Fenster zur Vergangenheit

Mit seinem großen Bestand gibt das Psychologiegeschichtliche Forschungsarchiv wertvolle Einblicke in die Historie des Fachs. Jetzt feiert die FernUniversität sein 25. Jubiläum.


Foto: FernUniversität/privat
Archiv-Mitarbeiterin Miriam Bettenhausen und Gründer Prof. Helmut Lück

„Für ein wissenschaftliches Fach ist es wichtig, zu wissen, wo es herkommt – auch für die Psychologie, deren Geschichte noch relativ jung ist“, sagt Miriam Bettenhausen. „Die meisten denken, die Geschichte der Psychologie sei sehr verstaubt. Dabei findet vieles aus ihrer Anfangszeit noch heute Anwendung.“ Bettenhausen betreut das Psychologiegeschichtliche Forschungsarchiv (PGFA) der FernUniversität in Hagen. Gegründet wurde es vor genau 25 Jahre vom FernUni-Psychologen Prof. Dr. Helmut Lück. „Zwei Bestände bildeten damals den Grundstock“, erinnert sich der heutige Emeritus. „Ein größerer Nachlass eines Psychologen, der in der Nazizeit Professor in Marburg war, und die Schenkung des deutsch-amerikanischen Psychologen Wolfgang Bringmann, der über 30 Jahre Jang psychologiegeschichtlich geforscht und Dokumente gesammelt hatte. Wir konnten dazu durch Drittmittel einige Ankäufe tätigen.“

Gesellschaftlicher Mehrwert

Das damalige NRW-Wissenschaftsministerium gab seinen Segen zur Gründung der wissenschaftlichen Einrichtung. Auch weil Prof. Lück dem Forschungsarchiv von Anfang an einen echten gesellschaftlichen Mehrwert eingeschrieben hatte. „Bewusst wurde der Name ‚Psychologiegeschichtliches Forschungsarchiv‘ gewählt, weil Dokumente nicht nur inventarisiert und bewahrt, sondern der Forschung und Lehre dienen sollten“, erklärt der ehemalige FernUni-Dozent. „Die Geschichte der Psychologie war ja in Forschung und Lehre ziemlich vernachlässigt worden. Besonders wollten wir die Entwicklung der Psychologie zur Zeit des Nationalsozialismus aufarbeiten.“ Heute ist das PGFA eine Einrichtung der Fakultät für Psychologie. Prof. Dr. Stefan Stürmer (Lehrgebiet Sozialpsychologie) leitet sie – in enger Zusammenarbeit mit Prof. Dr. Robert Gaschler und seinem Lehrgebiet Allgemeine Psychologie: Lernen, Motivation, Emotion. Das Universitätsarchiv der FernUniversität gewährleistet zudem die systematische und beständige Lagerung der Dokumente.

Frau und Mann mit altem Papier und Laptop Foto: Torsten Silz
Das Forschungsarchiv beherbergt einen wachsenden Schatz an historischen Dokumenten.

Gefragte Sammlungen

Alle Filme, Tonaufnahmen, Instrumente und Dokumente im PGFA sind nach Personen sortiert. „Besonders gefragt sind die Bestände Hugo Münsterberg und Max Simoneit. Münsterberg gilt als einer der Begründer der angewandten Psychologie um 1900. Simoneit war der wissenschaftliche Leiter der Wehrmachtpsychologie in der Zeit des Nationalsozialismus. Die erste umfassende Biographie über Simoneit stützt sich besonders auf Hagener Archivalien“, betont Lück die Relevanz der Sammlung. „Interessant sind auch ganz andere Bestände, zum Beispiel von dem Kulturpsychologen Julius Bahle, der die künstlerische Inspiration von Komponisten empirisch untersucht hat.“ Immer wieder gibt es Anfragen zu Dokumenten – auch von Studierenden mit Blick auf ihre Abschlussarbeiten. Fast die Hälfte aller Gesuche kommt dabei aus dem Ausland.

Öffentlicher Vortrag zum Jubiläum

Wie das Psychologiegeschichtliche Forschungsarchiv entstanden ist und für Nutzende funktioniert, macht das PGFA am Mittwoch, 28. September, anschaulich: Mit einer öffentlichen Präsentation im Rahmen des Fakultätskolloquiums Psychologie feiert das Team das 25. Jubiläum. Interessierte sind herzlich willkommen – der Vortrag wird via ZOOM gestreamt. Teilnahme via ZOOM.

Wann: Mittwoch 28.09.2022, 13.00 Uhr

Vor Ort: FernUniversität, Universitätsstraße 47, 58097 Hagen, Gebäude 2, Raum 4/5

Kennung für ZOOM: Meeting-ID: 614 2230 1482 / Kenncode: 08347125

Psychologie zum Anfassen

„Ein großer und wichtiger Teil unserer Sammlung ist zudem das Psychotechnische Institut von Karl Hackl. Wir haben es in Gänze angekauft“, nennt Bettenhausen ein weiteres Beispiel und verweist auf zahlreiche alte Apparate, wissenschaftliche Tests und Korrespondenzen des österreichischen Psychotechnikers. Hackl (1889-1958) versuchte mit instrumental-gestützten Tests berufliche Arbeitsbedingungen zu verbessern. Als die Psychotechnik in der zweiten Hälfte des 21. Jahrhunderts als wissenschaftlicher Strang in Verruf kam und ganze Institute geschlossen wurden, ging vieles verloren – nicht so das Lebenswerk des Wieners. „Hackls Nachlass ist so groß, dass wir ihn noch gar nicht vollständig erfassen konnten“, verweist Bettenhausen auf den riesigen Umfang. Viele weitere Nachlässe und Splitternachlässe, Aktensammlungen, Korrespondenzen und Dachbodenfunde warten noch auf ihre Auswertung.

Schale mit Perlenstäben und Holzkasten mit Bauset Foto: FernUniversität
Alte psychotechnische Instrumente aus dem Institut von Karl Hackl, Wien

Offen für andere Disziplinen

Den gewaltigen Archivschatz zu bergen, bleibt eine gemeinschaftliche Aufgabe, an der zu guter Letzt alle Nutzenden mitarbeiten. Das Team freut sich aber nicht nur über Anfragen aus der eigenen Scientific-Community; grundsätzlich steht das PGFA allen zum Forschen offen. Viele Querverbindungen zu anderen Disziplinen sind offensichtlich. Etwa von Simoneits Wehrmachtspsychologie zur Geschichtswissenschaft, oder von Bahles kompositorischen Studien zur Musikwissenschaft. Es gibt sogar einen Briefwechsel zwischen Bahle und Hermann Hesse. „Hierin hat sich Hesse ganz ungewöhnlich ausgedrückt“, findet Miriam Bettenhausen. „Das wäre sicher spannend für einen literaturwissenschaftlichen Vergleich.“ Da ein guter Teil der Dokumente mittlerweile in digitalisierter Form vorliegt, funktioniert die Recherche meist auch ortsunabhängig. „Wir versuchen alles zu ermöglichen“, betont Miriam Bettenhausen und lädt Interessierte ein, mit ihr Kontakt aufzunehmen.

 

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Benedikt Reuse | 05.09.2022