Fragwürdige Kontrollen: lauter Einzelfälle?

Eine psychologische Studie untersucht, wie der gesellschaftliche Kontext die Häufigkeit von polizeilichen Verkehrsstopps von Schwarzen US-Bürgerinnen und Bürgern beeinflusst.


Schwarze Frau in Auto wird von Polizei angehalten Foto: RichLegg/E+/GettyImages
Racial Profiling in den USA? Schwarze Verkehrsteilnehmende werden in Relation zum Bevölkerungsanteil auffällig oft kontrolliert.

Im Mai 2020 wurde der US-Bürger George Floyd bei einer Polizeiaktion tödlich verletzt. Ein gewaltsamer Ausweis polizeilichen Fehlverhaltens gegenüber Schwarzen Menschen, der nicht nur die USA erschütterte. Doch auch abseits solcher Extremfälle steht die US-amerikanische Exekutive im Verdacht, Racial Profiling zu betreiben, also nicht gemäß objektiver, sondern ethnischer Kriterien zu handeln – etwa im Bereich von Verkehrskontrollen. Welche psychologischen Hintergründe das diskriminierende Polizeiverhalten hat, legt jetzt eine neue Studie dar. Sie setzt regionale Vorurteile und Stereotype gegenüber Schwarzen Menschen in Bezug zu überproportional häufigen Polizeistopps.

An dem Projekt arbeiteten Dr. Marleen Stelter vom Lehrgebiet Psychologische Methodenlehre und Evaluation der FernUniversität und Dr. Iniobong Essien. Der Psychologe wechselte vor kurzem von Hagen an die Leuphana Universität Lüneburg, ist an der FernUniversität aber noch als Lehrbeauftragter tätig. Prof. Dr. Juliane Degner und Carsten Sander beteiligten sich vonseiten der Universität Hamburg an der Studie.

Unverhältnismäßig oft angehalten

Zu Beginn überprüfte das Team den Vorwurf gegenüber der amerikanischen Polizei kritisch. Ein wichtiger Teil der dafür notwendigen Informationen stammt aus einem Projekt der kalifornischen Stanford University, das der Wissenschaft Polizeidaten aus mehreren US-Bundesstaaten zugänglich macht. Die Psychologinnen und Psychologen konzentrierten sich dabei auf eine Protokollsammlung zu rund 130 Millionen Verkehrskontrollen. „Wir haben untersucht, wie häufig Schwarze Menschen in bestimmten Regionen gestoppt wurden“, erklärt Marleen Stelter. „Das haben wir damit in Beziehung gesetzt, wie viele Schwarze eigentlich in den jeweiligen Regionen wohnen.“ Das Ergebnis: Afroamerikanische Fahrerinnen und Fahrer werden in Relation zu ihrem Bevölkerungsanteil tatsächlich unverhältnismäßig oft von der Polizei angehalten.

Portrait Foto: privat
Marleen Stelter forscht im Lehrgebiet Psychologische Methodenlehre und Evaluation.

Zusammenhang zur Region?

Gründe dafür vermutete das Team nicht allein in der individuellen Einstellung einzelner Polizistinnen und Polizisten, sondern im größeren gesellschaftlichen Kontext. Dem sogenannten „Bias of Crowds“-Ansatz folgend, fragten sich die Forschenden: Wird dort besonders häufig kontrolliert, wo mehr Weiße Menschen mit eher rassistischer Einstellung leben? Aufschluss darüber gab ein Datensatz der Organisation „Project Implicit“ über vorherrschende Stereotype und Vorurteile in bestimmten Gegenden. Tatsächlich weisen die Ergebnisse auf einen Zusammenhang hin, berichtet Iniobong Essien: „Die Polizei hält Schwarze Menschen häufiger in Regionen an, in denen diese weniger gemocht werden.“ Das Team sieht sich damit in seiner Annahme bestärkt. „Menschen agieren nicht ohne Kontext“, ordnet Stelter das Ergebnis ein. „Und wenn sie in einer Region mit vielen Vorurteilen leben, dann haben sie möglicherweise auch selbst Vorurteile und verhalten sich entsprechend diskriminierend.“

Portrait Foto: privat
Iniobong Essien ist PostDoc an der Leuphana Universität und FernUni-Lehrbeauftragter im Bereich Community Psychology.

Das Große und Ganze im Blick

Noch nicht abschließend geklärt ist die Frage nach dem genauen Kausalverhältnis: Beeinflussen die unverhältnismäßigen Kontrollen die Stimmung in der Bevölkerung – oder spiegelt sich die gesellschaftliche Einstellung im diskriminierenden Verhalten der Polizistinnen und Polizisten wider? Hierzu sollen weitere Untersuchungen folgen. „Wir stehen mit unserer Forschung noch relativ am Anfang“, betont Essien. Auch mit Handlungsempfehlungen ist das Team daher noch zurückhaltend. „Auf jeden Fall müssen soziale Kontexte stärker in den Blick genommen werden“, so der Psychologe. Maßnahmen gegen Diskriminierung sollten häufiger auch auf Ebene gesellschaftlicher Normen und Praktiken ansetzen anstatt primär bei Einzelpersonen. Außerdem betont das Forschungsteam, dass Diskriminierung nicht nur ein Problem in den USA sei. Seine Fragestellung plant es deshalb auch, auf die Bundesrepublik anzuwenden: „Wir würden das Ganze gerne auf den deutschen Kontext übertragen“, so Stelter.

Die Studie

Stelter, M., Essien, I., Sander, C., & Degner, J. (2021, August 13). Racial bias in police traffic stops: White residents' county-level prejudice and stereotypes are related to disproportionate stopping of Black drivers. https://doi.org/10.31234/osf.io/djp8g

 

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Benedikt Reuse | 30.09.2021