Unbequeme liberale Urgesteine

Gerhart Baum und Burkhard Hirsch, profilierte Politiker und Vorkämpfer für Bürger- und Freiheitsrechte, erläuterten ihre wichtigsten politischen Wegmarken im „Lüdenscheider Gespräch“.


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Gespannt verfolgten die Interessierten die Podiumsdiskussion mit Dr. Burkhard Hrisch (2.v.li.) und Dr. Gerhart Baum (2.v.re.), die von Prof. Dr. Ewald Grothe (Archiv des Liberalismus, li.) geleitet wurde. Prof. Dr. Arthur Schlegelmilch (FernUniversität) führte in die Thematik ein. (Foto: FernUniversität, Pressestelle)

„Der Baum und der Hirsch – Vorkämpfer für freiheitliches Deutschland"

Sie gelten als „FDP-Urgesteine“ und „liberales Gewissen“: Dr. Gerhart Baum und Dr. Burkhard Hirsch sind zwei der profiliertesten deutschen Politiker und Vorkämpfer für Bürger- und Freiheitsrechte in Deutschland. Seit 60 Jahren kennen die beiden Linksliberalen sich, sie haben ähnliche politische Ansichten und Parallelen in ihren Biografien. Im „Lüdenscheider Gespräch“ erläuterten der ehemalige Bundesminister Baum und der frühere Vizepräsident des Bundestages Hirsch einem interessierten und kundigen Publikum ihre wichtigsten politischen Wegmarken: „‚Der Baum und der Hirsch‘ – Zwei Vorkämpfer für ein liberales, freiheitliches Deutschland“. Veranstaltet wurde das Lüdenscheider Gespräch vom Institut für Geschichte und Biografie der FernUniversität in Hagen zusammen mit dem Archiv des Liberalismus der Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit, Gummersbach. Moderator war dessen Leiter Prof. Dr. Ewald Grothe.

Burkhard Hirsch und Gerhart Baum

Dr. Burkhard Hirsch (geboren 1930 in Magdeburg), Rechtsanwalt und seit 1949 Mitglied der FDP, war von 1975 bis 1980 Innenminister des Landes Nordrhein-Westfalen. Von 1972 bis 1975 und von 1980 bis 1998 war er Mitglied sowie von 1994 bis 1998 zugleich Vizepräsident des Deutschen Bundestages.

Gerhart Baum (geboren 1932 in Dresden), Rechtsanwalt, seit 1954 Mitglied der FDP, 1966 bis1998 in den Führungsgremien der Partei vertreten, von 1982 bis 1991 Stellvertretender FDP-Bundesvorsitzender und Mitglied des Deutschen Bundestages von 1972 bis1994, war von 1978 bis 1982 Bundesminister des Innern.

Im Jahr 2016 erschien ihre gemeinsame Veröffentlichung „Der Baum und der Hirsch. Deutschland von seiner liberalen Seite“.

Über das Ende ihrer politischen Karrieren hinaus sind beide als engagierte und erfolgreiche Streiter gegen Vorratsdatenspeicherung, Lauschangriffe oder Online-Durchsuchungen, für eine humane Asylpolitik und die Menschenrechte bekannt. Zusammen mit ihrer Parteifreundin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger erreichten sie 2004, dass wesentliche Teile des Gesetzes zur Bekämpfung der organisierten Kriminalität („Großer Lauschangriff“) als verfassungswidrig eingestuft wurden. Mit einer weiteren Verfassungsbeschwerde griffen Baum und Hirsch 2005/06 erfolgreich das Luftsicherheitsgesetz an, weil nicht Menschenleben gegeneinander aufgewogen werden könnten.

