Zurück zur familiären Bürgerlichkeit?
Wie wandeln sich zurzeit Familienrollenmuster und Geschlechterverhältnisse? Mit diesem komplexen Thema befasst sich Franziska Krüger in ihrer Promotion an der FernUniversität.
Der Vater arbeitet im Homeoffice an seiner Karriere und die Mutter wird wieder zur Hausfrau, der die Familienarbeit überlassen wird… Stimmt es, dass sich bürgerliche Familienrollenmuster durch die Corona-Krise wieder verstärken? Gibt es dieses überkommene Modell heute überhaupt noch in nennenswertem Umfang?
„Hier muss man differenzieren“, erläutert Franziska Krüger. „Das bürgerliche Modell ist ein ‚Idealbild‘ von Ehe und Familie und hat auch heute noch große Wertschätzung. Doch dafür, wie sich Paare arrangieren, wenn es tatsächlich um Erwerbs- und Familienarbeit geht, ist es keine Grundlage mehr.“ Franziska Krüger ist Promovendin am Promotionskolleg „Familie im Wandel. Diskontinuität, Tradition und Strukturbildung“ der Ernsting’s family Stiftungsprofessur für Mikrosoziologie der FernUniversität in Hagen. In ihrer Dissertation untersucht sie, welche Bedeutung die Sozialisation in der Bundesrepublik bzw. in der DDR heute noch hat. Dabei befasst sie sich nicht zuletzt mit der Frage, wie ost-westdeutsche Paare die Vereinbarkeit von Familie und Beruf ausgestalten. Dafür hat sie familiengeschichtliche Gespräche geführt. Eine wichtige Rolle spielten dabei auch die Geschichte der Herkunftsfamilien über mehrere Generationen hinweg.
Ideal der „bürgerlichen Familie“
Historisch gesehen entsprach das bürgerliche Familienmodell seit der Industrialisierung auch dem Wunsch vieler nichtbürgerlicher Familien, aber keinesfalls deren Lebenswirklichkeit. Denn oftmals waren zwei Einkommen notwendig, um die Familie zu ernähren.
Für die heutige Gesellschaft typisch ist die „modernisierte Versorgerehe“: Der Mann ist immer noch hauptverantwortlich für das Familieneinkommen, die Frau aber nicht mehr auf Haushalt und Kinderversorgung beschränkt. Sondern sie verdient in der Regel selbst Geld. Sobald jedoch Kinder geboren sind, schlägt das Pendel ein wenig zurück: Die Frau geht in Elternzeit, der Mann arbeitet weiter, vielleicht sogar mehr als vorher, weil er sich „oft verpflichtet fühlt, das Familienleben finanziell zu stabilisieren“, so Franziska Krüger. Das Elterngeld ist erheblich geringer als das Gehalt der Frau, die anschließend typischerweise in Teilzeit arbeitet. „Weil in vielen Unternehmen Arbeitsleistung immer noch sehr stark in Anwesenheit, also Arbeitszeit, gemessen wird, heißt das für den Mann: ‚Ich muss im Beruf anwesend sein, um meine Position zu sichern, Karriere zu machen und mehr zu verdienen.‘ Es ist also durchaus ein beruflicher Erwartungsdruck da.“
Mehr Zeit für Kinder, nicht für Hausarbeit
Geht es ebenso darum, der Familie auch einmal zu entfliehen? „Eine gewisse Vermeidung“ sieht Krüger durchaus, differenziert jedoch klar zwischen Fürsorge einer- und Hausarbeit andererseits: „Viele ‚neue‘ Väter wollen sich mehr in der Erziehungsarbeit engagieren und deutlich mehr Zeit mit ihren Kindern haben. Was sie eher nicht übernehmen wollen, ist die Hausarbeit.“ Berufsarbeit außer Haus kann dann unbewusst eine Flucht sein. Wer nicht zuhause ist, macht auch nicht so viel im Haushalt. Krüger: „Das sieht man, wenn Paare ihre Arbeit organisieren und die Frau in Teilzeit arbeitet, was ja das häufigste Modell ist: Dann reduziert sich der Anteil geleisteter Hausarbeit der Männer ganz drastisch.“ Wobei die Frauen – von denen ja viele „für ihre Kinder da sein wollen“ – in der Bilanz nicht weniger arbeiten.
Dazu, wer sich beim „Aushandeln“ der Arbeitsanteile durchsetzt, gibt es verschiedene Theorien. Eine besagt, dass rational nach Kosten und Nutzen entschieden und in die erfolgversprechendere Karriere „investiert“ wird. Doch ist dies nach Krügers Erkenntnis eine „verkürzte“ Perspektive: Wenn Paare ihre Aufteilung der Arbeit begründen, wird oft der geringere Verdienst der Frau genannt. Hinter der Entscheidung stehen aber normative Bilder, persönliche Erfahrungen, Sozialisation und Tradition. Häufig wägen Paare also keine Argumente ab, sondern fallen in traditionelle Rollenmuster. Gesellschaftliche Erwartungen – etwa, dass die Frau als Mutter emotional besser für die Kinderversorgung geeignet sei oder der Mann erwerbstätig zu sein habe – prägen unsere Überzeugungen und Vorstellungen.
