Woher kommt die Furcht vor Geflüchteten?

Migration empfinden einige Menschen als bedrohlich. Die psychologische Erklärung ist komplex. FernUni-Forschende haben nun einen Weg gefunden, das Phänomen genauer zu untersuchen.


Menschen mit Rucksäcken wandern Foto: Jasmin Merdan/Moment/Getty Images
Mit vier Teilstudien nahmen die Forschenden Bezug auf die hohe Zahl von Geflüchteten 2015 und 2016.

Einige Menschen haben Vorbehalte gegenüber Gruppen, zu denen sie selbst nicht gehören, zum Beispiel gegenüber Geflüchteten aus anderen Ländern. Die Psychologie erklärt das häufig mit einem Bedrohungsgefühl, das die Eigengruppe angesichts der Fremdgruppe empfindet. „Das Phänomen ist weitaus vielseitiger als die Forschung bisher angenommen hat“, sagt Dr. Helen Landmann von der FernUniversität in Hagen. Sie ist Wissenschaftliche Mitarbeiterin im Lehrgebiet Community Psychology. Gemeinsam mit Lehrgebietsleiterin Prof. Dr. Anette Rohmann und Prof. Dr. Robert Gaschler (Lehrgebiet Allgemeine Psychologie: Lernen, Motivation, Emotion) hat sie Studien zum Bedrohungserleben veröffentlicht. „Es gibt schon eine Menge Forschung dazu“, erklärt Helen Landmann. Ihre Ergebnisse werfen nun jedoch einen neuen Blick auf das Thema.

Bislang kam die Psychologie meistens auf die „Integrated-Threat-Theory“ zurück, um wahrgenommene Bedrohung im Zusammenhang mit Migration erfassbar zu machen. Der Ansatz unterscheidet zwei Bedrohungsarten. Zum einen die symbolische: Damit ist die Angst vor anderen Kulturen gemeint – also davor, dass die Fremdgruppe Werte hat, die nicht zu den eigenen passen. Zum anderen die realistische Bedrohung: Sie bezieht sich auf materielle Ängste, etwa vor finanziellen Einbußen.

Theorie auf dem Prüfstand

Auf Grundlage dieser Theorie etablierte sich ein häufig eingesetzter Fragebogen. Bei Landmann mehrten sich jedoch Zweifel an seiner Aussagekraft: „Mein Eindruck war, dass ganz lange nicht hinterfragt wurde, ob damit wirklich das ganze Spektrum an Bedrohungserlebnissen abgedeckt wird. Hier haben wir mit unserer Forschung angesetzt!“ In vier aufeinanderfolgenden Teilstudien bezogen sich die Forschenden auf die hohen Flüchtlingszahlen in den Jahren 2015 und 2016.

Die erste Studie mit 202 Teilnehmenden aus Deutschland konzipierte das Team qualitativ, das heißt mit offenen Fragen: „Die Leute sollten schätzen, wie viele Geflüchtete Deutschland aufnehmen kann und dann angeben, was Negatives passiert, wenn diese selbstgesetzte Zahl überschritten wird.“ Auf Grundlage der Antworten formulierte das Team einen differenzierten Fragenkatalog mit geschlossenen Fragen für drei weitere Studien, die wiederum quantitativ funktionierten. Die insgesamt 873 Personen teilten den Grad ihrer Zustimmung zu sechs verschiedenen Aussagen über mögliche Bedrohungen mit.

Portrait Foto: FernUniversität
Psychologin Helen Landmann

Differenzierter Fragebogen

Auf der Liste standen dabei weiterhin die bekannten Kategorien der symbolischen und realistischen Bedrohungen (Angst vor anderen Kulturen bzw. materielle Ängste) – zusätzlich aber auch die Angst vor Kriminalität (Bedrohung der Sicherheit), vor Konflikten innerhalb der Eigengruppe (Bedrohung des Zusammenhalts), vor wachsender Fremdenfeindlichkeit in der Gesellschaft (Bedrohung durch Vorurteile) und davor, dass Geflüchtete nicht ausreichend versorgt werden können (altruistische Bedrohung). Zusätzlich sollten die Befragten angeben, wie ihre persönliche Einstellung gegenüber Geflüchteten ist und ob sie eine härtere einwanderungspolitische Linie gutheißen würden.

Im Ergebnis zeigt sich, dass das bisherige Schema nicht ausreicht, um die große Vielfalt an Bedrohungen abzudecken, die Menschen angesichts von Migration empfinden. Für künftige Untersuchungen schlagen die Forschenden zudem ein Modell vor, das in beide Richtungen durchlässig ist: Es soll nicht nur abbilden, wie Sorgen und Ängste Vorbehalte bedingen, sondern auch umgekehrt, wie schon bestehende negative Meinungen, das Bedrohungserleben befeuern können. Denn noch etwas fiel dem Forschungsteam auf: Wer angegeben hatte, sich Gedanken um die Versorgungslage der nach Deutschland geflohenen Menschen zu machen, befürworte oftmals auch in besonderem Maße eine restriktive Migrationspolitik.

Künftig besser aufklären

Für Helen Landmann ist das kein Zufall: „Wenn Leute behaupten, sie sorgen sich um die Geflüchteten, kann ja niemand etwas dagegen sagen. Diese Einstellung ist gesellschaftlich akzeptiert.“ Wahrscheinlich verbergen einige Personen auf diese Weise ihre eigentlich negative Haltung gegenüber Migrantinnen und Migranten. Aus Sicht der Psychologin ist das besonders interessant: „Wir bezeichnen dieses Phänomen als ‚Paradox der altruistischen Bedrohung‘ – ‚Altruistic threat paradox.‘“

Die geschärften Analyseinstrumente sollen künftig auch dabei helfen, Vorbehalte in der Gesellschaft abzubauen: „Wenn wir genauer wissen, worüber sich die Leute Sorgen machen, können wir besser aufklären und falschen Einschätzungen konkrete Zahlen entgegensetzen“, so Landmann.

Die Studie

Die Ergebnisse der Studie wurden in der Zeitschrift „European Journal of Social Psychology“ veröffentlicht.

Landmann, H., Gaschler, R., & Rohmann, A. (2019). What is threatening about refugees? Identifying different types of threat and their association with emotional responses and attitudes towards refugee migration. European Journal of Social Psychology, 49 (7), 1401-1420. https://doi.org/10.1002/ejsp.2593

Benedikt Reuse | 16.12.2019