Überwältigt von großen Gefühlen?

Eine psychologische Studie ergründet am Beispiel „Hambacher Forst“, warum sich Menschen gemeinsam für die Umwelt engagieren. Emotionen spielen dabei eine wichtige Rolle.


Baumhaus im Wald Foto: Lukas Hamels/EyeEm/Getty Images
Für ihre Studie befragten die Forscherinnen auch Baumhaus-Aktivistinnen und -aktivisten.

Immer wieder sorgen sie für Schlagzeilen: Umwelt-Aktivistinnen und -aktivisten, die sich für den Erhalt von Wäldern einsetzen. Aktuell erlangen sie im Zusammenhang mit der Rodung und polizeilichen Räumung des hessischen Dannenröder Forsts neue Aufmerksamkeit. Die psychologischen Beweggründe hinter dem umweltpolitischen Einsatz beleuchtet jetzt eine neue Studie von Dr. Helen Landmann und Prof. Dr. Anette Rohmann aus dem Lehrgebiet Community Psychology der FernUniversität in Hagen. „Wir wollten wissen, welche psychologischen Prozesse Menschen dazu bewegen, sich kollektiv zu engagieren“, so Landmann. „Warum opfern sie so viel Zeit und nehmen so viel Aufwand auf sich, um sich zu koordinieren und gemeinsam für eine Sache einzutreten?“ Zum Entstehungszeitpunkt der Studie ging es im nordrhein-westfälischen Hambacher Forst hoch her – im wahrsten Wortsinn: Zahlreiche Aktivistinnen und Aktivisten blockierten in Baumhäusern, mehrere Meter über der Erde, die Rodungsarbeiten. Große Demonstrationen und ziviler Ungehorsam flankierten die Besetzung. An dieses Geschehen knüpften die beiden Psychologinnen mit ihrer Erhebung an.

Bewertung, Emotion, Intention

Dabei fragten sie vor allem danach, wie die Menschen die Protestaktion bewerten, welche Emotionen sie in diesem Kontext empfinden und welche Intentionen hinter ihrem (weiteren) Engagement stecken. Einer geläufigen Theorie zufolge führen zwei psychologische Pfade dazu, dass Menschen sich gemeinsam für eine Sache stark machen: einerseits kollektiver Ärger, andererseits die rationale Abwägung „Bringt unser Einsatz überhaupt etwas?“. Doch daran, dass Menschen hier ihre Erfolgschancen rein nüchtern bilanzieren, glaubten die Forscherinnen nicht recht.

Portrait Foto: FernUniversität
Helen Landmann ist die Erstautorin der Studie.

Sich bewegt fühlen und handeln

Landmann: „Unsere Idee war, dass dieser vermeintlich rationale Pfad auch mit Emotionen zusammenhängt, nämlich mit dem Gefühl des Bewegtseins.“ Es beschreibt den Zustand, wenn sich Menschen bewegt, überwältigt oder ergriffen fühlen. „In der Psychologie ist das eine relativ neue Emotionskategorie. Sie erklärt gut, weshalb es Situationen gibt, in denen Menschen Tränen in den Augen haben, obwohl eigentlich etwas Positives passiert.“ Am Ende bestätigte die Studie die kritische Grundannahme. „Beide Pfade sind ähnlich rational und emotional.“ Der Aktivierung durch gruppenbasierten Ärger steht ein zweiter emotionaler Auslöser gegenüber: der überwältigende Glaube daran, als Gruppe etwas Positives bewirken zu können.

Feldstudie mit echten Engagierten

Die Forscherinnen sicherten dieses Ergebnis mit zwei Teilstudien ab. „Wir haben erst eine Feldstudie durchgeführt, mit Menschen, die auch tatsächlich den Erhalt des Hambacher Forsts befürworten“, erklärt Landmann. „Da waren auch einige dabei, die zu den Demonstrationen gegangen sind und in den Baumhäusern gewohnt haben – also richtige Aktivistinnen und Aktivisten.“ Das Forschungsteam rekrutierte die 210 Versuchspersonen unter anderem aus umweltpolitischen Mailinglisten und Facebook-Gruppen. „Uns war wichtig, Menschen zu befragen, die nicht weit weg vom Thema sind, sondern sich auch tatsächlich engagieren.“ Hier wurden die Personen nach ihren Bewertungen, Emotionen und Intentionen gefragt.

Frage nach kausalen Zusammenhängen

Die zweite Studie legte den Fokus auf die kausalen Zusammenhänge: Die Testgruppe bestand diesmal nicht aus ausgesuchten Unterstützerinnen und Unterstützern der Protestbewegung, sondern aus 221 Psychologstudierenden der FernUniversität. Sie bekamen eines von drei Videos mit verschiedenen Schwerpunkten gezeigt, bevor es an die Beantwortung der Fragen ging. „Je nach Video gab es große Unterschiede“, betont Landmann. Zeigte der Film etwa die Verantwortlichen für die Abholzung, rief das bei den Versuchspersonen Ärger hervor und weckte die Intention zur Bestrafung. Ging es hingegen um die kollektiven Möglichkeiten des Protests, führte das zu einem Gefühl des Bewegtseins und der Intention, Teil der Gruppe zu werden.

Zur Studie

Landmann, H. & Rohmann, A. (2020). Being moved by protest: Collective efficacy beliefs and injustice appraisals enhance collective action intentions for forest protection via positive and negative emotions. Journal of Environmental Psychology, 71, 101491. https://doi.org/10.1016/j.jenvp.2020.101491

Online-Veröffentlichung

Vielschichtige Ergebnisse

Es gibt somit zwei psychologische Pfade, die Menschen zum kollektiven Engagement hinleiten. Gefühle spielen bei beiden eine große Rolle – aber auch, inwiefern der Einsatz als normativ gerechtfertigt und zielführend erscheint. Dabei kann das angestrebte Ziel changieren: „Menschen engagieren sich, um etwas zum Besseren zu verändern, aber manchmal auch weil sie möchten, dass jemand bestraft wird oder aber, weil sie Teil der Gruppe sein möchten. Wahrscheinlich handelt es sich in vielen Fällen sogar um eine Kombination aus diesen Motiven.“ Die in der Studie ausgelösten Effekte sind übrigens nur eine Momentaufnahme; sprichwörtliche Fähnchen im Wind sind die Menschen nicht: „Wenn wir Emotionen stimulieren, wie in der zweiten Teilstudie durch Videos, heißt das nicht, dass die Leute danach ihr Weltbild komplett ändern“, so Landmann. „Das ist auch gut so! Sonst wären wir ja viel zu leicht manipulierbar.“

Benedikt Reuse | 18.11.2020