Die Megawattstunde zur richtigen Minute

Obwohl man Strom nicht lagern kann, wird er als Ware an der Börse gehandelt. Ökonomen der FernUniversität wollen seine rasanten Preisschwankungen nun besser verstehen.


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Braunkohle ist ein Produkt zum Anfassen. Sie wird gefördert, gemahlen und getrocknet, verkauft, transportiert, gelagert und schließlich in Kraftwerken verfeuert. Mit der so erzeugten Energie verhält es sich anders: Elektrischer Strom wird nach seiner Herstellung nirgendwo „deponiert“, sondern umgehend in Versorgungsnetze eingespeist, die ihre Spannung Tag und Nacht aufrechterhalten. Als Ware gehandelt wird Strom aber dennoch – an speziellen Börsen wie zum Beispiel der EPEX SPOT in Paris.

Mit dem zentraleuropäischen Strommarkt befassen sich nun zwei Wirtschaftswissenschaftler der FernUniversität in Hagen in ihrem aktuellen Forschungsprojekt: Prof. Dr. Rainer Baule, Leiter des Lehrstuhls für Betriebswirtschaftslehre, insbesondere Bank- und Finanzwirtschaft, gemeinsam mit seinem Doktoranden und Wissenschaftlichen Mitarbeiter Michael Naumann. Im Mittelpunkt ihrer Arbeit steht der ökonomische Begriff der „Volatilität“. Damit ist ein statistisches Maß gemeint, mit dem preisliche Veränderungen erfasst werden. Für die Händlerinnen und Händler am Strommarkt stellt dieses „Auf und Ab“ eine wichtige Information dar.

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Michael Naumann (li.) und Prof. Dr. Rainer Baule

„Die Preise von Strom schwanken sehr schnell“, erklärt Naumann. Als mitverantwortlich macht er die Energiewende aus: „Die erneuerbaren Energien sind der wesentliche Faktor für eine Über- oder Unterproduktion von Strom. Sie beeinflussen die Volatilität auf dem Strommarkt stark.“ Prof. Baule erläutert den Grund hierfür: „Bei einem ‚klassischen‘ Kraftwerk ist bekannt, wieviel Energie zum Beispiel mit einer bestimmten Menge Kohle erzeugt wird. Im Fall von regenerativen Konzepten wie Windparks oder Solaranlagen hängt die Stromproduktion jedoch davon ab, ob es windig ist beziehungsweise die Sonne scheint.“ Solche Umwelteinflüsse sind nur sehr kurzfristig vorhersehbar, große Angebots- und Preisschwankungen oft die Folge.

Muster erkennen, Risiken einschätzen

Wer erfolgreich mit Megawattstunden handeln möchte, muss also schnell und spontan reagieren. Erste Analysen von Daten der Strombörse EPEX SPOT, auf die sich die beiden Ökonomen zurzeit konzentrieren, legen die hohe Frequenz offen, mit der Geschäfte getätigt werden. Ein wichtiges Instrument dafür ist der Intraday-Handel, bei dem Geschäfte oftmals erst wenige Minuten vor der physischen Lieferung des Stroms abgeschlossen werden. Bei dieser „hektischen“ Art von Kontrakten fahren die Preiskurven Achterbahn – eine besonders hohe Volatilität ist messbar. „Wir wollen diese Schwankungen besser verstehen und beschreiben“, sagt Rainer Baule. „Außerdem suchen wir nach Mustern, um Risiken zu quantifizieren und Handlungsempfehlungen geben zu können.“

Ausgezeichneter Doktorand

Bevor Michael Naumann mit seiner Dissertation zur Volatilität im Stromgeschäft begonnen hat, absolvierte er bereits ein wirtschaftswissenschaftliches Masterstudium an der FernUniversität. Für seine exzellente Abschlussarbeit, die ebenfalls Prof. Baule betreute, wurde er beim Dies Academicus 2017 mit einem Preis ausgezeichnet.

Energieflexibler Verbrauch

Den praktischen Nutzen veranschaulicht der Blick auf ein verwandtes Projekt: Aktuell forscht ein interdisziplinäres Team von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern der FernUniversität zum „Management Energieflexibler Fabriken“, kurz MaXFab. Der zugrundeliegende Gedanke: Wenn das Stromangebot und die Preise variieren, muss sich das „Unternehmen der Zukunft“ dynamisch an die jeweiligen Gegebenheiten des Marktes anpassen. Dementsprechend könnte zum Beispiel ein Lebensmittelhersteller sein Kühlhaus in „intelligenten“ Intervallen ein- und ausschalten. „Um solche Modelle vernünftig kalibrieren zu können, braucht man Daten über den Strompreis. Je kurzfristiger man diesen adaptieren kann, desto flexibler lassen sich die Produktionsabläufe in den Fabriken gestalten“, zeigt Baule den Zusammenhang zur MaXFab-Idee auf.

Zudem halten die Forscher es nicht für unwahrscheinlich, dass eines Tages sogar private Haushalte von einem dynamischen System profitieren: Das digital-vernetzte „Smart Home“ könnte den Energiebedarf so rationalisieren, dass die Waschmaschine läuft oder das Elektroauto auftankt, wenn die Strompreise gerade niedrig sind. „Wenn Angebot und Nachfrage aufeinander abgestimmt werden, wäre das im Interesse aller“, urteilt Prof. Baule. Aus seiner Sicht führt ein effizienter Handel letztlich auch zu geringeren Preisschwankungen und finanziellen Risiken. Über die Energiewende freut sich dann nicht nur die Umwelt, sondern auch die Geldbörse.

Benedikt Reuse | 21.02.2018