Die Jakobsmuschel als eingebrannte Erinnerung

Die Ergebnisse der ersten wissenschaftlichen Untersuchung zu Pilger-Tattoos zeigen: Pilgerinnen und Pilgern geht es um die Erinnerung an ein besonderes biografisches Ereignis.


Die Jakobsmuschel auf dem Knöchel, das Jakobskreuz auf der Hand oder den Pilgergruß „Buen Camino“ auf dem Unterarm: Der Trend zum Tattoo ist auf dem Jakobsweg angekommen. In den vergangenen Jahren sind die Tattoo-Studios im spanischen Santiago de Compostela wie Pilze aus dem Boden geschossen. 256 Pilgernde haben an der weltweit ersten wissenschaftlichen Untersuchung über Pilger-Tattoos teilgenommen. Sie pilgerten auf dem Jakobsweg und ließen sich anschließend im Studio „Sagrado Corazón“ tätowieren. Die Sozialwissenschaftler Dr. Christian Kurrat und Dr. Patrick Heiser der FernUniversität in Hagen legen jetzt die Ergebnisse vor.

Erinnerung an biografisches Ereignis

„Den Pilgernden geht es vor allem um die Erinnerung an ein besonderes biografisches Ereignis“, stellen die Wissenschaftler heraus. Beeinflusst wird das Tätowieren von soziodemografischen Faktoren wie dem Alter und der Nationalität der Befragten. Zum Beispiel lassen sich ältere Pilgernde lieber gemeinsam tätowieren als jüngere.

Flanking als neues Phänomen

Knapp ein Viertel der Befragten ließ sich in Santiago de Compostela eine Tätowierung am Knöchel stechen (24,3 Prozent). „Das neue Phänomen des ‘Flankings‘ ist vor allem bei jungen Menschen beliebt“, erklärt Christian Kurrat. „Ältere Pilgernde wählen lieber klassische Körperstellen wie den Ober- oder Unterarm.“

Das mit Abstand beliebteste tätowierte Symbol ist die Jakobsmuschel: 58,6 Prozent der Befragten entschieden sich nach ihrer Ankunft in Santiago de Compostela dafür. Knapp ein Fünftel der Teilnehmenden ließ sich einen Text tätowieren (18,7 Prozent). Von diesen Befragten wählten 23 Prozent den Pilgergruß „Buen Camino“. Für ein knappes Viertel der Pilgerinnen und Pilger spielt das Motiv ihrer Tätowierung eine untergeordnete Rolle. Für sie ist die Erinnerung an ihre Pilgerschaft vorrangig (23,8 Prozent). Ein knappes Drittel der Befragten gibt hingegen an, sich für eine Tätowierung entschieden zu haben, die den Jakobsweg symbolisiert (30,5 Prozent).

Muschel als Symbol für den Jakobsweg

„Die Muschel ist das Symbol schlechthin für den Jakobsweg“, fasst Christian Kurrat zusammen. „Damit wird die eigene Pilgererfahrung verbunden.“ Und der Religionssoziologe Patrick Heiser ergänzt: „Die klassische Pilger-Tätowierung aus Jerusalem erlebt aktuell eine Renaissance.“

Auch die Gemeinschaft unter den Pilgerinnen und Pilgern spielt beim Tätowieren eine Rolle. Knapp ein Viertel der Befragten hat sich in Santiago de Compostela gemeinsam mit anderen Pilgernden tätowieren lassen, die sie während ihrer Pilgerschaft kennengelernt haben (23 Prozent).

Pilgern, Dr. Christian Kurrat, Dr. Patrick HeiserFoto: FernUniversität

Dr. Christian Kurrat (links) ist im Jahr 2008 zum ersten Mal den Camino gepilgert. Der Sozialwissenschaftler forscht zur biografischen Relevanz des Pilgerns.

Dr. Patrick Heiser ist im Jahr 2012 zum ersten Mal den Camino gepilgert. Der Religionssoziologe forscht zum Pilgern, Fasten und zur katholischen Kirche.

Stillstand auf dem Pilgerweg

Während bis Februar 2020 das Pilgern auf dem Jakobsweg normal möglich war, blieben Herbergen und Kathedrale während des Corona-Lockdowns geschlossen. „Santiago de Compostela ist zur Geisterstadt geworden, zu einer toten Stadt wie in der Literatur des 19. Jahrhunderts“, blickt Christian Kurrat auf die vergangenen Wochen zurück. Die weiteren Auswirkungen auf die zuvor boomende Pilgerbewegung sind noch nicht absehbar.

Ausblick auf das Heilige Jahr 2021

Für 2021 hatte es vor dem Ausbruch der Corona-Krise bereits große Pläne gegeben. Denn seit dem 15. Jahrhundert wird in jenen Jahren, in denen der Jakobustag am 25. Juli auf einen Sonntag fällt, in Santiago de Compostela ein Heiliges Jahr begangen. In welcher Form Veranstaltungen und Feierlichkeiten stattfinden können, ist offen.

Der Stillstand auf dem Jakobsweg wirkt sich auch auf die Pilgerforschung an der FernUniversität aus. Während die Tattoo-Studie noch rechtzeitig vor Ausbreitung des Corona-Virus abgeschlossen wurde, verschiebt sich die Produktion eines wissenschaftlichen Pilgerfilms bis auf Weiteres.

Foto: Tattoostudio Sagrado Corazón, Santiago de Compostela
Das Tattoostudio Sagrado Corazón in Santiago de Compostela hat inzwischen geöffnet. HIer lag der Fragebogen der FernUni-Wissenschaftler aus.
Carolin Annemüller | 20.05.2020