Krankheiten richtig erkennen

Ist es COVID-19 oder Influenza? Ähnliche Symptome erschweren die richtige Diagnose. Der medizinische Empfehlungsdienst der FernUniversität soll Ärztinnen und Ärzte dabei helfen.


Bild: Mario Kubek
Im medizinsichen Empfehlungdienst können Ärztinnen und Ärzte verschiedene Symptome eingeben. Das System zeigt die wahrscheinlichste Erkrankung danach an.

Die Idee zum „Medical Recommender System“ (medizinischer Empfehlungsdienst) hatten Prof. Dr. Herwig Unger (Lehrgebiet Kommunikationsnetze) und PD Dr. Mario Kubek (Fakultät Mathematik und Informatik) gemeinsam mit Prof. Anirach Mingkhwan von der King Mongkut's University of Technology North Bangkok bei einem Doktoranden-Workshop im Mai 2019. Seitdem entwickeln die beiden Wissenschaftler der FernUniversität in Hagen das System gemeinsam mit Programmierhilfe von vier Studierenden der thailändischen Universität. „Ohne die Hilfe aus Bangkok hätten wir die Idee nicht umsetzen können“, sagt Prof. Herwig Unger.

System liest Literatur im Hintergrund

Für die erste Demo-Version hinterlegten die Entwickler 221 typische Krankheiten in Form von Wikipedia-Artikeln. Auf Basis einer sogenannten Kookurrenzanalyse kann das System medizinische Fachliteratur im Hintergrund in hoher Geschwindigkeit anzeigen. Wie in einer Suchmaschine können Ärztinnen und Ärzte zum Beispiel das Symptom Kopfschmerzen eingeben. Interface des Systems ist ein sogenanntes Fischaugen-Interface, das Symptome und mögliche Krankheiten in verschiedenen Farben (grün und rot) sowie relevante andere Begriffe (blau) darstellt und durch Linien die Beziehungen zwischen den Termen anzeigt.

Foto: Panchalee Sukjit
Gemeinsam mit Prof. Anirach Mingkhwan (vorne rechts) und Studierenden der King Mongkut's University of Technology North Bangkok entwickelten Prof. Unger (hinten rechts) und Dr. Kubek (mitte rechts) das System.

Individuell anpassbar

Begriffe können gleichzeitig eingegeben werden und das System verändert sich dynamisch je nach den Suchwörtern. Die wahrscheinlichste Diagnose wird nach einem von Unger und Kubek entwickelten Verfahren aus den Beziehungen der Worte in den gelesenen Texten berechnet und jeweils ins Zentrum gerückt. Auch kann zum Beispiel angeklickt werden, ob die kranke Person in den Tropen war, um eventuell Krankheiten auszuschließen, die nur in bestimmten Regionen vorkommen. Durch das Wissen der Medizinerinnen und Mediziner und das System können so schrittweise Krankheiten ausgeschlossen oder Symptome verfeinert beschrieben werden. Dadurch entsteht interaktiv die finale Diagnose.

Das System ist zudem individuell anpassbar. Ärztinnen und Ärzte können jede Art von Publikation in das System eingeben. Auch Patientenakten, eigene Erfahrungen sowie Präferenzen für die Behandlung können sie dort einpflegen. Der Empfehlungsdienst speichert diese und kann zukünftig Diagnosen in Sekundenschnelle anzeigen.

Weiterentwicklung der WebEngine

„Das ‚Medical Recommender System“ ist die erste themenbezogene Suchmaschine auf Basis unserer WebEngine“, erklärt Dr. Mario Kubek. Die WebEngine ist eine dezentrale Suchmaschine, die ähnlich wie Google aussieht, jedoch anders funktioniert. Hierfür erhielt Kubek den Fakultätspreis der Fakultät Mathematik und Informatik.

Der medizinische Empfehlungsdienst basiert auf der Verarbeitung natürlicher Sprache und kann mehr Informationen verarbeiten als eine Person lesen kann. Das System funktioniert zunächst in Englisch, kann prinzipiell auch jede andere Sprache verarbeiten.

Fehldiagnosen vermeiden

„Mit dem medizinischen Empfehlungsdienst sollen Fehldiagnosen seltener werden, da Krankheiten mit sehr ähnlichen Symptomen besser voneinander abzugrenzen sind. Das hilft insbesondere jungen Ärztinnen und Ärzten mit wenig Erfahrung.“, sagt Herwig Unger. Wenn das System zum Beispiel eine Meningitis für wahrscheinlich hält, kann die Ärztin oder der Arzt dazu nähere Untersuchungen durchführen, um eine möglichst genaue Diagnose abzugeben. Diagnoseabläufe können sie in dem System protokollieren und nachvollziehbar gestalten.

Eine Consulting-Firma aus Bangkok, die medizinische Informationssysteme entwickelt, zeigt bereits Interesse am System. So könnte sie schon bald Ärztinnen und Ärzten zur Verfügung stehen.

Annemarie Gonsiorczyk | 28.07.2020