Bewährtes aus der Präsenzlehre in das mathematische FernUni-Studium übernehmen

Gemeinsam Mathematik besser verstehen: Für ihr Projekt „Inverted Classrooms im Fernstudium Mathematik“ wird Prof. Luise Unger von NRW-Wissenschaftsministerium und Stifterverband gefördert.


Bewährten Elementen der Präsenzlehre im Fach Mathematik will Prof. Dr. Luise Unger in der FernUniversität in Hagen Türen öffnen, die aus technischen Gründen bisher verschlossen waren. Für ihr Projekt „Inverted Classrooms im Fernstudium Mathematik“ erhält die Leiterin des Lehrgebiets Algebra eine Förderung von fast 50.000 Euro durch das neue Programm „Fellowships für Innovationen in der digitalen Hochschullehre“ des nordrhein-westfälischen Wissenschaftsministeriums und des Stifterverbands.

Damit soll das Betreuungsangebot für ein Pflichtmodul in der Studieneingangsphase des Bachelor of Science Mathematik an der FernUniversität nach der „Inverted-Classroom-Methode“ neu gestaltet werden: Bei dieser Methode arbeiten sich kleinere Studierendengruppen in virtuellen Klassenzimmern – also online im Internet – gemeinsam in mathematische Aufgabenstellungen ein und helfen sich gegenseitig. Lehrende moderieren diese Online-Kooperationen.

Leistungen, die im Rahmen der virtuellen Klassenzimmer erbracht werden, sollen künftig in die Kriterien für die Vergabe der Leitungsnachweise eingehen und die bisher übliche Klausur in Präsenzform ablösen. Prof. Luise Unger: „Gerade die Studierenden in der Mathematik müssen miteinander reden. Der Inverted Classroom gibt uns jetzt die technischen Kommunikationsmöglichkeiten hierfür.“ Die Professorin arbeitet bei ihrem Projekt eng mit dem Zentrum für Medien und IT der FernUniversität (ZMI) zusammen.

Im Detail:

Der „Abstraktionsschock“ beim Übergang von der Schule oder aus dem Berufsleben zu einem Hochschulstudium der Mathematik ist für viele Neustudierende an allen Hochschulen groß. Präsenzuniversitäten betreuen daher die Studierenden wöchentlich in Gruppenveranstaltungen. „Übungsgruppen sind grundsätzlich sinnvoll, weil die Studierenden gezwungen sind, über Mathematik zu sprechen und mathematische Sachverhalte anderen zu erklären, während die Lehrenden hier nur moderieren“, betont Prof. Luise Unger. „Damit kann man Mathematik sehr gut erlernen.“

In der mathematischen Fernlehre der FernUniversität war die Arbeit kleiner Gruppen bisher in dieser Form nicht möglich, denn im Fernstudium sind Betreuungsszenarien wie Tutorien in Kleingruppen oder Übungsgruppen grundsätzlich wesentlich schwieriger zu organisieren: „Fernstudierende der Mathematik müssen mit den Ergebnissen also oft alleine zurechtkommen, sofern sie nicht aus Eigeninitiative Lerngruppen bilden oder auf Mentoriate in Studien- und Regionalzentren zurückgreifen können“, so Luise Unger. „Die FernUniversität bietet hervorragendes Studienmaterial, das unsere Mathematik-Studierenden zukünftig gemeinsam noch besser als bisher durchdringen können“, betont sie. „Die Gruppe wird sich online treffen, diskutieren und Ergebnisse vertiefen.“

Für das Modul „Elementare Zahlentheorie mit Maple“, das zu Beginn des Bachelor-of-Science-Studiums „Mathematik“ an der FernUniversität studiert wird, soll ein technischer und inhaltlicher Rahmen für einen interaktiven Lerndialog in virtuellen Klassenzimmern für etwa 25 Personen entwickelt und etabliert werden. Dies kann zum Beispiel mit Adobe Connect auf der didaktischen Grundlage der „Inverted-Classroom“-Methode geschehen. Dabei eignen sich die Lernenden die Studieninhalte eigenständig an und vertiefen das Gelernte gemeinsam in Präsenzphasen. Die Lehrenden moderieren die Gruppenveranstaltungen. Neben dem besseren Verständnis bietet dieses Modell auch individuelle Erfolgserlebnisse.

Dem nachhaltigen Erfolg soll ein weiteres Element dienen: „Untersuchungen belegen unsere praktische Erfahrung, dass solchen digitalen Lehrangebote verpflichtend sein sollten, weil berufstätige Studierende aufgrund ihrer knappen Zeit oft optionale Angebote nicht nutzen. Das kann den Studienerfolg gefährden. Dem wollen wir vorbeugen.“ Daher sollen Leistungen im virtuellen Klassenzimmer bei der Vergabe des unbenoteten Leistungsnachweises, mit dem das Modul abgeschlossen wird, einbezogen werden.

Die Studierenden müssen, um den Leistungsnachweis zu erwerben, darüber hinaus kontinuierlich Multiple-Choice Aufgaben lösen. Zu jedem der sieben Kapitel des Kurses wird im Rahmen des Projekts ein Pool von Multiple-Choice Aufgaben erstellt. Aus diesem wird den Studierenden auf Anforderung eine individuelle Auswahl zur Verfügung gestellt, die in einem vorgegebenen Zeitfenster zu bearbeiten ist. Wird eine vorgegebene Anzahl davon richtig gelöst, „macht das System ein Häkchen an den Aufgabenblock“, so Unger. Fünf von sieben Aufgabenblöcken müssen so „bestanden“ und mindestens einmal muss im Inverted Classroom „vorgerechnet“ werden, um den Leistungsnachweis zu erhalten.

Wird dies nicht geschafft, steht eine mündliche Prüfung an. „Dafür fällt die Klausur aber weg“, erläutert Unger. Dabei ist allerdings zu beachten, dass eine der Stärken der FernUniversität – die große zeitliche Flexibilität des Studiums – erhalten bleibt: Weil die Teilnahme an den virtuellen Klassenzimmern eine zeitliche Bindung zur Folge hat, sollen zwei alternative Kriterien zur Vergabe von Leistungsnachweisen angeboten werden, wobei eine nicht an diese Teilnahme gebunden ist.

Prof. Unger hat bei Entwicklung des Konzepts von vornherein das Zentrum für Medien und IT der FernUniversität mit ins Boot geholt: „Das ZMI wird die technischen Probleme lösen, die das Lehrgebiet selbst nicht bewältigen kann.“

Gerd Dapprich | 18.01.2017