische Unterbau, der bildungswissenschaftliche Rahmen.“ Damit hatte er die Zielrichtung seiner Habilitationsschrift festgeschrieben.

Für Deimann bietet sich die Erziehungswissenschaft geradezu an, um die aktuellen Transformationsprozesse von Digitalisierung der Bildung historisch zu verankern, zu analysieren und zu erklären. Dabei konzentriert sich der Wissenschaftler auf „Globalvarianten“ der Open Education: OE als „reformpädagogische Befreiungsbewegung“, Open Educational Ressources als „digitales Gemeingut“ und MOOC als „kostenfreie Massenkurse im Internet“.

Open Education verändert Bildungsprozesse

Bildung ist für Deimann als disziplinübergreifende Klammer geeignet, Open Education zu beschreiben. Open Education hat Bildungsprozesse verändert: Wissen entsteht im Kollektiv, es wird gemeinsam produziert und verteilt.

Diese Prozesse bringen für die Bildungsinstitution Hochschule Fragen mit sich: Wer darf lernen? Was soll gelernt werden? Wie wollen wir lernen und wie soll das Gelernte überprüft werden? „Durch die Wandlungsprozesse von der Industrie- zur Wissensgesellschaft müssen Dinge neu verhandelt werden: wie der Zugang zu Bildung und der Bildungskanon von Studiengängen im Sinne von Bildungsressourcen für die Gesellschaft“, erläutert Deimann.

Zudem zeichne sich ab, dass Lernszenarien aufbrechen: weg von der standardisierten Methode hin zu individuellen Lernarrangements. „Durch die Öffnung des Zugangs und die Diversifizierung von Angebotsstrukturen muss auch der Aspekt der Zertifizierung von Lernleistungen neu diskutiert werden. Es geht um die Möglichkeit, Lernleistungen in multimedialer und verteilter Weise darzustellen, etwa als digitales Zertifikat, um den Raum des traditionellen Zertifizierens zu überschreiten.“

Architektur offener Hochschulbildung

Aufbauend auf seinen theoretisch-philosophischen Ausführungen entwickelte Deimann „eine Architektur offener digitaler Hochschulbildung“, die eine internationale Entwicklung skizziert und unterschiedliche Werthaltungen zum Thema Öffnung in verschiedenen Handlungs- und Geschäftsfeldern an Hochschulen widerspiegelt. Deimann stuft Hochschulen in ihren zentralen Funktionsbereichen Zugang, Inhaltsvermittlung/Didaktik und Zertifizierung ein in die Ausprägungen geringe, mittlere oder hohe Offenheit.

Mehrere Personen sitzen auf einer Bank und beugen sich über ein Tablet.
Im Studium kommen auch Tablets und Smartphones zum Einsatz. (Foto: FernUniversität, Torsten Silz)

Seine Schlussfolgerung: „In Deutschland ist etwa die Bereitschaft, neue Technologien auszuprobieren, geringer als etwa in den angelsächsischen Ländern. Es gibt Vorreiter auf den Gebieten Open Education, Open Data und MOOCs, aber nur wenige. Das sieht im europäischen Ausland zum Teil anders aus. Da geben manche Institutionen ein hohes Tempo bei der Öffnung von Lehr-Lern-Praktiken vor.“

Aber auch in Deutschland bewegen sich Hochschulen, in der Regel reagieren sie aber nur auf Vorstöße aus der Politik: etwa mit erweiterten Zugangsberechtigungen für beruflich Qualifizierte oder Zertifikatsstudien zur Anerkennung von Lernleistungen. „Diese Öffnungsbewegungen entsprechen einem mittleren Offenheitscode“, sagt Deimann und fügt hinzu: „Unklar ist zurzeit noch, inwieweit diese mittlere Form von Offenheit sich stabilisierend oder gar als Auslöser für eine zukünftige Schließungsbewegung auswirkt. Es kann auch einen konservativen ,Backlash‘ als Ausdruck von Beharrungskraft auslösen.“

Offenheitscodes der FernUniversität

Die FernUni stuft der habilitierte Wissenschaftler mit ihrem Angebot Akademiestudium beim Zugang in die Kategorie hoch, hinsichtlich der Zertifizierung allerdings bei gering ein. Das Zertifikatsstudium ist unterhalb des Bachelor-Abschlusses angesiedelt.

Strategische Bildungsoffensive erforderlich

„Es bedarf einer ,strategischen Bildungsoffensive für die digitale Wissensgesellschaft‘, um die politischen Initiativen auf Bundes- und Länderebene zur digitalen Bildung anzugleichen“, meint Deimann. Hier sieht er Ansatzpunkte für die Bildungswissenschaft, sich mehr als bisher in öffentliche Debatten einzumischen und klar Position zu beziehen.

Die Bildungswissenschaft sei als Stichwortgeberin prädestiniert: für neue didaktische Konzepte zur digitalen Bildung oder zur Neubestimmung der Möglichkeiten und Grenzen des gesellschaftlichen Zusammenlebens und der Bildung in der digitalen Welt. „Wir brauchen Offenheit und Bereitschaft, sich auf technologische Neuerungen einzulassen, da diese in zunehmendem Maße die Lebenswirklichkeit bestimmen.“

Auch die Hochschulen fordert Deimann ausdrücklich auf, sich einzumischen in die Debatten um Digitalisierung und offene(re) Bildung – und sich selbst mehr zu öffnen. „Mit neuen Offenheitsstandards ist die Hoffnung verbunden, auch neue Standards in der digitalen Bildung zu erlangen. Die können weder durch Zwang noch durch das reine Vertrauen auf die Selbsterkenntnis der beteiligten Akteurinnen und Akteure zu schaffen sein.“

Anja Wetter | 26.05.2017