Selten zu sein genügt nicht: Wann können Vinyl-Schätze wertvoll werden?

Die lange totgesagte Schallplatte dreht sich immer noch, gelegentlich zu extrem hohen Preisen. Bedingungen hierfür erforschte Hendrik Sonnabend von der FernUniversität.


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Sie haben in der Mitte ein Loch, sie sind rund mit Durchmessern von sieben bis zwölf Zoll, flach, meistens schwarz und aus Polyvinylchlorid (PVC) hergestellt. Daher nennen Fans die Schallplatte gern „Vinyl“. Waren Langspielplatten (LPs) zu D-Mark-Zeiten in der Regel für 15 bis 30 Mark erhältlich, zahlen Liebhaber für sehr seltene Exemplare heute durchaus drei- und vierstellige Euro-Beträge. 2018 brachte ein „Black Album“ von Prince (gestorben 2016) aus 1987 sogar 27.500 US-Dollar ein. Die Voraussetzungen für solche Steigerungen erforschte Dr. Hendrik Sonnabend von der FernUniversität in Hagen.

Der Wissenschaftliche Mitarbeiter am Lehrstuhl für Volkswirtschaftslehre, insbesondere Wirtschaftspolitik (Prof. Dr. Joachim Grosser) untersuchte mit einem britischen Kollegen in einer wissenschaftlichen Studie, wie sich Seltenheit auf die Preise von ungewöhnlich teuren Sammlerstücken auswirkt. Auf einer einschlägigen Online-Plattform sammelten sie Daten zu den teuersten Verkäufen eines Monats.

Warum wird eine Platte wertvoll?

„Freunde von mir sammeln Schallplatten, sie kaufen auch strategisch: eine Platte zum Hören, eine als spekulative Anlage.“

Hendrik Sonnabend

Die empirische Analyse ergab, dass bei einem um ein Prozent verminderten Angebot der Preis um etwa 16 Prozent steigt. Das Alter der Aufnahme spielt dagegen kaum eine Rolle. Bei den teuersten Alben („Superstars“) wirken die Effekte sehr viel stärker: „Wenn das Angebot im allerhöchsten Bereich um ein Prozent abnimmt, steigt der Preis um ein Drittel!“ Aufnahmen von Künstlerinnen und Künstlern, die auf der Wikipedia-Bestsellerliste (List of best-selling music artists) stehen, sind im Durchschnitt 15 Prozent teurer als z.B. Black-Metal-Scheiben von Bands, die weniger populär sind. Der Eintrag eines Albums dort bringt nur vier Prozent. Genre-bedingte Unterschiede fanden sich nicht.

Angeregt zu der Untersuchung wurde Sonnabend von der Meldung zum „Black-Album“-Verkauf. „Als Ökonom fragte ich mich: Warum passiert das? Wie funktionieren Sammelmärkte? Welche Charakteristiken sind für das Erzeugen solcher Preise relevant? Woran erkennt man, ob eine Schallplatte wertvoll werden könnte?“

Sonnabend und Prof. Dr. Samuel Cameron von der University of Bradford werteten Daten für ihre gemeinsame Studie „Pricing the Groove: Hedonic equation estimates for rare vinyl records“ aus. Die Daten hierfür fanden sie bei „Discogs“, einer der größten Online-Plattformen für gebrauchte Platten.

Türkis statt Rot macht den Unterschied

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Hendrik Sonnabend besitzt selbst einige seltene Schallplatten - darunter auch eines aus weißem und rotem Vinyl, nicht aus schwarzem.

Je geringer die Stückzahlen der Platten sind und je populärer die oder der Künstler, desto eher ist ein Preisanstieg zu erwarten. Jedoch nur bei einer entsprechenden Nachfrage. „Interessant sind vor allem Erstauflagen sehr populärer Alben, die in geringer Stückzahl produziert wurden, etwa weil man sich des Erfolgs nicht sicher war“, erläutert Sonnabend. „Das Led-Zeppelin-Debütalbum mit türkisfarbenen Schriftzug von 1969 z.B. ist eine ‚Blaue Mauritius‘ unter den Schallplatten und 1.000 bis 1.500 Euro wert, die offizielle Nachpressung mit roter Schrift 15 bis 30 Euro.“

„Tolle Story“ treibt den Preis

Viel extremer war die Wertsteigerung beim komplett schwarzen Prince-Album, von dem nur wenige legal produzierte Debüt-Exemplare existieren. Zu einer Art „Bordeaux-Brief mit Roter und Blauer Mauritius“ könnte das Album durch eine (aus Marketingsicht) „tolle Story“ geworden sein. Kurz vor der Veröffentlichung habe Prince ein spirituelles Erlebnis gehabt, bei dem Gott ihm sagte, das Album sei „evil“, also böse oder sündig. Daher ließ Prince 1987 die ganze Produktion von 500.000 LPs und CDs auf eigene Kosten vernichten, nur ganz wenige blieben übrig (später wurden 250.000 Bootlegs – Platten ohne Autorisierung des Rechteinhabers Prince – nachgepresst). Die 2018 verkaufte „legale“ Platte soll von einem Firmenmitarbeiter 1987 gerettet und in seinem Nachlass gefunden worden sein.

