Wirtschaftspolitik mit der Brechstange

„Trump hat anscheinend von Volkswirtschaft nicht viel Ahnung. Er denkt zu sehr als Unternehmer und ist nicht weitsichtig genug.“ So Hans-Jörg Schmerer, VWL-Professor an der FernUniversität.


„Wird Donald Trump die angekündigten Handelsbarrieren mit 35 Prozent Einfuhrzoll errichten, die unter anderem auch die deutsche Automobilindustrie schädigen könnten? Kann er das überhaupt?“ Noch vor kurzem hätte Prof. Dr. Hans-Jörg Schmerer seine eigenen Fragen noch mit einem klaren „Nein, das ist völlig utopisch, weil ein rational denkender Mensch so etwas nie tun würde“ beantwortet. Inzwischen ist er sich nicht mehr sicher: „Als erste Amtshandlung hat Trump die Ratifizierung des TPP-Abkommens per Erlass gestoppt. Da muss ich mir schon überlegen, ob er ein rational handelnder Mensch ist“, bekennt Prof. Schmerer.

In Gefahr sind zwei, vielleicht sogar drei Freihandelsabkommen. Die Transpazifische Partnerschaft (TPP) von USA, mehreren amerikanischen und asiatischen Staaten, Australien und Neuseeland wurde noch nicht ratifiziert. Das Transatlantische Freihandelsabkommen (TTIP) ist ein geplantes Freihandels- und Investitionsschutzabkommen der Europäischen Union und der USA. Auch NAFTA, das Nordamerikanische Freihandelsabkommen von Kanada, USA und Mexiko, sehen Fachleute als gefährdet an.

Prof. Hans-Jörg Schmerer
Prof. Hans-Jörg Schmerer

Prof. Dr. Hans-Jörg Schmerer ist Inhaber des Lehrstuhls für Volkswirtschaftslehre, insb. Internationale Ökonomie, an der FernUniversität. Ein Forschungsschwerpunkt ist die Globalisierung, unter geht es dabei um deren Auswirkungen auf Arbeitsmärkte. Ein zweiter Fokus liegt auf entwicklungsökonomischen Aspekten des internationalen Handels und die Rolle Chinas dabei.

Ein Containerschiff im Hafen von New York
Wie wird sich der Außenhandel der USA - hier ein Containerschiff im Hafen von New York - entwickeln? Foto: Thinkstock

Werden die USA als verlässlicher Partner gesehen?

„Wir sind zurzeit in einer Phase der De-Globalisierung, in Europa wie in Amerika. Bei der Globalisierung gibt es natürlich nicht nur Gewinner, sondern auch Verlierer. Überall ist die Stimmung ein bisschen gegen die Globalisierung und damit auch gegen den Freihandel. Mit seiner Ankündigung, TPP zu stoppen, konnte Trump bei der Wahl am meisten punkten“, so Schmerer. Jetzt wolle er beweisen, dass seine Versprechen umsetzbar sind. „Aber warum soll jetzt Hals über Kopf die Ratifizierung ohne Diskurs gestoppt werden?“ Auch im Wahlkampf habe es über das, was Trump versprochen hatte, keine Diskussionen gegeben. Jetzt würden die jahrelangen Verhandlungen von vorne beginnen. Wenn überhaupt. Schmerer fragt sich, ob wirklich alle dahinter stehen, die mitreden können: der Kongress, andere Gremien, die Wirtschaft… „Es ist natürlich ein Problem für die USA, ob sie noch als verlässlicher Partner gesehen werden.“

Trumps Verhalten hält Schmerer für „sehr gefährlich, weil er anscheinend von Volkswirtschaft nicht viel Ahnung hat; Trump denkt zu sehr als Unternehmer und ist nicht weitsichtig genug.“ Exporte sehe er als Nutzen, als Gewinn, und Importe als Kosten, als Verluste. Alles, was damit zusammenhängt, erkenne er überhaupt nicht: „Der ‚Deal‘ ist für ihn nicht fair. Dabei können starke Importe zeigen, dass es der eigenen Wirtschaft gut geht. Zudem haben die Verbraucherinnen und Verbraucher mehr Präferenzen für ausländische Güter.“ Trumps größte Feindbilder sind China und Deutschland, „wegen der größten Ungleichheiten in der Außenhandelsbilanz“.

Eine Machtdemonstration? Wahrscheinlich

Zu diesem Denken Trumps passt für den FernUni-Wissenschaftler, dass dieser die Supermacht USA wohl wie ein Unternehmen führen wolle: „Mit Direktiven an seine Rechtsanwälte: ‚Ich will 35 Prozent Zoll! Sucht eine Möglichkeit, die ich durchsetzen kann.‘“ Diplomatie? Fehlanzeige. Eine Machtdemonstration? Wahrscheinlich.