Probleme für immer mehr Paare
Aufgrund der bei Frauen steigenden Qualifizierung gibt es auch immer mehr Paare, bei denen beide Karriere machen wollen. Das ist ein zweischneidiges Schwert, weil sie dann vielleicht doch eher – zumindest zunächst – auf Kinder verzichten, um erst einmal einige Karrieresprünge zu schaffen. Doch auch bei ihnen sind es dann sehr oft die Frauen, die als Mütter beruflich zurücktreten. Demgegenüber haben auch in diesen Paarbeziehungen die Männer eher einen ungebrochenen Berufsweg: Sie nehmen sich weniger Auszeiten – wie die Elternzeit – für ihre Kinder, arbeiten deutlich mehr Stunden, die Familien ziehen viel eher aus beruflichen Gründen des Mannes um. Krüger: „Familie zu haben führt eher zu einem ‚Bruch‘ in weiblichen Biografien.“
„Prinzipiell sind Kinder eine persönliche Erfüllung“, so Krüger, „bei karriereorientierten genauso wie bei Paaren aus anderen Milieus.“ Wobei man aber auch sagen muss, dass Familie und Kinder nicht bei allen einen hohen Stellenwert haben. „Die normative Vorstellung von Unabhängigkeit und Selbstverwirklichung über Berufsarbeit steht im Widerspruch zu Bindung und Kompromissfindung, die im privaten Bereich eingegangen werden. Die westliche Gesellschaft ist zudem stark auf die Arbeitswelt orientiert.“
Familienleben am Wochenende sehr wichtig
Für karriereorientierte Paare spielt sich Familie oft nur am Wochenende ab, hat dann aber einen hohen Stellenwert. Sie versuchen, diese Zeiten für die Kinder freizuhalten, z.B. für tolle Unternehmungen. Man kann auch sehen, dass Familienrituale wie gemeinsame Mahlzeiten im Alltag eine große Rolle spielen. Berufstätige Väter kommen so rechtzeitig nachhause, dass sie den Kindern noch eine Gute-Nacht-Geschichte vorlesen können. Um noch ein, zwei schöne Stunden mit ihren Kindern zu verbringen, unterbrechen sie ihre Arbeit, um sie dann abends wiederaufzunehmen. Das ist dank einer flexiblen Arbeitseinteilung möglich, erhöht aber oft auch das Arbeitsvolumen. „Zeit für die Kinder“ und „Zeit für den Beruf“ bedeutet für viele eine stressige Konkurrenzsituation.
In der Zeit der Corona-bedingten Einschränkungen des öffentlichen Lebens, als Kitas und Schulen geschlossen hatten, kam es unter ganz bestimmten Bedingungen zu einer gleichberechtigteren Aufteilung der Haus- und Erziehungsarbeit, nämlich dann wenn die Männer im Homeoffice arbeiteten oder in Kurzarbeit waren. „Aber nur, wenn ihre Partnerinnen in dieser Zeit außer Haus weiterarbeiteten“, betont Krüger. Die Rollen wurden also sogar ein bisschen getauscht: Die Frau geht arbeiten und der Mann ist zuhause. „Unter diesen Bedingungen hat sich das Engagement von Frauen und Männern in der Familienarbeit tatsächlich fast angeglichen. Diesen Effekt kann man auch sehen, wenn Frauen im Schichtdienst arbeiten und ihre Männer nicht.“
Externe Einflüsse auf Familienmodelle
Welchen Einfluss Gesellschaft, Gesellschaftspolitik und Wirtschaft haben können, zeigt ein Vergleich der Entwicklungen in der BRD und in der DDR vor der Wiedervereinigung. Der Wirtschaftsaufschwung in der Bundesrepublik war ein Hauptgrund dafür, dass Familien von einem Einkommen leben konnten. So sorgten die westdeutschen Frauen in den 1950-er und 1960-er Jahren im westlichen „Wohlfahrtsstaat“ mit seinem christlich-konservativen Wertekanon und seinem arbeitsteiligen Arrangement im Sinne des bürgerlichen Familienmodelles dafür, dass der Haushalt funktionierte und die Kinder im Kreise der Familie aufwuchsen. Als sich die Lebensformen durch Bildungsexpansion, allgemeinen Werte- und wirtschaftlichen Strukturwandel pluralisierten, gab es auch kein festes Familienmodell mehr, an dem sich alle orientierten.
In der DDR waren die Geschlechterfrage und die Kindererziehung vergesellschaftet, durchgesetzt und gefördert wurde das sozialistische Familienbild mit dem Leitbild der „erwerbstätigen Mutter“. Alle familien- und sozialpolitischen Maßnahmen zielten in diese Richtung. Schon 1949 wurde die Gleichstellung von Mann und Frau verfassungsrechtlich verankert und seither die (ganztägige) Kinderbetreuungsstruktur massiv aufgebaut. Es gab kaum Teilzeitstellen, sodass Frauen vor der Herausforderung standen, Beruf und Familie zu vereinbaren. Trotz politischer Vereinbarkeitsmaßnahmen lag auch in der DDR die größere Last auf den Schultern der Frauen.
Die unterschiedlichen gesellschaftlichen Systeme beider deutscher Staaten haben bis heute Folgen. Deutlich wird, dass die Entscheidung, wer wann wieviel im Beruf oder in der Familie und im Haushalt arbeitet, nicht nur von strukturellen institutionellen Faktoren abhängt. Trotz einheitlicher Verfassung und einheitlicher Familien- und Sozialpolitik gibt es immer noch Unterschiede in den Einstellungen und Verhaltensmustern der Menschen in den alten und den neuen Bundesländern. Als Beispiele hierfür nennt Krüger die Einstellung zur Erwerbstätigkeit von Müttern und zur Fremdbetreuung kleiner Kinder sowie die Akzeptanz von Kinderlosigkeit oder Alleinerziehenden. Diese lassen sich nicht einfach auf wirtschaftliche Einflüsse reduzieren, sondern zeigen, dass die Sozialisation eine wichtige Rolle spielt.