„So werden Sie erfolgreich!“

Erfolgsratgeber verkaufen sich gut, sind aber nicht neu: Schon vor hundert Jahren boomte das Genre. Ein literaturwissenschaftliches Projekt an der FernUniversität hat es erforscht.


Schwarzweiß-Foto von Stabhochspringer Foto: unbekannt, Public domain, via Wikimedia Commons
Hoch hinaus mit dem richtigen Narrativ? Um die Jahrhundertwende entstanden neue Ideen von individuellem Erfolg.

„Jeder Mensch kann erfolgreich sein – es braucht dafür nur das richtige Mindset!“ Mit solchen oder ähnlichen Verheißungen locken viele Erfolgsratgeber. Die Bücher zu Selbsthilfe verkaufen sich gut und füllen im Handel ganze Regalwände. Dabei liegt die Geburtsstunde des Genres über hundert Jahre zurück. Sie fällt in eine Phase gewaltiger Umbrüche: Ende des 19. Jahrhunderts schwellen die Städte im Deutschen Reich zu ungeahnter Größe an, das Leben wird komplexer, beschleunigt sich rasant. Einige macht der Wandel „nervös“, andere begrüßen die neuen Chancen. Der erste Weltkrieg erschüttert die Gesellschaft. Wirtschaftskrisen, Massenarmut und politische Unruhen bestimmen den Alltag. Genauso entstehen neue Formen der Konsum-, Freizeit- und Vergnügungskultur. Der moderne Mensch treibt Sport, geht ins Kino, lässt sich von Werbung blenden. Und er versteht sich mehr denn je als Individuum mit freiem Willen, der sich aktiv formen und optimieren kann – zum Beispiel mithilfe der richtigen Lektüre.

Prof. Dr. Michael Niehaus, Dr. Wim Peeters, Horst Gruner und Stephanie Wollmann haben das Thema erforscht und präsentieren ihre Erkenntnisse im Buch „Erfolg. Institutionelle und narrative Dimensionen von Erfolgsratgebern (1890-1933)“. Den Rahmen bildete ein Projekt der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG), das am Institut für Neuere deutsche Literatur- und Medienwissenschaft der FernUniversität in Hagen angesiedelt war.

Erfolg – was ist das eigentlich?

Ab 1890 fluteten Selbsthilfebücher zu allen möglichen Themen den deutschsprachigen Buchmarkt. „Wir sind zur Nationalbibliothek nach Leipzig gefahren. Dort haben wir in einer Woche rund 600 Quellen gesichtet“, erinnert sich Wim Peeters an eine frühe Forschungsreise. „Wir sind auf viel mehr Erfolgsratgeberliteratur gestoßen als erwartet.“ Daher begrenzte das Team seine Auswahl. „Wir haben nur die rausgegriffen, in denen der Erfolgsgedanke sich auf den ganzen Menschen bezieht.“ Was Erfolg eigentlich meint, changiert je nach Zielgruppe. Doch gerade diese Wandelbarkeit macht den Begriff um die Jahrhundertwende zum Herzstück eines neuen gesellschaftlichen Narrativs. Das richtige Storytelling lädt das eigene Leben mit Sinn auf: „Die Frage ist, ob man solche Ratgeber liest, um die Ratschläge wirklich Eins zu Eins umzusetzen oder eher, um für sich Strategien zu finden, das eigene Leben neu zu erzählen“, gibt Peeters zu Bedenken. „Mit bestimmten Selbstwerbetechniken kann man es so einordnen, dass es für andere erfolgreich wirkt. Diesen Nutzen haben die Bücher auch.“

Foto: FernUniversität
Michael Niehaus (re.) und Wim Peeters

Guter Rat ist billig

Vorrausetzung ist, dass der Verfassende des Ratgebers selbst Verlässlichkeit und Kompetenz ausstrahlt – zum Beispiel unter Berufung auf den eigenen Erfolg oder Wissenschaftlichkeit. Peeters: „Man muss sich als Autor institutionalisieren und in eine Position bringen, in der man Autorität hat.“ Eine Strategie war damals schon, den reißenden Absatz des eigenen Werks zu betonen: „Da werden teils Auflagen und Verkaufszahlen behauptet, bei denen ich mich frage, ob sie überhaupt stimmen“, wähnt Michael Niehaus Marketingtricks. Fest steht: Preislich und von ihrer Aufmachung her zielten viele Ratgeber auf die breite Masse, auf Männer und zunehmend auch Frauen. Manche waren als schmale Broschüren bereits für ein paar Groschen erhältlich. Es gab sie auch verbreitet als Leihexemplare in Angestelltenbibliotheken, wie zum Beispiel der Kruppschen Bücherhalle in Essen.

