„Geschäftsmäßige Förderung der Selbsttötung“ war Dissertationsthema

Damit hat sich Dr. Michael Rudlof bei seiner Promotion an der FernUniversität befasst. Seine Arbeit liegt dem Bundesverfassungsgericht vor, das über den § 217 StGB urteilt.


Darf man freiwillig aus dem Leben scheiden? Darf man Menschen bei ihrem Suizid unterstützen? Das wird in der Gesellschaft aus den verschiedensten Perspektiven kontrovers diskutiert. Weitgehende Einigkeit herrscht nur darin, dass niemand einen Suizid fördern können sollte mit dem Ziel, selbst daran zu verdienen. Der Deutsche Bundestag hat nach Ansicht von Dr. Michael Rudlof nicht zuletzt aus diesem Grund eine neue Vorschrift im Strafgesetzbuch aufgenommen und dabei einen folgenreichen Fehler begangen: „Jetzt dürfen nur noch Laien Schwerstkranken straffrei bei einem Suizid helfen, aber keine sachkundigen Personen mehr.“

Ein Mann steht vor einem Bücherregal und blickt in Richtung Kamera. Foto: www.armin-zedler.de
Michael Rudlof hat sich in seinem Studium und in seiner Promotion an der FernUniversität mit der Sterbehilfe befasst.

Dr. Rudlof hat sich in seinem rechtswissenschaftlichen Fernstudium und in seiner Promotion an der FernUniversität in Hagen mit der Sterbehilfe befasst und sie zu einem seiner anwaltlichen Beratungsschwerpunkte gemacht, kennt also auch die Auswirkungen der Änderung in der Praxis. Seine Dissertationsveröffentlichung ist eine der wissenschaftlichen Grundlagen für das Bundesverfassungsgericht, das sich zurzeit mit Verfassungsbeschwerden gegen die neue Vorschrift befasst. „Es kann durchaus sein, dass sich das eine oder andere, was ich geschrieben habe, im Urteil wiederfindet.“

Persönliche Betroffenheit

Ein guter Freund von Dr. Rudlof hatte 2014 Krebs. Damals gab es noch Ärzte, die entsprechend der damaligen Rechtslage sterbenswilligen Patientinnen und Patienten Beratung und Unterstützung bei ihrem Suizid straffrei anboten. Rudlofs Freund sprach mit einem von ihnen: „Alleine das Wissen, dass es die Möglichkeit der Sterbehilfe gab, hat ihm die Kraft gegeben, sie nicht in Anspruch zu nehmen“, erinnert sich der Kölner Rechtsanwalt. „Es war für ihn wichtig zu wissen: ‚Ich bin nicht alleine und wenn es nicht mehr geht, ist da jemand, der mir hilft‘.“

Dies war der Anlass für ihn, sich selbst mit Suizid und Sterbehilfe zu beschäftigen. In seiner Masterarbeit des weiterbildenden Studiums Anwaltsrecht und Anwaltspraxis der FernUniversität und des Deutschen Anwaltsvereins war ein wichtiger Aspekt, wie Anwältinnen und Anwälte mit dieser Thematik beruflich umgehen können.

Neuer Paragraf änderte Rechtslage

Der wesentlich geänderte § 217 StGB „Geschäftsmäßige Förderung der Selbsttötung“ trat erst nach Rudlofs Hagener Masterabschluss am 10. Dezember 2015 in Kraft. Er besagt, dass die geschäftsmäßige Suizidförderung strafbar ist. Straffrei ist es, einen Suizid nicht geschäftsmäßig zu fördern, auch Angehörige oder ihnen nahestehende Personen dürfen eine Selbsttötung unterstützen. Zur Beihilfe sagt der Paragraf nichts. Da eine Selbsttötung in Deutschland straffrei ist, gilt dies auch für Beihilfe. Nach der vorherigen Rechtslage waren Suizid, Beihilfe und Förderung straffrei gewesen, ähnlich wie in der Schweiz.

Mit der Änderung befasste sich Michael Rudlof in seiner Promotion „Das Gesetz zur Strafbarkeit der geschäftsmäßigen Förderung der Selbsttötung (§ 217 StGB n.F.)“: „Ich arbeitete schon an den Thema und auch vor dem Tod meines Vaters mussten wir uns damit befassen. Zudem erhält das selbstbestimmte Sterben immer größere Bedeutung, auch bei der Vorsorge für den Fall schwerer Erkrankungen. Es gibt Situationen, in denen man nur noch mit Hilfe anderer aus dem Leben scheiden kann.“

Er kam zu dem Ergebnis: Der § 217 ist nicht verfassungskonform.

Der § 217 StGB

  1. Wer in der Absicht, die Selbsttötung eines anderen zu fördern, diesem hierzu geschäftsmäßig die Gelegenheit gewährt, verschafft oder vermittelt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.
  2. Als Teilnehmer bleibt straffrei, wer selbst nicht geschäftsmäßig handelt und entweder Angehöriger des in Absatz 1 genannten anderen ist oder diesem nahesteht.

