Für die Freiheit der wissenschaftlichen Forschung

Anlässlich des bundesweiten Wissenschaftstags zur Geschlechterforschung #4GenderStudies bezieht Jun.-Prof. Irina Gradinari von der FernUniversität Stellung.


Eine neue Hetzwelle gegen die Gender-Forschung wiederholt herrschende populistische und vor allem verbal verletzendes Paroli, beschuldigt Gender-Forscherinnen und -Forschern in Nicht-Professionalität, politischer Radikalität und ideologischer Erstarrung und Verblödung. Die Autorinnen und Autoren suggerieren, die Welt sei eindeutig und einfach, man solle nur die Gender Studien aus der Welt schaffen, sie sind allein in der sozialen Komplexität schuld. Trotz ihrer Selbstlegitimierung durch ihre Erkenntnisse in der Gender- und Queer-Forschung monieren sie die Enge der Geschlechterstudien beziehungsweise verschweigen absichtlich jene Breite und Vielfalt der Perspektiven, die die Geschlechterforschung in Deutschland und weltweit auszeichnet.

Zuschreibungen regeln soziale Verhältnisse

Die Geschlechterstudien sind schon auch deshalb keine fixierte Ideologie, weil sie in fast allen Disziplinen als wissenschaftliches Forschungsfeld vertreten sind und sich daher in ihren Ansätzen, Forschungsgegenständen und Zugängen unterscheiden. Grundsätzlich gilt es, dass wir in einer Gesellschaft leben, in der Geschlecht wie auch andere sozial wirksame Differenzen (Ethnizität, Klasse, Bildung, Alter, Gesundheit usw.) unsere Identität, Lebensweisen und Wahrnehmung organisieren.

Die Wirkung von diesen Zuschreibungen ist nicht harmlos, sondern regelt alle sozialen Verhältnisse, Zugang zur Politik und Macht sowie Verteilung von Ressourcen. Die Hierarchien, Diskriminierungen und Ausschlüsse, von denen auch leider demokratische Gesellschaftsformen nicht frei sind, werden somit durch jene angeblich biologische Veranlagung legitimiert. Ein kulturvergleichendes Beispiel hilft aufs Schnelle die Absurdität einer solchen Rechtfertigung freizuglegen.

Geschlechtsdifferente Aufteilung

Statistisch gesehen sind in Deutschland Bankarbeiterinnen und -arbeiter sowie Ärtzinnen und Ärzte vor allem Männer, denen solche Fähigkeiten wie rationales Denken, Präzision, Entscheidungsfähigkeit, Kompetenz in Mathematik und Führungsqualitäten zugeschrieben werden. In der UdSSR waren es jedoch vor allem Frauen, weil diese beiden Berufe schlecht bezahlt wurden. Die Frauen füllen bis heute oft schlecht bezahlte und weniger prestigeträchtige Positionen. Der Zugang zum Arbeitsmarkt kann allerdings nicht allein durch Restriktionen und Quoten geregelt werden, wobei es in einzelnen Fällen die Situation durchaus verbessert werden könnte. Eine geschlechtsdifferente Aufteilung beginnt bereits in der Arbeitsaufteilung in der Familie, im kulturellen Umfeld und der Bildung.

Aufgrund der fundamentalen Rolle der sozialen-politischen und symbolischen Differenzen für die Struktur unserer Gesellschaft fanden die Geschlechter-Studien Verbreitung in der Soziologie, Ethnologie, Geschichtswissenschaft, in allen Philologien, in Philosophie, Bildungswissenschaft, Medienwissenschaft, Kulturwissenschaft, Rechtswissenschaft, Wirtschaftswissenschaft und jetzt auch zunehmend in naturwissenschaftlichen Fächern. Wenn die Soziologie vor allem soziale Strukturen und Praktiken (zum Beispiel Regulierung des Arbeitsmarktes) in den Fokus nimmt, geht es in der Bildungswissenschaft um die Sozialisationsprozesse, in der Medienwissenschaft um jene medialen Gender-Ideale, in der Geschichtswissenschaft um historische Entwicklung bestimmter Gender-Ordnungen usw. In diesem Zuge wird auch generell die Wissensproduktion an sich reflektiert, ist aber leider immer noch durch rassistische Diskriminierungen und Gender-Stereotypen geprägt.

Komplexität der Gesellschaft gerecht werden

Antirassische Kritik stellt in den Gender Studien dabei nur einen der Forschungsaspekte dar, der sehr wichtig ist, allerdings nicht allein für die ganze Breite der Forschung auszeichnend. Auch besteht eine Vielfalt gerade aufgrund der großen Unterschiede in Forschungsfeldern und -ansätzen eine Vielzahl an Selbstbildern, was die Gender Studies sind und will. Der Queer- und antirassistische Aktivismus kann daher mit der Gender-Forschung nicht gleichgesetzt werden, wobei beide durchaus ähnliche Ziele verfolgen: Unsere Gesellschaft gerechter und demokratischer zu machen, ohne jedoch gleich neue Diskriminierungen zu schaffen und vor allem der Komplexität der Gesellschaft gerecht zu werden.

Das mag vielleicht etwas idealistisch klingen, aber ich möchte jenes ethische und demokratische Bestreben der Gender Studies betonen, Bedingungen sozialer Diskriminierung zu untersuchen, Gesellschaft gegenüber solcher struktureller und anders bedingter Gewalt zu sensibilisieren und somit die Gesellschaft soweit zu verändern, dass es die Position marginalisierter und prekarisierter Gruppen gar nicht mehr gibt oder diese zumindest nicht mehr als diskriminierend empfunden wird.