Gleichwohl wurde auch die gesellschaftliche Elite angesprochen: „Dr. Gustav Grossmann hat Führungskräfte adressiert, die er dann persönlich beraten hat. Das Buch ist nur ein wesentliches Standbein“, so Niehaus. Die Ratsuchenden konnten Bögen ausfüllen und sie von Grossmann auswerten lassen – ein Coaching-System wie es auch heute existieren könnte. „Es gibt glaubhafte Berichte, dass viele Persönlichkeiten der neuen Bundesrepublik sich von Grossmann haben coachen lassen.“ Sein Kollege Oscar Schellbach besprach seit 1934 sogar Schallplatten mit seinen Weisheiten, erklärt Peeters: „Die sogenannte Seelephonie.“ Auch diese Multimedialität hat Bestand – von der Fitness-App bis zum YouTube-Video.

Antiquarische Bücher Foto: FernUniversität
Manche Ratgeber hatten ein modernes Design. Reinhold Gerlings „Tatmensch“ etwa war in handliche Einzelhefte aufgeteilt, die sich in einem Schuber befanden – gestaltet von namhaften Kreativen.

Suggestion, Training, Disziplin

Viele Ratgeber unterstreichen, wie wichtig es für die Leserinnen und Leser sei, bestimmte Handlungen zyklisch zu wiederholen. „Das Modell des Trainierens wird auf die Lebensratgeber übertragen“, ordnet Niehaus ein. Eine Rolle spielte wohl auch, dass sich dazumal Sport als Massenphänomen popularisierte. Mit Ratschlägen rund um Ertüchtigung und Trimm konnten viele etwas anfangen. So behauptete Uve Jens Kruse in seinem Ratgeber Ich will – ich kann! von 1925 zum Beispiel, „daß der Wille sich trainieren läßt wie ein Muskel“. Der Autor Kurt Rado (24 Stunden richtig leben, 1921) legte seinen Schützlingen dringend ans Herz, jeden Morgen nach dem Aufstehen gewisse Atemübungen auszuführen. Und Hugo Schimmelmann riet dazu, vor dem Einschlafen immer wieder prägnante Motivationsformeln zu wiederholen, ganz im Sinne des Titels seiner Broschüre (Energie! Nervenkraft! Gesundheit! Charakterstärke! Erfolg! 1913). Niehaus: „Gerade weil der Wille so etwas Unspezifisches ist, entsteht der Trugschluss, man könnte alles mit ihm erreichen“ – die richtige Trainingsmethode natürlich vorausgesetzt.

Volle Breitseite an Ratschlägen

Solche „Erfolgsmodelle“ leben in heutigen Selbsthilfebüchern fort. Auch hier geht es oft darum, bestimmte Übungen und Rituale konsequent in den Tagesablauf zu integrieren. Seiner eigenen Formelhaftigkeit war sich das Genre dabei allerdings schon früh bewusst – und differenzierte sich weiter aus: „Es gab alle Varianten von Ratgebern, die man sich denken kann“, betont Peeters. „Zum Beispiel neben Suggestions-Ratgebern auch welche zur De-Suggestion. Oder die Aufforderung, sich bewusst zu irrationalisieren – als Reaktion auf die ganze Selbstrationalisierung.“ Die Bandbreite reichte von anthroposophischer Neugeistigkeit bis zu patriotischer Stählung. Selbst in der Nazi-Zeit blieb das Genre anschlussfähig und konnte überdauern. Die Literaturwissenschaftler fasziniert zudem, dass das Ratgeberbuch formal nicht totzukriegen ist: „Es ist interessant, dass die Leute, die heute mit einem Headset auf die Bühne gehen und Hallen mit ihren Motivationscoachings füllen, auch alle noch Bücher schreiben“, sagt Niehaus. Peeters bekräftigt: „Man muss offenbar noch heute ein Buch schreiben, um überhaupt ernst genommen zu werden.“

Details zum Buch

„Erfolg. Institutionelle und narrative Dimensionen von Erfolgsratgebern (1890-1933)“ ist im transcript Verlag erschienen (ISBN 978-3-8376-5573-5). Prof. Dr. Michael Niehaus leitet das Lehrgebiet Neuere deutsche Literaturwissenschaft und Medienästhetik. Dr. Wim Peeters ist akademischer Rat am Institut für Neuere deutsche Literatur- und Medienwissenschaft. Horst Gruner und Stephanie Wollmann arbeiteten im Projekt „Poetik des Erfolgs. Institutionelle und narrative Dimensionen von Erfolgsratgebern (1900-1933)“, das die DFG von 2016 bis 2020 finanzierte. Zur Projektwebseite

 
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Benedikt Reuse | E-Mail: benedikt.reuse
Online-Redakteur | Stabsstelle Kommunikation und Öffentlichkeitsarbeit

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Benedikt Reuse | 20.12.2021