Scheuen Frauen das Risiko?

Eine wirtschaftswissenschaftliche Studie zu Trainerinnen und Trainern im Frauenfußball kam zu anderen Ergebnissen als bisherige. Beteiligt war ein Forscher der FernUniversität.


Ein Frauenfußballteam trainiert, die Trainerin steht im Vordergrund und blickt in die Kamera. Foto: GettyImages_Alistair Berg
Trainerinnen im Frauenfußball standen im Fokus der Studie.

„Frauen sind risikoscheuer als Männer“: Das ist eine Erklärung für die Tatsache, dass Frauen es schwerer haben, in Führungspositionen zu gelangen. Für eine Berufsgruppe konnten die beiden Wirtschaftswissenschaftler Dr. Hendrik Sonnabend von der FernUniversität in Hagen und Dr. Ulf Rinne vom Bonner IZA Institute of Labor Economics diese Begründung jedoch widerlegen: Trainerinnen im Frauenfußball sind wagemutiger als ihre männlichen Kollegen, aber trotzdem unterrepräsentiert. Im Frauenfußball treffen Trainerinnen und Trainer Entscheidungen, sind also quasi „Führungskräfte“ ihrer Teams.

Für ihre Studie „Female Workers, Male Managers: Gender, Leadership, and Risk-taking” werteten Dr. Hendrik Sonnabend (Lehrstuhl für Wirtschaftspolitik, Prof. Dr. Joachim Grosser) und Dr. Ulf Rinne 987 Spiele der Frauen-Champions-League der Saisons 2009/10 bis 2017/18 aus. Beteiligt waren 161 Clubs aus 49 Ländern. Von den beobachteten 214 Coaches waren knapp 17 Prozent Frauen. Die Studie wurde zu einem großen Teil durch das Förderinstrument „Genderforschung“ der FernUniversität finanziert.

Ein Mann blickt in die Kamera. Foto: FernUniversität
Hendrik Sonnabend

Frühere experimentelle Forschung und repräsentative Survey-Studien legen nahe, dass Frauen den Wettkampf eher scheuten und weniger risikobereit seien. Die Probandinnen und Probanden konnten bei Tests zwischen einer sicheren Geldbetragsauszahlung und einem Wettkampf wählen, bei dem sie mehr Geld gewinnen, aber auch leer ausgehen konnten. Hendrik Sonnabend: „Dabei zeigte sich: Der ‚Durchschnittsmann‘ ist eher geneigt, Risiken einzugehen, als die ‚Durchschnittsfrau‘ – insbesondere, wenn sie sich dem Wettkampf mit Männern stellen muss.“

Sport spiegelt Realität des Berufslebens wider

Rar gesät sind jedoch Feldstudien, „in denen man Menschen unter realen Umständen beobachtet“. Vor allem, weil es dort problematisch ist, das Verhalten von Menschen bei standardisierten Aufgaben zu analysieren. Im Labor dagegen können alle die gleiche Aufgabe erhalten. „Doch jedes Unternehmen ist anders. Das macht Sportdaten so attraktiv. Wegen der zahlreichen Regeln im Sport sind die Tätigkeiten standardisiert. Anders als im Labor sind jedoch die Anreize hoch: Spiele müssen gewonnen werden, „es geht um viel mehr als um fünf oder zehn Euro“.

In der Studie wurden Unterschiede bei der Risikobereitschaft von Trainerinnen und Trainern anhand der Zahl der Offensivspielerinnen in der Startelf ihrer Teams gemessen: „Wenn man mehr Stürmerinnen einsetzt, steigt die Chance, mehr Tore zu schießen. Ebenso aber auch das Risiko, mehr Tore zu kassieren.“ Das Ergebnis war eindeutig: Trainerinnen sind im Durchschnitt risikobereiter als ihre Kollegen, sie scheuen ultradefensive Spielweisen und setzen auf Angriff statt auf Verteidigung.

Selektion wesentlicher Faktor

Lag dies an eher risikobereiten Frauen oder an risikoscheuen Männern? Sonnabend: „Nach unserer Interpretation der Ergebnisse liegt das eher an den Männern. Und daran, dass die Selektion in dem Beruf ein ganz wesentlicher Faktor ist: Es gibt praktisch keine Frauen, die Männermannschaften trainieren. Männer dagegen können sowohl Männer- wie Frauenteams coachen. Warum entscheiden sich dann welche für den Frauenfußball? „Selektionsmechanismen scheinen wichtiger zu sein als die allgemeine Präferenz von Wettbewerb und Risikobereitschaft in der Gesamtbevölkerung. Ein Mann muss hier keine männlichen Stereotypen erfüllen.“

„Das brauchte schon einen gewissen Mut, Entscheidungsfreude und Risikobereitschaft.“

Hendrik Sonnabend über Frauen, die sich für den Fußball entschieden, als dieser Sport noch stigmatisiert war.

Eine weitere Erklärung für unterschiedliche Risikobereitschaften wäre, dass die älteren Trainerinnen sich für einen damals noch besonders stigmatisierten Frauensport entschieden haben: „Das brauchte schon einen gewissen Mut, Entscheidungsfreude und Risikobereitschaft.“ Frauenfußball war zum Beispiel in Deutschland und England bis in die 1970er Jahre verboten. Die deutsche Liga gründete sich erst 1990. Wohl deshalb ist keine der über 300 Trainerinnen im Sample – die alle selbst Fußball gespielt hatten – älter als 50 Jahre, während die Trainer bis 70 Jahre alt sind. Diese haben schon viel früher als die Frauen gekickt. „Wenn wir die Analyse auf ‚junge‘ Trainer und Trainerinnen unter 45 Jahren beschränken, sehen wir keine Unterschiede bei der Risikobereitschaft.“

Was kann ein Wirtschaftswissenschaftler, was kann die Wirtschaft selbst und was können Beschäftigte aus diesen Ergebnissen erkennen? „In manchen Bereichen der Wirtschaft ist der Frauenanteil sehr hoch – etwa in der Pflege oder in der Grundschule“, erläutert Sonnabend. „Der Anteil von Frauen in Führungspositionen ist in diesen Segmenten aber ebenfalls gering – so wie auch bei den Trainerinnen. Die Strukturen dürften insgesamt ähnlich sein. Darum können einige Ergebnisse unserer Studie aus dem Frauenfußball auf die Wirtschaft übertragen werden, etwa dass Zweifel bestehen, ob die angeblich geringe Risikobereitschaft von Frauen wirklich als Grund für ihre Unterrepräsentation auf Führungsebene geltend gemacht werden kann.“ Zu klären wäre, ob es andere Gründe gibt wie zum Beispiel die Vereinbarkeit von Familie und Karriere oder indirekte Diskriminierung.

WM-Chancen

Nicht ableiten lassen sich aus der Studie allerdings die Chancen des deutschen Nationalteams bei der Frauen-Fußball-WM ab 6. Juni.

Gerd Dapprich | 06.06.2019