Dagegen reichten Menschen, die Suizidhilfe in Anspruch nehmen wollen, Vereine, die Suizidhilfe anbieten, und Ärzte sechs Verfassungsbeschwerden beim Bundesverfassungsgericht (externer Link) ein. Die mündliche Verhandlung fand am 16. und 17. April statt. Die Urteilsverkündung wird im Sommer 2019 erwartet.

Dr. Michael Rudlof wird zeitnah nach der Veröffentlichung des Urteils unter http://anwaltskanzlei-rudlof.de (externer Link) Stellung nehmen.

Die Beihilfe ist ein aktiver kausaler Tatbeitrag, die Förderung eine Bereitstellung von Gelegenheiten. Michael Rudlof macht den Unterschied mit einem Beispiel deutlich: „Wenn mich jemand bittet, ihm einen giftigen Kaffee zu besorgen, ich tue es und die Person trinkt das Gift, wäre das Beihilfe zu einem Suizid.“ Die sterbewillige Person muss die letzte Handlung, durch die sie stirbt, also selbst ausführen (ansonsten handelt es sich um ein Tötungsdelikt). „Wenn ich aber jemanden kenne, der giftige Kaffeebohnen anbaut und eine andere Person bittet mich, ihr Bohnen zu besorgen, macht aber den Rest komplett alleine, wäre das eine Förderung.“

Geschäftsmäßig oder gewerbsmäßig?

Ein zentraler Aspekt im neuen § 217 ist die Geschäftsmäßigkeit, sie wird aber oft mit Gewerbsmäßigkeit verwechselt. Rudlof erläutert: „Verläuft etwas professionell, ist das geschäftsmäßig. Man kann auch beruflich entsprechend tätig sein, über eine Gewinnerzielungsabsicht sagt das jedoch nichts aus. Auch eine kostenfreie Tätigkeit, z.B. eine, Beratung ist geschäftsmäßig. Erst wenn Geld fließt, handelt es sich um Gewerbsmäßigkeit.“

Rudlof hat den Eindruck, dass diese beiden Begriffe beim Gesetzgebungsverfahren durcheinandergeworfen worden sind, als die gewerbsmäßige Förderung verhindert werden sollte: „Damit wird jetzt Ärztinnen, Ärzten und Sterbehilfevereinen eine Unterstützung unmöglich gemacht. Dabei sind sie es, die wissen, wie man das Gift richtig einsetzt, wie es eingenommen werden muss, und die die Abläufe überwachen können. Nun dürfen nur noch Laien in emotionalen Notlagen eine entsprechende Handlung vornehmen. Die Chance, dass das Vorhaben missglückt, ist dann natürlich hoch“, unterstreicht Rudlof. „Es reicht sogar aus, wenn man die Absicht hat zu helfen. Das heißt: Hier wird eine Gesinnung unter Strafe gestellt. Im Grunde ist das eher eine Abschreckung!“

Rudlof vermutet in diesem Zusammenhang, dass der Bundestag nicht nur „Geschäftemacherei mit dem Tod anderer“ verhindern wollte – einer der Ärzte, die früher Sterbehilfe anboten, machte z.B. in Talkshows Werbung für sich: „Das war manchen ein auch mir verständliches Ärgernis. Verhindert werden sollte aber wohl auch ein Tabubruch beim Thema Tod, weil die Gesellschaft dies dann vielleicht als etwas Normales empfinden könnte.“

Veröffentlichung

Die Arbeit „Das Gesetz zur Strafbarkeit der geschäftsmäßigen Förderung der Selbsttötung (§ 217 StGB n.F.) “ von Dr. Michael Rudlof wurde im de Gruyter Verlag in der Schriftenreihe „Juristische Zeitgeschichte; Abt. 3: Beiträge zur modernen deutschen Strafgesetzgebung / Materialien zu einem historischen Kommentar“ als Band 47 veröffentlicht. Herausgeber ist Prof. Dr. Dr. Thomas Vormbaum.

Grundrecht auf Freitod

In seiner Dissertation kam Rudlof unter anderem zu dem Ergebnis, dass die Artikel 1 (Menschenwürde) und 2 (Freie Entfaltung der Persönlichkeit) des Grundgesetzes das Recht beinhalten, sich das Leben zu nehmen: „Es gibt ein Grundrecht auf den Freitod, aber keine Pflicht zum unbedingten Weiterleben. Die staatliche Ordnung darf Einzelnen nicht verbieten, aus freien Stücken aus dem Leben zu scheiden. Der § 217 greift in seiner jetzigen Form jedoch in diese Grundrechte ein. Er macht es mir unmöglich, professionelle Hilfe in Anspruch zu nehmen. Faktisch läuft das auf ein Suizidverbot hinaus. Alternativ bleibt letztendlich nur, von einem Hochhaus zu springen oder gegen einen Baum zu fahren.“

Eine glatzköpfige Frau blickt von der Kamera weg, ihren Kopf stützt sie auf eine Hand. Foto: FatCamera_E+_Getty Images
Gerd Dapprich | 24.04.2019