Bekanntheit der Künstler

Ein wichtiger Nachfragefaktor sind Bekanntheit und Bedeutung der Künstlerin, des Künstlers oder der Band bzw. des Albums. In den untersuchten Daten kommen aber nicht nur allgemein bekannte Künstlerinnen und Künstler – wie Elvis Presley, Beatles oder Johnny Cash – häufig vor. Auch Künstlerinnen und Künstler, die nur in einem oft sehr schmalen Musikbereich wie den verschiedenen Ausformungen von Punk oder Jazz eine wichtige Rolle spielen, können hohe Preise erzielen.

So wird die Extended-Play-Platte „Aske“ („Asche“) der norwegischen Black-Metal-Band Burzum ebenfalls hoch gehandelt. Pikant daran ist: Der Burzum-Gründer wurde verdächtigt, eine Kirche in Brand gesetzt und sie dann für das Plattencover fotografiert zu haben, dem ein Feuerzeug beigelegt war. Ein Signal für die Metall-Szene, der mehrere Kirchen-Brände in Norwegen zugeschrieben wurden? „Das Album hat in seiner Nische eine enorme Bedeutung“, erläutert Sonnabend.

Perfekter Zustand

Eine weitere Voraussetzung für sehr hohe Preise ist ein perfekter Zustand von Platte und Cover. Schon mit einem winzigen Fehler ist er nur noch „sehr gut“ – der Preis ist es nicht mehr. Freuen kann sich, wer noch eine in der originalen Folie verschweißte Rarität besitzt.

Die Studie

„Pricing the Groove: Hedonic equation estimates for rare vinyl records“: Der Titel der Studie von Hendrik Sonnabend und Samuel Cameron kann mit „Schätzungen hedonischer Preisgleichungen für seltene Schallplatten“ übersetzt werden. In der Regressionsanalyse ermittelten sie den Einfluss von Produkteigenschaften auf den Preis. Diese Analysen sind statistische Analyseverfahren zur Modellierung von Beziehungen zwischen einer abhängigen und einer oder mehreren unabhängigen Variablen.

Wertsteigerungen sind oft auch für Fehl- oder Demo-Pressungen (die z.B. nur für Rundfunkanstalten gedacht waren) zu erwarten. Ebenfalls „preissteigernd“ wirken viele Informationen im Internet zu den Künstlerinnen und Künstlern bzw. zu der Platte.

Aufnahmen aus Regionen, die generell in der Musik weniger stark vertreten sind – wie Afrika –, sind erheblich billiger, stellten die beiden Wissenschaftler fest. Musikkassetten, Computer-Sticks und andere Formate können ebenfalls teuer werden, sind aber ungewöhnliche Sammelobjekte.

Seltenes kann vielfältigen Nutzen bringen

Warum sind Menschen bereit, für Platten viel Geld auszugeben, wo es doch die Musik als solche in bester Qualität viel billiger gibt? Für den Musikgenuss? Als Investition?

Foto: FernUniversität
Die LP zum Woodstock-Festival ist eine der bekanntesten Platten. Wenn man nur eine Nachpressung besitzt, ist die Wertsteigerungschance gering. Der Genuss ist für Liebhaberinnen und Liebhaber dieser Musik dafür unbezahlbar.

Wer ein nie abgespieltes Exemplar besitzt, dem könnte eine große Freude entgehen: „Das Spannende an audiophilen Raritäten ist, dass der Nutzen, den man aus dem ‚Gut Schallplatte‘ zieht, zerlegt werden kann.“ Sagt Hendrik Sonnabend als Ökonom. Nichtsammler bzw. Nichtsammlerinnen können sich an der Musik und an der Haptik von Platte und Cover sowie dem ruhigen Abspielen erfreuen.

Für Sammler bzw. Sammlerinnen könnte der Nutzen aus der Komplettierung ihrer Sammlung, der Befriedigung ihrer Sammelleidenschaft, dem Gefühl der Exklusivität oder einer besseren Positionierung in der Community Gleichgesonnener durch ein seltenes Stück bestehen. Auch Nostalgie kann ein treibendes Element sein, selbst in den untersuchten hohen Preisregionen.

Und dann gibt es noch diejenigen, die sich Wertsteigerungen erhoffen: „Freunde von mir sammeln Schallplatten, sie kaufen auch strategisch“, so Hendrik Sonnabend, „eine Platte zum Hören, eine als spekulative Anlage.“

Sie dürfen sich freuen: Generell gilt, dass die Preise steigen.

Ausführliche Informationen sind in einem Arbeitspapier von Sonnabend und Cameron zu finden, das sie beim „9th European Workshop on Applied Cultural Economics (EWACE)“ in Kopenhagen präsentierten.

Gerd Dapprich | 21.01.2020