Was kommt nach der Pandemie?

Eine Sommerschule in Zagreb entfaltete interdisziplinäre Perspektiven auf künftige Biopolitik. Hauptorganisator war das Lehrgebiet „Praktische Philosophie“ der FernUniversität.


Foto: Jan Defrančeski
Abschlusspanel der Sommerschule

„Bioethik – Biorecht – politische Konsequenzen für eine postpandemische Welt“ war das Thema der neunten Sommerschule aus der Reihe „Bioethik im Kontext“, die in diesem Jahr in den Räumen des Exzellenzzentrums für Integrative Bioethik der Universität Zagreb in Kroatien stattfand. Hauptorganisator war das Lehrgebiet „Praktische Philosophie – Ethik, Recht, Ökonomie“ der FernUniversität in Hagen, mitwirkende Partner waren neben der gastgebenden Universität Zagreb die Universitäten Sofia, Thessaloniki und Kreta, die KU Linz sowie Referentinnen und Referenten aus Regensburg, München, Benediktbeuern, Münster, Rijeka, Osijek, Zenica und Belgrad.

Perspektivenvielfalt

Auf der Sommerschule wurden auf der einen Seite die Erfahrungen analysiert, die man in den sieben vertretenen Ländern mit dem „Ausnahmezustand“ der pandemischen Lage gemacht hat. „Bei ‚Corona‘ ging und geht es nicht allein um ein medizinisches Problem; es ging und geht um ‚Biopolitik‘ in allen ihren Dimensionen. Daher haben wir Wert darauf gelegt, neben Stimmen aus der Medizin und der Medizinethik auch solche aus der Rechtswissenschaft, der Psychologie, der Politikanalyse, der Theologie und der vergleichenden Kulturwissenschaft zu Wort kommen zu lassen“, hält Prof. Dr. Thomas Sören Hoffmann fest, der zusammen mit seinem Zagreber Kollegen Prof. Dr. Hrvoje Jurić das Programm zusammengestellt hatte.

Auf der anderen Seite sollte der Blick nach vorne gerichtet werden: Welche Lehren lassen sich aus den Jahren 2020 bis 2022 für die Zukunft ziehen? Wie gehen wir zum Beispiel mit „Ungewissheit“ um, die nicht mit einem quantifizierbaren „Risiko“ zu verwechseln ist (Prof. Dr. Christoph Lütge, München)? Wie können wir sicherstellen, dass labormedizinische Forschung gerade auch im „Ernstfall“ nach den Regeln der Wissenschaft stattfinden kann und nicht unter politischen und medialen Druck gerät (Prof. Dr. Paul Cullen, Münster)? Welche individual- und massenpsychologischen Folgen von „Lockdowns“ und anderen Maßnahmen, nicht zuletzt für Kinder und Jugendliche, müssen wir unbedingt im Blick haben oder zu vermeiden versuchen (Prof. Dr. Aleksandar Fatić, Belgrad)? Auf welche Weise kann auch im „Ausnahmezustand“ das Recht als Garantin unserer Grundfreiheiten verstanden und erfahren werden (Prof. Dr. Kathrin Gierhake, Regensburg)? Schließlich: Was sollte sich im Mensch-Natur-Verhältnis, angefangen von einem neuen Verständnis der Nahrungsmittel, die nicht nur Handelsware sein dürfen, grundlegend ändern (Prof. Dr. Michael Spieker, München/Benediktbeuern)?

Diese und viele andere Fragen wurden nach den Vorlesungen oder im Seminar, aber genauso auch nach vierzehn studentischen Präsentationen, äußerst lebendig diskutiert – manchmal auch noch in den Abendstunden beim Altstadtbesuch oder auf einem Ausflug in die ehemalige Hauptstadt Kroatiens Varaždin, zu dem das Exzellenzzentrum eingeladen hatte.

Begeisterte Teilnehmerinnen und Teilnehmer

Für Tanja Klankert, Masterstudentin in Hagen, war wichtig, dass interdisziplinär und grundlegend gefragt wurde, „welche Stimmen nicht gehört werden konnten, welches Leid und welche Leben nicht betrauerbar waren und inwiefern das Soziale in demokratischen Gesellschaften beschädigt werden kann, wenn Freiheitsrechte unverhältnismäßig oder unzureichend begründet eingeschränkt werden“. Dominik Mikic, ebenfalls Masterstudent aus Hagen, war von dem „offenen Charakter der Vorträge und Diskussionen“ wie überhaupt vom „Flair und der Atmosphäre“ der Sommerschule begeistert. Für sich persönlich fasst er zusammen: „Erst im Kontakt mit anderen Erfahrungen und Ansichten wurde mir klar, wie ich die vergangenen pandemischen Jahre und meine damit verbundenen Erfahrungen sinnvoll einordnen und reflektieren kann. Für einen solchen Austausch bot die Sommerschule den perfekten Rahmen“. Lydia Knorr, seine kroatische Mitstudentin, unterstreicht, wie wertvoll der „interdisziplinäre“ und „pluriperspektivische“ Ansatz der „integrativen Bioethik“ gerade für die Frage nach der Zukunft war: „Die Vielfalt der wissenschaftlichen Perspektiven, der beruflichen Hintergründe der Beteiligten und der nationalen Diskussionskontexte, auf die Bezug genommen wurde, machten es möglich, dass die Sommerschule einen gehaltvollen Ausblick auf die postpandemische Welt aus wissenschaftlicher Sicht, aber auch aus der Sicht des Alltagslebens der Menschen eröffnen konnte. Sie führte damit auf wertvolle Ergebnisse und inspirierte zu neuer und weiterführender Forschung. Ich bin froh, dabei gewesen zu sein!“

Erfolgreiche Sommerschulreihe wird fortgesetzt

Die positiven Rückmeldungen freuen natürlich besonders auch Prof. Hoffmann: „Mit den alten und neuen Partnern sind wir uns einig, dass unsere Kooperation unbedingt fortgesetzt werden soll. Ich darf schon verraten, dass die nächste Sommerschule im kommenden Jahr wieder einmal im Tutzing am Starnberger See stattfinden wird. Bei ihr wird es nach gegenwärtigem Stand um unser theoretisches und praktisches Naturverhältnis gehen – genauer um die Frage des Unterschieds zwischen einer Natur, die wir „freilassen“ und frei erfahren, und einer Natur, die wir nur aus unseren Modellen von ihr kennen“.

Presse | 14.07.2022