Studieren mit Sehbehinderung – ein Protokoll

Die FernUniversität verbessert kontinuierlich die Unterstützung für behinderte Studierende. Aus ihrem Studienalltag berichtet eine Studentin mit Sehbehinderung.


Kurz-Vita

Christina Niggenaber hatte nach ihrem Abitur im Jahr 2009 die Zusage der Lufthansa, zur Pilotin ausgebildet zu werden – ein Traum für die passionierte Segelfliegerin! Aufgrund einer plötzlichen Augenerkrankung konnte sie die Stelle aber nicht antreten und begann stattdessen ein Studium Luft- und Raumfahrttechnik an der Fachhochschule Aachen.

Eine Frau sitzt am Schreibtisch an einem PC, an den ein Bildschirmlesegerät angeschlossen ist.
Christina Niggenaber aus Erwitte studiert mit Sehbehinderung und der Hilfe eines Bildschirmlesegeräts. (Foto: Christoph Theyssen)

Allerdings nahm ihr Sehvermögen innerhalb weniger Jahre weiter stark ab und sie orientierte sich nach Abschluss des Bachelor-Studiums komplett um. Zum Sommersemester 2015 schrieb sie sich an der FernUniversität in Hagen für ein Studium der Psychologie ein. Seit März 2015 arbeitet sie stundenweise in einer Kinderpsychiatrischen Praxis.

Ihre Sehkraft liegt heute auf beiden Augen bei ca. fünf Prozent.

Allgemein:

Fürs Lernen nutze ich meinen PC mit der Vergrößerungssoftware Zoom-Text und mein Bildschirmlesegerät. Ich benutze weder Unterlagen in gedruckter Form noch andere handschriftliche Materialien.

Da ich auf einen sehr guten Kontrast angewiesen bin und zusätzlich stark blendempfindlich bin nutze ich von Zoom-Text die Funktion der Helligkeits-Umkehrung. Das bedeutet, ich lese Weiß auf Schwarz und meine Anzeige ist hauptsächlich schwarz.

Mein Arbeitsplatz:

An meinem PC habe ich einen 22“-Standardbildschirm angeschlossen. Die einzige Besonderheit ist, dass der Monitor nicht auf dem Schreibtisch steht, sondern an einem Schwenkarm befestigt ist und so auf meiner Augenhöhe direkt über der Tastatur schwebt.

Zusätzlich habe ich ein Bildschirmlesegerät angeschlossen. Damit kann man auch Texte und Bilder vergrößern. Ich nutze es beim Lernen nur als zweiten Monitor.

Meine Lernstrategie:

Beim Psychologie Studiengang muss man für jedes Modul Hunderte von Seiten lesen. In den ersten Modulen gibt es die Möglichkeit, Audio-CDs anstelle der Studienbriefe zu bekommen. Mittlerweile bin ich im fünften Semester und habe ich nur noch die Möglichkeit, zusätzlich zu den gedruckten Unterlagen ein PDF runterzuladen. Mir kommt das entgegen, da ich trotz meiner Sehbehinderung ein visueller Lerntyp bin.

Über die Semester habe ich eine sehr erfolgreiche Strategie gefunden, den Berg an Lesestoff so aufzubereiten: Auf meinem linken Bildschirm (über der Tastatur) ist eine Word-Datei geöffnet und auf dem rechten Bildschirm meine PDF-Software (PDF-XChange Viewer).

Ich lese also rechts die Studienbriefe oder Literatur und fasse sie links zusammen. Da ich es höchstens einmal pro Semester schaffe, die vorgegebenen Seiten zu lesen, fasse ich sie sehr ausführlich zusammen. An Tagen, an denen ich ,nur‘ lerne, schaffe ich zwischen 10 und 20 Seiten.

Dabei nutze ich die (extrem hilfreiche) Funktion der PDF-Software, dass ich wichtige Sätze einfach markieren und per Copy-Paste sofort in meine Word-Datei übertragen kann. Wichtige Abbildungen oder Tabellen füge ich einfach als Bilder in meine Zusammenfassung ein.