Dr. Gerhart Baum
Dr. Gerhart Baum (Foto: FernUniversität, Pressestelle)

Freiheitsrechte versus Sicherheit

„Wir leben langsam in einem Überwachungsstaat“, kritisierte Baum in Lüdenscheid. Hirsch fragte nach den „Grenzen des Überwachungswahns“: Was er mit seiner Frau bespreche, gehe den Staat nichts an. Der Sicherheit wegen würden die Freiheitsrechte immer wieder eingeschränkt, etwa durch die Vorratsdatenspeicherung. Dabei zeige der Fall des Attentäters Anis Amri, wie zweifelhaft der Erfolg sei, so Baum. Es müsse viel mehr als bisher über „Sicherheit und Freiheit“ diskutiert werden, forderte Hirsch.

Dr. Burkhard Hirsch
Dr. Burkhard Hirsch (Foto: FernUniversität, Pressestelle)

Von Weltkrieg und Nachkriegszeit geprägt

Die beiden weit über 80 Jahre alten, aber mit jugendlichem Elan kämpfenden und diskutierenden Politiker entstammen bürgerlichen, eher unpolitischen Familien. Hirsch trat 1949 in die FDP ein: Er kam über die „Unaufrichtigkeit“ großer Teile der Nachkriegsgesellschaft nicht weg. Vieles wurde verschwiegen. Unpolitische Menschen wunderten sich, dass ihnen mit dem Dritten Reich die Demokratie „plötzlich abhandengekommen“ war: „Macht kann vom Staat auch missbraucht werden. Politik ist viel zu wertvoll, um sie anderen zu überlassen.“

Baum, ein Überlebender der Bombenangriffe auf Dresden, studierte in Köln. In die FDP trat er 1954 ein. Die SPD war ihm „zu sozialistisch“, die CDU „unerträglich konfessionell“, die NRW-FDP zu nationalliberal: „In Köln allerdings war sie anders aufgestellt, wir wollten keine Schlussstrich-Einstellung sondern wissen, was passiert war. Denn das durfte nicht wieder passieren.“ Auch angesichts der „bleiernen Adenauer-Zeit“ wollten Baum und andere den Staat ändern: „Das Grundgesetz war eine unglaubliche Errungenschaft, nur musste es gelebt werden.“

Hirsch dachte ähnlich. Für den gebürtigen Magdeburger kam hinzu, dass „wir Mitteldeutschen für Adenauer nicht wichtig“ waren: „Er war für mich ein rheinischer Separatist“, für den wenige Kilometer weiter nach Osten „Sibirien begann – wir als FDP vertraten eine andere Deutschlandpolitik“.

Als Adenauer ein „Zwei-Parteien-System“ anstrebte – das Ende seines Koalitionspartners FDP – kündigte die FDP in NRW kündigte 1956 die Koalition mit der CDU. Die treibenden Kräfte Walter Scheel, Hans-Dietrich Genscher und Willi Weyer rückten die Partei in den 1960er Jahren in die politische Mitte, um mit der CDU/CSU wie mit der SPD koalieren zu können. Hirsch: „Wir wollten eine Deutschlandpolitik machen, die Chancen bot.“

Zerreißproben für die FDP

Ab 1969 konnten Scheel und Genscher die neue Ostpolitik in der sozialliberalen Koalition gestalten – die FDP verlor jedoch Politiker und bei Wahlen viele Stimmen. Ihren „Sozialen Liberalismus“ (Freiburger Thesen, 1971) löste sie 1977 durch einen wirtschaftsliberalen Kurs ab. Der unvermeidliche Koalitionsbruch wurde, so Baum und Hirsch, 1982 von Kanzler Helmut Schmidt gezielt herbeigeführt und so inszeniert, dass die FDP als Schuldige dastand. Die Wende zur CDU führte erneut zur Zerreißprobe. Den folgenden Ruck hin zur „Partei der Leistungsträger und Besserverdienenden“ machten Baum und Hirsch nicht mit, sie blieben, wo sie politisch standen – und damit am Rand.

Sie wurden eine unbequem liberale Opposition.

Für die heutige FDP zieht Baum unter anderem die politische Lehre, sich als eigenständige Partei mit eigenem festem Wählerstamm zu profilieren und sich nicht an einer andere zu binden.

Gerd Dapprich | 28.06.2017