Buchvorstellung: „‚Ich bin ohne Sinnen gestorben.‘ Leben und Leid der Rosa Schillings“

Gabriele Lübke hat ein Buch über ihre von den Nazis ermordete Großmutter geschrieben. Sie stellt es in einer Veranstaltung der Bibliothek der FernUniversität am 23. November vor.


Portrait einer jungen Frau Foto: Privates Archiv Gabriele Lübke
Rosa Schillings wurde von den Nazis in der T4-Tötungsanstalt in Hadamar umgebracht.

„Ich bin ohne Sinnen gestorben“, ahnte Rosa Schillings ihr Schicksal voraus: Sie wurde 1941 von den Nationalsozialisten in der T4-Tötungsanstalt in Hadamar ermordet. Anders als viele andere Angehörige von Menschen, die von der NS-Vernichtungsmaschinerie umgebracht wurden, sprach ihre Familie offen über ihr Schicksal – über das Schicksal einer standhaften Frau, die sich von den Nazis nicht beugen ließ, die ihren eigenen Willen hatte, die sich offen gegen das Regime stellte.

Ihre Enkelin Gabriele Lübke zeichnet in ihrem kürzlich bei Marta-Press erschienenen Buch „Ich bin ohne Sinnen gestorben. Leben und Leid der Rosa Schillings“ den Weg ihrer Großmutter anhand von familiären Überlieferungen, Schriftstücken, Briefen und ihrer Krankenakte nach. Sie dokumentiert damit eindrücklich, wie diese in die Maschinerie des nationalsozialistischen Psychiatriesystems geriet und schließlich ermordet wurde.

Rosa Schillings steht stellvertretend für die vielen Menschen, die im Rahmen der so genannten „Aktion T4“ der nationalsozialistischen Euthanasie-Ideologie zum Opfer fielen. Das Buch ist eine würdige Sichtbarmachung einer Frau, die trotz allem widerständig und bei Sinnen blieb.

Lübke, Referentin im Referat Transfer und Alumni der FernUniversität, hat das Leben ihrer Großmutter über Jahre hinweg aus persönlichem Interesse aufgearbeitet. Ihre Ergebnisse fanden und finden in der Fachwelt und auch beim SPIEGEL großes Interesse.

In einer Online-Veranstaltung der Universitätsbibliothek (UB) der FernUniversität in Hagen stellt die Autorin ihr Buch am Dienstag, 23. November, von 10.30 bis 12 Uhr online via Zoom vor. Alle Interessierten können kostenfrei teilnehmen und sich per E-Mail an veranstaltungen.ub anmelden. Die UB sendet dann den Veranstaltungslink zu.

Portrait Foto: Veit Mette
Gabriele Lübke hat die Geschichte ihrer Großmutter ergründet und akribisch nachgezeichnet.

Gespräch beleuchtet Erinnerungskultur

Die Veranstaltung möchte auch die durch das Buch aufgeworfenen Fragen nach Formen und Möglichkeiten der Erinnerung diskutieren, denn von vielen der Opfer sind – anders als bei Rosa Schillings – keine eigenen Zeugnisse geblieben. Die Krankenakten wiederum bieten nur den durch die NS-Ideologie verzerrten Blick, der meist entpersonalisierend und entwürdigend war. In einem von Dr. Jeanine Tuschling-Langewand (UB) moderierten Gespräch diskutieren daher Gabriele Lübke, der Historiker Dr. Robert Parzer und Sarah Saulheimer, FernUni-Referentin für Inklusion, über neue Perspektiven auf eine Erinnerungskultur, in der die persönlichen Erinnerungen und die Sichtbarmachung des Individuums einen zentralen Platz einnehmen.

Intensive Auseinandersetzung

Robert Parzer, Historiker und Redakteur der Webseite www.gedenkort-t4.eu sowie ehemaliger wissenschaftlicher Mitarbeiter der Gedenkstätte Tiergartenstraße 4, hat sich intensiv mit Formen der Erinnerung an die Krankenmorde auseinandergesetzt. Als Gedenkstättenmitarbeiter und Redakteur des virtuellen Gedenkorts „T4“ hat er auch alternative Gedenkformen ausgelotet. Sarah Saulheimer, Referentin für Chancengerechtigkeit an der FernUniversität, hat sich mit Ansätzen der partizipativen Vermittlung der Erinnerung an die NS-Euthanasieverbrechen im Rahmen von inklusiven Hochschulseminaren befasst.

Ein Grußwort spricht der Dekan der Hagener Fakultät für Kultur- und Sozialwissenschaften, Prof. Dr. Jürgen G. Nagel. Er ist Leiter des FernUni-Lehrgebiets Geschichte Europas in der Welt und des Projekts „CoVio – Collective Violence. Forschungsverbund Kollektive Gewalt“.

Die Veranstaltung findet in Kooperation mit dem AStA, der Gleichstellungsbeauftragten und dem Referat für Chancengerechtigkeit der FernUniversität statt. Eine simultane Übersetzung in Gebärdensprache wird angeboten.

Frau mit zwei Kindern blickt auf Grab Foto: Privates Archiv Gabriele Lübke
Rosa Schillings mit Kindern am Grab ihres Mannes auf Borneo (Januar 1930)
 
Gerd Dapprich | 01.11.2021