Der Reiz des Vorhersehbaren

Der FernUni-Forscher Nils Jablonski untersucht die medienästhetische Darstellung von Idyllen. Über deren kitschiges Potenzial spricht er in der Podcast-Reihe „vorgestellt“.


Portraitfoto Foto: FernUniversität
Nils Jablonski
FernUni-Podcast „vorgestellt“ mit Nils Jablonski

Literatur, Filme und Fernsehserien stecken voller Idyllen, die Nils Jablonski in seinem aktuellen Forschungsprojekt untersucht. Er ist Wissenschaftlicher Mitarbeiter im Lehrgebiet „Neuere deutsche Literaturwissenschaft und Medienästhetik“ (Prof. Dr. Michael Niehaus) an der FernUniversität in Hagen. Der Untersuchungsbereich seiner Dissertation zur Idylle deckt eine große Bandbreite ab – von dem mit elf Oscars ausgezeichneten Kinoerfolg Titanic von James Cameron, über die TV-Serie Das Traumschiff bis hin zu den klassischen Idyllen der sogenannten „Hochliteratur“ sowie den einschlägigen „Trivialromanen“ aus dem Bereich des literarischen Kitsches. Was daran aus wissenschaftlicher Sicht interessant ist, verrät Jablonski im neuen Teil unserer Podcast-Reihe „vorgestellt“.

Transkript des Audio-Podcasts

Liebe Hörerinnen und Hörer,

herzlich willkommen zu unserer FernUni-Podcast-Reihe „vorgestellt“. Mein Name ist Benedikt Reuse und ich freue mich, heute Nils Jablonski als Gesprächspartner begrüßen zu dürfen. Er ist Wissenschaftlicher Mitarbeiter im Lehrgebiet „Neuere deutsche Literaturwissenschaft und Medienästhetik“ der FernUniversität in Hagen. Aktuell forscht er zu „Idylle“ und „Kitsch“ in Literatur, Film und Fernsehen.

Herr Jablonski, bei den Begriffen „Idylle“ und „Kitsch“ denken viele automatisch an Groschenromane und Filmschnulzen. Ist diese Assoziation so richtig?

Das ist die vollkommen richtige Assoziation, denn das sind eben auch genau die Gegenstandsbereiche in meinem Forschungsfeld. Ich schaue mir die Idylle im Spannungsfeld von zwei Polen an: Der Kitsch wäre der eine Pol, zu verstehen als ein Zustand von Frieden, Harmonie und Glück; und die Katastrophe der andere Pol, als ein Ereignis, das eben genau dieses Glück zu verhindern droht. Und in dieser Spannung konstituiert sich dann die Idylle.

Schwenken wir dann mal auf die Seite des Kitsches rüber in dieser Polarität: Wie kann man denn „Kitsch“ definieren? Gibt es da irgendein Muster?

Es gibt ganz, ganz viele verschiedene Definitionen des Kitsches – und ich glaube die geläufigste, mit der jeder etwas anfangen kann, ist die von so etwas wie schlechter Kunst. Das ist, seit es den Kitsch-Diskurs tatsächlich gibt, genau das Etablierte. Damit kommt man aber wissenschaftlich nicht viel weiter. Also da – wenn ich es mir wissenschaftlich anschaue, was eigentlich Kitsch ausmachen kann, was als Kitsch gelten kann – muss ich mir eben die spezifischen Verfahren angucken, die so einen kitschigen Film, einen kitschigen literarischen Text oder auch eine kitschige Fernsehserie auszeichnen. Die Idylle wäre ein Merkmal, um das zu erfassen. Man kann sich dann aber auch noch eben die Rhetorik, Poetik, Ästhetik dabei angucken: Wie ist es sprachlich gemacht? Welche besonderen Verfahren gibt es beispielsweise im Film? Trotz alledem ist die Idylle dabei in allen diesen Bereichen ganz zentral. Wenn man jetzt an den Film Titanic denkt: Den würde man erstmal nicht als eine Idylle begreifen. Der zeichnet sich aber genau durch dieses Spannungsfeld von Kitsch und Katastrophe aus. Die Katastrophe kennt jeder auf Grund der realhistorischen Ereignisse: Das Schiff rammt einen Eisberg und sinkt dann. In der letzten filmischen Umsetzung von James Cameron ist diese Darstellung dann noch verkoppelt mit einer Liebesgeschichte: Zwei Personen finden sich auf dem Schiff, erkennen ineinander die einzig wahre, große Liebe ihres Lebens. Und da geht‘s dann allerdings nicht so gut aus: Der eine Partner überlebt nicht. Aber das wäre so ein typisches Muster für Kitsch in einem narrativen Bereich – also da, wo etwas erzählt wird. Und das sind in der Regel genau solche Liebesgeschichten, die nach diesem festen Muster ablaufen: Zwei Menschen, die sich treffen, nicht zusammen sein können, am Ende aber doch zusammen kommen und dann ihr gemeinsames Glück genießen können.

