Baustein für mehr Motivation beim Lernen

Gemeinsam mit dem Institut für Kooperative Systeme hat Prof. Hans-Joachim Mittag eine preisgekrönte Web-App entwickelt, die Lernenden interaktiv das Thema „Statistik“ näherbringt.


Frau mit Brille schaut auf holografische Statistiken Foto: Laurence Dutton/E+/GettyImages
In modernen Gesellschaften ist Statistik omnipräsent. Die Digitalisierung hat ihre Position noch weiter gestärkt.

Egal ob es um Wahlen, Aktienkurse, den Schrittzähler am eigenen Handgelenk, Lottoziehungen oder Klickzahlen für das Lieblingslied im Internet geht: Statistiken begegnen dem Menschen überall – das gilt fürs digitale Zeitalter mehr denn je. In Zeiten der Pandemie bestimmen medizinische Statistiken gar, wie das konkrete soziale Miteinander aussieht. So groß der Einfluss von Statistiken, so wichtig ist das Verständnis der zugrundeliegenden interdisziplinären Wissenschaft. Prof. Dr. Hans-Joachim Mittag arbeitet daran, die immer relevanter werdende Schlüsselqualifikation „Statistic Literacy“ zu erhöhen: Gemeinsam mit dem Institut für Kooperative Systeme (IKS), das sich an die FernUniversität in Hagen angliedert, entwickelte er eine freie App für die grundständige Statistikausbildung. Die Gesellschaft für Pädagogik, Information und Medien zeichnete sie jetzt mit dem Comenius-EduMedia-Award 2020 aus.

Üben, ausprobieren, entdecken

„Die App ist eine virtuelle Bibliothek mit interaktiven Lernobjekten für unterschiedliche Themenbereiche der Statistik“, erklärt Prof. Mittag, der bis 2014 an der Hagener Fakultät für Kultur- und Sozialwissenschaften Statistik lehrte. Die Web-Anwendung ist kostenlos zugänglich. Mit Unterstützung von Dr. Tobias Augustin vom Center elektronische Weiterbildung der FernUniversität wird sie stetig weiterentwickelt. Bislang sind knapp 30 Lernwelten entstanden. Einige von ihnen erlauben, frei mit statistischen Verfahren und Modellen zu experimentieren. Andere bieten einsteigerfreundliche Übungsaufgaben. Darüber hinaus laden Visualisierungen von ausgewählten amtlichen Statistiken zum Entdecken ein.

Prof. Hans-Joachim Mittag zu Fallbeispielen in der App Foto: privat

Ich habe bewusst nach Datensätzen geschaut, die ein breites Publikum interessieren und länger relevant bleiben.

Prof. Hans-Joachim Mittag zu Fallbeispielen in der App

Greifbare Beispiele

In diesen Fallbeispielen können Lernende spielerisch Parameter statistischer Modelle verändern oder Datensätze mit unterschiedlichen grafischen Instrumenten erkunden. So können sie ein Grundverständnis statistischer Konzepte gewinnen und Botschaften in Statistiken entdecken. „Zum Beispiel haben wir eine Statistik zu PKW-Neuzulassungen in Deutschland. Hier kann man nachvollziehen, inwiefern sich die Dieseldiskussion ausgewirkt hat“, so Mittag. Weitere Themen sind etwa Treibhausgasemission, Erwerbstätigkeit, Demografie in NRW-Städten oder Rüstungsausgaben. Als ehemaliger Sachverständiger im Europäischen Amt für Statistik hat der Wissenschaftler klare Vorstellungen: „Ich habe bewusst nach Datensätzen geschaut, die ein breites Publikum interessieren und länger relevant bleiben.“

Feingliedriger Aufbau

Die jeweiligen Lernwelten sind in sich geschlossen und voneinander unabhängig. „Einzelne Elemente lassen sich so problemlos herausgreifen und in unterschiedliche Blended-Learning-Szenarien integrieren“, erklärt Mittag. Wichtig war ihm, dass die Anwendung auf allen Endgeräten läuft: „Die App ist so konzipiert, dass sie das Auge nicht überfrachtet. Sie beinhaltet zum Beispiel möglichst wenig Formeln und Text, damit sie auch auf den kleinen Bildschirmen mobiler Endgeräte funktionieren.“ Alle Einstellungsoptionen lassen sich hier problemlos mit dem Finger bedienen.

Roter Graph in Koordinatensystem Foto: Statistik-App
Bei diesem interaktiven Münzwurf ist die Wurfhäufigkeit n einstellbar. Je öfter eine faire Münze geworfen wird, desto mehr nähert sich die relative Häufigkeit von „Zahl“, tendenziell dem Wert 0,5 an.

Vielfältiger didaktischer Nutzen

Die Anwendungsbereiche der App sind vielfältig. „Die Lernobjekte können einführende Statistikvorlesungen an Hochschulen bereichern“, so Mittag. „Sie sind aber auch für den Statistikunterricht an Schulen und für die Aus- und Weiterbildung von Mathematiklehrkräften der Sekundarstufe II ideal.“ Derzeit stelle etwa das Regierungspräsidium Arnsberg auf seinen Fortbildungen die Statistik-App als neues Werkzeug für den Unterricht vor. „Wir planen, die Statistik-App kontinuierlich zu erweitern. Dabei möchten wir insbesondere die zu erwartenden Bedarfsmeldungen aus dem Schulbereich berücksichtigen“, stellt der Forscher in Aussicht. Hierfür hofft er auch auf Mittel aus dem „Digitalpakt Schule“ von Bund und Ländern.

Crossmedialer Ansatz

Als Stoff wird Statistik in Klassenzimmern wie Hörsälen oft gefürchtet. Hier kann die App Berührungsängste nehmen, da ist sich Mittag sicher: „Lehrkräfte in Schulen und Hochschulen können zum Beispiel unter Verwendung eines Smartboards oder Beamers ansatzlos eine kleine Simulation starten oder Parameter statistischer Modelle spielerisch verändern.“ Auch selbst setzt der Professor die App ein: So enthält sein Einführungswerk „Statistik“, das er im August in 6. Auflage mit Co-Autorin Katharina Schüller herausgebracht hat, direkte Verknüpfungen zu den digitalen Lernwelten. Dafür gedacht, klassische Methoden zu ersetzen, sind die Lernobjekte freilich nicht. Vielmehr fungieren sie als niederschwellige Ergänzung. „Die App ist nur ein zusätzlicher Baustein, der Grundverständnis und Motivation erzeugen soll“, unterstreicht Mittag.

Benedikt Reuse | 08.12.2020