Global Accessibility Awareness Day (GAAD)


Die FernUniversität in Hagen arbeitet kontinuierlich daran, die Studienbedingungen auch für Studierende mit Behinderungen und chronisch Kranke zu verbessern. Die Bemühungen sind eingebettet in eine Diversitätsstrategie, die die FernUni entwickelt. Dazu zählt auch der Aktionstag auf dem Campus zum weltweiten GAAD am Donnerstag, 18. Mai, mit dem Thema „Digitale Barrierefreiheit“ für Menschen mit gesundheitlicher Einschränkung. Weitere Infos

Studienverlauf

Erstes und zweites Semester: Ich wusste vor Beginn des Studiums, dass ich mit meiner Behinderung die Möglichkeit habe, die Klausuren mit Nachteilsausgleich schreiben zu können.

Ich hatte erwartet, dass die FernUni einige Methoden zur Verfügung stellt und ich mir die beste für mich aussuchen könnte. Dem war aber leider nicht so, was mir im ersten Semester einiges an Stress bereitet hatte.

Zu diesem Zeitpunkt hatte ich auch noch kein eigenes Bildschirmlesegerät. Also habe ich mich bei meiner Selbsthilfegruppe (Pro Retina Deutschland) beraten lassen und einen Antrag bei meiner Krankenkasse gestellt. So konnte ich beim Prüfungsamt dann den Antrag auf Nachteilsausgleich stellen. Darin habe ich beantragt, meine Klausur mit einem Bildschirmlesegerät und einer Klausurzeitverlängerung im Regionalzentrum zu schreiben.

Das war ein ziemliches Hin und Her und klärte sich alles erst kurz vor den Klausuren – echt nervenaufreibend parallel zum Lernen. Im zweiten Semester setzte es sich leider so fort und ich war ständig mit dem Regionalzentrum in Kontakt, um meine Prüfungen zu organisieren

Drittes Semester: Wie in den vergangenen Semestern habe ich die gesondert nummerierten Kurse für Sehbehinderte belegt. Die letzte Ziffer bestimmt, ob man die Unterlagen in Punktschrift, Audio-CD, oder als PDF bekommt. Auch hier fehlte ein automatisch ablaufender Prozess, was ich ziemlich nervig fand.

Das Regionalzentrum (Frau und Herr Klatthaar) muss ich an dieser Stelle mal loben! Es sind wahnsinnig herzliche, freundliche und hilfsbereite Menschen Aber leider auch etwas überfragt beim Thema Behinderung an der FernUni Hagen. Zu Beginn des Studiums hat mir auch die Hochschulbeauftragte für behinderte und chronisch kranke Studierende weitergeholfen.

Was mich – und auch meinen Augenarzt – ziemlich stört: Jedes Semester brauche ich ein aktuelles Attest und muss alle Unterlagen (Schwerbehindertenausweis etc.) einreichen, als würde ich das erste Mal einen Nachteilsausgleichsantrag stellen. Meine Sehbehinderung ist unheilbar und schreitet langsam fort.

Ich habe es zum Glück alles irgendwie hinbekommen mit den Klausuren und dem ganzen Papierkram. Aber ich denke, dass da einige ziemlich mit überfordert sein könnten. Ich war es gewohnt, dass man beim Studium für alles selber verantwortlich ist und sich um alles kümmern muss. Trotzdem hätte ich mir eine Art Checkliste für Studierende wie mich gewünscht, da ich schon einiges mehr an Aufwand hatte als ,normale‘ Studierende. Ich hatte ständig das Gefühl, dass ich oft nur aus Zufall auf die Infos gestoßen bin.

Fazit

Ich bin insgesamt froh, dass ich durch die FernUni nochmal die Möglichkeit habe zu studieren! Ich musste meinen ersten Ausbildungsweg und Berufswunsch aufgrund der Krankheit komplett aufgeben und habe mit dem Studiengang Psychologie eine sehr gute Alternative gefunden, in der ich Semester für Semester immer mehr aufgehe.


Anja Wetter | 15.05.2017