Wenn das Muster so fest ist und man das so relativ leicht lesen kann, und das auch so erwartbar ist, warum gucken die Leute dann überhaupt noch kitschige Filme wie „Titanic“ an? Ist das nicht langweilig?

Ich glaube, genau deshalb ist es gerade nicht langweilig! Weil es darum geht, genau diese Variation der bekannten, festgelegten Schemata zu identifizieren und dann zu schauen, wie – sozusagen – diese Widerkehr des Immer-Gleichen, die es ja tatsächlich ist, dann in einer spezifischen Situation neu umgesetzt wird. Das ist analog – und die Erfahrung hat sicherlich jede und jeder schon gemacht – bei Märchen ganz ähnlich: Jeder kennt Märchen, weiß auch vor allen Dingen, was sie strukturell ausmacht. Also welche Figurentypen dazugehören, wie so bestimmte Handlungen ablaufen… Also man hat eine gute Seite, eine böse Seite. Die kämpfen gegeneinander. Das Böse wird überwunden und am Ende hat man das Happy End. Strukturell betrachtet, sind da der Kitsch und ganz besonders auch Kitscherzählungen absolut ähnlich vom Aufbau. Und natürlich auch in Bezug auf das vereinfachte Weltbild – also wo ganz, ganz viel schwarz-weiß gezeichnet wird. Beim Krimi ist das übrigens auch ähnlich von der Struktur. Nicht dass Krimis kitschig wären, aber es gibt auch festgelegte Muster. Es gibt einen Mordfall und dann wird eben im Rückblick die Geschichte erzählt, wie es zu diesem Mord kommen kann, und am Ende steht die Aufklärung. Und das ist ein Muster, das lässt sich variieren, und genau so trifft das auch auf den Kitsch zu.

Also kann man sich dann entspannen, weil man erwartbar vorrausehen kann, was passiert, aber dann auch den „Kopf abschalten“ kann?

Ja, ganz genau! Das ist so, gerade durch dieses Happy-End-Versprechen. Man weiß also stets, worauf man sich einlässt, und weiß auch, dass man da jetzt keine größeren intellektuellen Herausforderungen geboten bekommt. Man kann sich dann bei einer Serie oder einem Film, der so um die 90 Minuten geht, genau darauf einlassen. Ich weiß, am Ende steht das HappyEnd und ich bekomme da nicht irgendwelche weiteren gesellschaftspolitischen Probleme geliefert, mit denen ich mich dann weiter beschäftigen müsste. Das wäre dann zum Beispiel tatsächlich auch ein Abgrenzungskriterium zwischen Kitsch und einem Bereich der Unterhaltung und dem, was man dann ‚ernste‘ Kunst bzw. Literatur nennen würde.

Verstehe… „Happy-End“ ist genau das richtige Stichwort: Wir kommen jetzt auch zum Ende unseres Gesprächs. Herr Jablonski, ich bedanke mich und wünsche Ihnen noch viel Spaß mit der Forschung zu Idylle und Kitsch und Katastrophe.

Vielen Dank!

Benedikt Reuse | 04.05.2018