Die kann man auch bei seinem Verhalten gegenüber der Welthandelsorganisation WTO erkennen. Hohe Handelsbarrieren würden klar gegen deren Richtlinien verstoßen. US-Gesetze gestatten, so Schmerer, dem Präsidenten tatsächlich hohe Zölle: Gary Clyde Hufbauer kommt in den „Assessing Trade Agendas in the US Presidential Campaign“ des Peterson Institute for International Economics zu dem Schluss, dass dies über den Kongress hinweg aus Gründen der nationalen Sicherheit möglich wäre (PIIE Briefing, 16-6, „Could a President Trump Shackle Imports?“). Kongress und WTO würden aber wohl gegen den hohen Zollsatz klagen. Das allerdings dürfte sechs bis zwölf Monate dauern. „Deshalb jetzt diese Hauruck-Aktionen“, schlussfolgert Schmerer.

Nicht Globalisierung, sondern Offshoring

Das eigentliche Problem, das im Wahlkampf häufig thematisiert wurde, sind nicht die Im- und Exporte, sondern die Gefährdung von amerikanischen Arbeitsplätzen: „Er nennt das schwammig Globalisierung, meint aber eigentlich vor allem Offshoring.“ Ihm geht es um die (Nicht-)Verlagerung von Produktionsprozessen ins Ausland: „Vor 100 Jahren konnte man nur Endprodukte handeln und exportieren. Heute ermöglicht der technologische Fortschritt es, den Produktionsprozess in verschiedene Teile zu splitten und diese dort herzustellen, wo es am günstigsten ist.“

Natürlich könnten Zölle auf Zulieferungsprodukte die Endprodukte verteuern, aber das sei ungezielt. Trump wolle nur einen Teilbereich einschränken, errichte aber eine Handelsbarriere gegen alles. Eine „Wirtschaftspolitik mit der Brechstange“, so Schmerer. Nicht nur deutsche Autos aus Mexiko würden in den USA teurer, sondern ebenso Chevys und Fords, weil auch für diese Teile importiert werden.

Außer Acht lässt Trump den technologischen Fortschritt auch in anderer Hinsicht: Immer mehr Jobs werden durch Roboter ersetzt. Die Diskussion in den USA konzentriert sich jedoch auf die Verlagerung von realen Jobs ins Ausland: „Es ist viel einfacher, das Ausland verantwortlich zu machen, als die Gründe im eigenen Land zu suchen.“

Das Ersetzen von Menschen durch Maschinen treffe „sicherlich nicht die Hochqualifizierten mit Universitätsabschluss, sondern eher die Leute mit weniger Bildung. Trumps Wähler!“ Haben sie ihr Idol vergebens gewählt? „Das nehme ich jetzt so an“, betont Schmerer, der in diesem Zusammenhang auch die geplanten Steuersenkungen für Unternehmen anspricht: „Ich habe noch nicht viel von Steuererleichterungen für die arbeitende Bevölkerung gehört. Das macht mich stutzig. Wer profitiert? Die großen Unternehmen. Trumps hat seinen Wählerinnen und Wählern einen Deal vorgeschlagen: einerseits Verringerung der Steuern für die Unternehmen, andererseits höhere Hürden für die Globalisierung. Und als Folge davon, dass die Produktion in Amerika bleibt.“ Doch lassen sich die Unternehmen wirklich daran hindern, Jobs ins Ausland zu verlagern? Und wenn sie es nicht tun: Kommt der „Deal“ überhaupt bei den Beschäftigten an?

US-Präsident Donald Trump ist kein Freund des Freihandels. Foto: Weißes Haus
Ein Freund Deutschlands? US-Präsident Donald Trump ist jedenfalls kein Freund des Freihandels. Foto: Weißes Haus

Gewinner: vor allem China

Womit ist zu rechnen, wenn Trump aller Rationalität entgegen die Einfuhrzölle drastisch anhebt? Die WTO hat 164 Mitglieder, wenn eines ausschert, ist das für das für die verbliebenen 163 „im Grunde genommen perfekt“, so Schmerer. Ihre niedrigen Zollsätze untereinander dürften deren Handel beflügeln, zu Ungunsten der USA. Viele Länder würden Importe aus den USA mit entsprechenden Zöllen verteuern.

Ist ein Handelskrieg zu befürchten? Schmerer: „Die Gefahr besteht, aber ich glaube nicht, dass Trump so weit geht. Das Amt wird ihn sicherlich noch etwas formen und er wird hoffentlich Berater haben, die ihm die Kosten vorrechnen. Die Folgen eines Handelskriegs wären für Europa als wichtigstem US-Handelspartner und für Deutschland spürbar, aber vor allem für Amerika selbst ein Riesenproblem.“

Gewinner von Trumps Handelspolitik dürfte China sein. Australien hat es ja als neuen TPP-Partner ins Gespräch gebracht. Und auch Europa würde mehr Handel mit China führen, ist sich Schmerer sicher: „Beim Weltwirtschaftsforum in Davos trat der Staats- und Parteichef Xi Jinping bereits für Globalisierung und den Freihandel ein. Er bietet sich jetzt als neuer Partner an – wahrscheinlich mit Erfolg.“

Illustration
Gerd Dapprich | 07.02.2017