Philosophischer Vortrag vor leeren Stühlen, aber nicht ohne Publikum

„Die Metamorphose des Primats des Praktischen: Kant, Fichte, Schopenhauer, Nietzsche“ wird am 23. April nur als Livestream verbreitet – eine an der FernUniversität übliche Technik.


Erstmals in der mehr als 32-jährigen Geschichte des Forum Philosophicum der FernUniversität in Hagen findet am Donnerstag, 23. April, eine seiner Vortragsveranstaltungen vor leeren Stühlen statt – aber nicht ohne Publikum: Der Vortrag von Prof. Dr. Matteo V. d‘Alfonso (Universität Ferrara) über „Die Metamorphose des Primats des Praktischen: Kant, Fichte, Schopenhauer, Nietzsche“ wird wegen der Corona-Krise ausschließlich als Livestream im Netz verbreitet. Der Link hierzu ist ab 16 Uhr verfügbar. Prof. d’Alfonso hält seinen Vortrag von Italien aus.

Eine Frau sitzt an einem Tisch und blickt konzentriert auf ihren Tablet-PC. Foto: Torsten Silz
Den Vortrag im Forum Philosophicum kann man an den verschiedensten Orten verfolgen.

Die traditionsreiche Vortragsreihe des Instituts für Philosophie setzt diese Technologie schon lange ein, denn zusätzlich zu den Live-Vorträgen in Hagen vor einem physisch anwesenden Publikum werden die Vorträge schon seit einigen Jahren philosophisch Interessierten gleichzeitig per Livestream zugänglich gemacht.

Der Vortrag

Kants Kritik der reinen Vernunft ist für die „kopernikanische Revolution“ in der Epistemologie berühmt, enthält jedoch noch eine andere „Revolution“: Kant begründet hier den Vorrang der praktischen vor der theoretischen Vernunft, worin ihm nicht zuletzt Fichte folgt, dem zufolge das ganze kantische System im Sinne einer Komplementarität von Theorie und Praxis, dabei aber eines Vorrangs der praktischen Vernunft zu betrachten ist. Es ist diese Auffassung Fichtes, gegen die sich dann Schopenhauer wendet, der schon als Student einen regelrechten Kampf gegen den Begriff der „praktischen Vernunft“ führt: Schopenhauer wird am Ende zwar erneut einen Primat des Praktischen, aber in ganz anderem Sinne (u. a. als Primat des Körpers) vertreten.

Eine letzte, extreme Konsequenz zieht Friedrich Nietzsche. Auch nach Nietzsche ist unser Weltverhältnis, selbst in seiner theoretischen Gestalt, ganz und gar praktisch. Nur so erhält seine berühmte These: „Es gibt keine Fakten, sondern nur Interpretationen“ ihre volle Bedeutung. Nietzsches Position, die sehr weit von Kants „Primat des Praktischen“ entfernt zu sein scheint, ist dabei das Resultat einer Reflexion, die erneut von Kant ausgeht: nämlich von der Analyse des teleologischen Urteils in Kants Kritik der Urteilskraft.

Der Vortrag wird die Positionen der genannten vier Autoren vorstellen und deren wechselseitige Beziehungen näher erörtern.

Veranstaltungsreihe läuft seit mehr als 30 Jahren

Bereits seit dem September 1987 können sich wissenschaftlich Interessierte im „Forum Philosophicum“ der FernUniversität aus erster Hand über aktuelle wissenschaftliche Debatten informieren. Es zeigt, dass es Menschen gibt, die bereit sind, mit- und nachzudenken. Es sollte zunächst das Gespräch zwischen Fachvertretern der Philosophie und der Öffentlichkeit in Hagen und Umgebung fördern. Inzwischen geht die dauerhafte und intensive Nachfrage von Studierenden und Bürgerinnen und Bürgern durch die Nutzung von PC und Smartphone aber weit über den unmittelbaren Einzugsbereich hinaus.

Gerd Dapprich | 16.04.2020