Spielfilme beeinflussen Blick auf den Zweiten Weltkrieg

Mit einer Studie zu Kriegsfilmen habilitierte sich Jun.-Prof. Irina Gradinari an der FernUniversität. Nun erhielt sie ihre Lehrbefugnis.


Schwarz-weiße Fotografie von einem Filmset mit Soldaten und Panzern des 1. Weltkriegs Foto: Bundesarchiv, Bild 102-09557 / CC-BY-SA 3.0
Seit jeher beeinflusste das Kino die Erinnerungskultur und damit auch das Selbstbild von Gesellschaften. Das Foto von 1930 zeigt Dreharbeiten eines Tonfilms über den Ersten Weltkrieg.

Filme als Medien kollektiver Erinnerung, mit Fokus auf dem Zweiten Weltkrieg, waren das Thema der Habilitation von Prof. Dr. Irina Gradinari: „Ich habe sowjetische, ostdeutsche und bundesdeutsche Kriegsfilme verglichen – hauptsächlich aus dem Zeitraum von 1945 bis 1990.“ Irina Gradinari ist Juniorprofessorin für literatur- und medienwissenschaftliche Genderforschung an der FernUniversität in Hagen. Zurzeit leitet sie das Institut für Neuere deutsche Literatur- und Medienwissenschaft.

Filme mit starker Wirkung

Aus Sicht der Forscherin bestimmen die Kriegsfilme maßgeblich, wie eine Gesellschaft ihre Vergangenheit wahrnimmt und ausdeutet. „Ohne dieses Medium, das so stereotyp und zitatenhaft ist, gäbe es das Phänomen des ‚kollektiven Gedächtnisses‘ gar nicht“, umreißt Gradinari die Ausgangsthese ihrer Habilitationsschrift. Um ihre Annahme zu belegen, hat sie in über hundert Spielfilmen aus der DDR, UdSSR und BRD nach Strukturen gesucht, die auf die Erinnerung der Menschen in den jeweiligen Systemen eingewirkt haben. Dabei konzentrierte sie sich vor allem auf populäre Mainstream-Produktionen. Deren Stellenwert ist für sie unumstritten: Mit der Eingängigkeit und Reichweite von Kino und Fernsehen konnte es kein anderes zeitgenössisches Medium aufnehmen – auch nicht die Belletristik oder die wissenschaftliche Geschichtsschreibung.

Jun.-Prof. Irina Gradinari

Jun.-Prof. Dr. Irina Gradinari hat von der Fakultät für Kultur- und Sozialwissenschaften die Venia Legendi – die universitäre Lehrbefugnis – erhalten. Seit zwei Jahren ist sie an der FernUniversität in Hagen. Ihr internationales Profil schärfte die Forscherin aber schon vorher: So studierte sie erst in Odessa, anschließend in Trier, wo sie als Wissenschaftliche Mitarbeiterin tätig war und 2010 promovierte. Nach Lehraufenthalten an der Universität Łodz in Polen und der Universität Xiamen in China kehrte sie 2014 nach Deutschland zurück, um erneut als Wissenschaftliche Mitarbeiterin zu arbeiten. Zunächst an der Humboldt-Universität Berlin, ab 2016 wieder an der Universität Trier. Seit 2016 ist sie Vorstandsmitglied und seit 2018 die 2. Sprecherin der deutschen Fachgesellschaft Geschlechterstudien.

Kontinuitäten prägen Filmgeschichte(n)

Über die Jahre verfestigten die Filme in den drei Systemen bestimmte Konsensvorstellungen vom Zweiten Weltkrieg. Gewisse Muster wurden – mit kleinen Änderungen – immer wieder reproduziert. Egal ob in Russland, Ost- oder Westdeutschland: An die Kinokassen kam das Publikum stets mit vorgeformten Erwartungen, die es zu erfüllen galt. „Aufgrund der hohen Produktionskosten leistete man sich bei den Kriegsfilmen kaum Experimente. Die Regie schaute genau darauf, was bisher in den Ländern erfolgreich war.“

Aussagen über die eigene Identität

Gradinari betont jedoch, dass die Filme obwohl sie vom Zweiten Weltkrieg handeln, vor allem etwas über die Zeit aussagen, in der sie entstanden sind. „Was wir dort sehen, ist eigentlich nicht die Vergangenheit! Kriegsfilme werden immer in Bezug auf die aktuelle politische Ordnung produziert.“ Zwar ist im bundesdeutschen Kriegsfilm der Holocaust ein wiederkehrendes Thema, in sowjetischen Produktionen der „glorreiche Sieg“ über die Nazis und im DDR-Kriegsfilm die antifaschistische Idee. Eigentlich aber schreiben die Filme die vergangenen Ereignisse im „Dienst der Gegenwart“ um. So drehen sie sich im Grunde um Versöhnungsstrategien, verhandeln den Kalten Krieg, oder stellen die sowjetische Präsenz in der DDR in Frage.

Frau mit Urkunde und Blumenstrauß sowie zwei Männer, alle lächeln Foto: FernUniversität
Der Dekan der Fakultät für Kultur- und Sozialwissenschaften Prof. Jürgen Nagel (re.) und der Geschäftsführer Thomas Walter gratulierten Jun.-Prof. Irina Gradinari zur Venia Legendi.

Unterschiede zeigen sich im Detail

Thematisch stehen die Filme dabei oft weniger in Opposition zueinander, als es im Sinne von Ost-West-Konfrontationen zu erwarten wäre. Die Unterschiede in der Aufarbeitung und Bewältigung offenbaren sich im Detail, zum Beispiel an der heterogenen Darstellung von Frauenfiguren. „Im BRD-Film spielen Frauen eine große Rolle, weil sie einen neuen Anfang und eine Absage an die militarisierte Gesellschaft symbolisieren“, erklärt die FernUni-Forscherin. DEFA-Produktionen zeigten Frauen zumeist in traditionellen Rollen – als einfache Ehefrau oder Mutter. Ganz von der Leinwand verschwunden waren sie in der UdSSR: „In vielen Sowjetfilmen gibt es den Mythos männlicher Reproduktion. Oft wird gezeigt, wie ein Mann einen Jungen adoptiert – und somit gar keine Frau mehr braucht.“

Auf zu neuen Projekten

Um genderwissenschaftliche Fragen wird es auch in einer neuen interdisziplinären Forschungsgruppe zu „Gender Politics“ gehen, die die Juniorprofessorin auf den Weg gebracht hat. „Es beteiligen sich bereits zehn Lehrgebiete aus vier Fakultäten der FernUniversität an dem Vorhaben“, freut sich Irina Gradinari auf die kommende Arbeit in Hagen. Ihre Habilitationsschrift wird im Springer-Verlag erscheinen.

Benedikt Reuse | 12.11.2019