Diskriminierung von Frauen in Kunst und Wissenschaft

Zum Equal Pay Day am 7. März beleuchten zwei Studien der FernUniversität in Hagen, wie drastisch die Benachteiligung von Künstlerinnen und Wissenschaftlerinnen wirklich ist.


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Für 60 Prozent der Einkommenslücke zwischen bildenden Künstlerinnen und Künstlern gibt es nur eine Erklärung: ihr Geschlecht.

Die geschlechtsspezifische Einkommenslücke zwischen Männern und Frauen schmilzt – wenn auch langsam. Das zeigt sich besonders in Berufen, in denen nach Tarifvertrag bezahlt wird. Doch wie sieht es in eher unkonventionellen Arbeitsmärkten ohne festes Gehalt aus? Eine Studie der FernUniversität in Hagen richtet die Lupe auf die Kreativbranche und offenbart: Vor allem in der bildenden Kunst verdienen Frauen immer noch deutlich weniger als Männer.

„Die Einkommensunterschiede allein sind allerdings noch kein Hinweis auf eine systematische Diskriminierung“, bewertet Dr. Hendrik Sonnabend seine Datenbasis. Am Lehrstuhl für Wirtschaftspolitik (Prof. Dr. Joachim Grosser) forscht er zu Geschlechterunterschieden in Arbeitsmärkten und ist Mitglied der interdisziplinären Forschungsgruppe Gender Politics an der FernUniversität. Für die Untersuchung konnten er und Assistenzprofessorin Dr. Maria Marchenko von der Wirtschaftsuniversität Wien auf eine Selbstbefragung des Bundesverbandes Bildender Künstlerinnen und Künstler (BKK) zurückgreifen. Mehr als 1.585 Personen machten in dieser repräsentativen Umfrage Angaben zu ihrem Einkommen und weiteren Faktoren wie ihren Lebensumständen, ihren beruflichen Qualifikationen oder ihrer Ausstellungsaktivität. All das ließen die Forschenden in ihre Untersuchung einfließen.

Frauen stellen mehr in Gruppen aus

Eine Besonderheit des Datensatzes: 85 Prozent der Befragten gaben an, von den Steuerbehörden als Künstlerinnen und Künstler anerkannt zu sein, was für die Ernsthaftigkeit spricht, mit der sie ihren Beruf ausüben und die Aussagekraft der Studie über den Kunstmarkt unterstreicht.

Beim Vergleich der Daten legten die Forschenden bisher verborgene Unterschiede in dem wenig beachteten aber viel geschätzten Arbeitsmarkt frei. „Frauen engagieren sich mehr in Gruppenausstellungen und haben größere Netzwerke als Männer. Männer stellen etwas häufiger alleine aus, teilen dagegen häufiger ihr Atelier als Frauen“, so Sonnabend. Doch selbst wenn die Forschenden diese und andere Unterschiede herausrechnen, bleibt immer noch eine Kluft. Männer verkaufen mit ihren Bildern, Skulpturen oder Illustrationen einfach mehr als ihre Kolleginnen. Für den Forscher durchaus überraschend: „Wir entdeckten, dass sich mit der Lebenssituation, der Qualifikation oder dem künstlerischen Status nur maximal 40 Prozent der Einkommenslücke erklären lassen.“ Der Rest des Einkommensdefizits sei zumindest in der vorliegenden Stichprobe allein auf das Geschlecht zurückzuführen. Für den Forscher ein erster Hinweis auf geschlechtsspezifische Diskriminierung in der bildenden Kunst.

Wenig Aussicht auf Top-Verdienst

Das führt dazu, dass Frauen ihr geringes Einkommen mit Lehrtätigkeiten aufbessern oder von der finanziellen Unterstützung ihres Partners abhängig sind. Mehr noch: Selbst diejenigen Frauen, die es irgendwann unter die bestverdienenden Künstler:innen schaffen, können sich in diesen Sphären nicht lange halten. „Die Wahrscheinlichkeit, dass Künstlerinnen über einen Zeitraum von drei Jahren mehr als 50.000 Euro im Jahr verdienen, ist um etwa zehn Prozentpunkte niedriger als bei Männern“, beschreibt Sonnabend eine weitere ernüchternde Erkenntnis seiner Studie.

Nur in einem Bereich fanden er und Forschungspartnerin Marchenko keine Anzeichen, die auf eine Diskriminierung von Frauen hindeuten: Kunst im öffentlichen Bereich. „Interessanterweise bemerkten wir keine geschlechtsspezifischen Ungleichheiten, wenn der öffentliche Sektor auf dem Kunstmarkt agiert. Künstler und Künstlerinnen mit vergleichbaren Eigenschaften verkaufen in unserer Stichprobe mit gleicher Wahrscheinlichkeit an öffentliche Einrichtungen.“ Für Sonnabend einerseits ein Zeichen dafür, dass Anti-Diskriminierungsgesetze greifen, andererseits stützt das Ergebnis den Eindruck eines diskriminierenden Verhaltens auf dem privaten Kunstmarkt.

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Frauen sind in Führungspositionen in der Wissenschaft an deutschen Hochschulen unterrepräsentiert. Das liegt nicht nur an ihrem Geschlecht.

Doktorandinnen stoßen an Gläserne Decke

In einer weiteren Studie zu den Ungleichheiten zwischen Männern und Frauen untersuchte Sonnabend zusammen mit Dr. Katrin Heinrichs (ehemals FernUniversität) das Phänomen der Gläsernen Decke an deutschen Hochschulen. Diese nicht sichtbare Barriere sorgt dafür, dass Frauen seltener in Spitzenpositionen aufsteigen und Professorinnen werden. Dabei sind sie unter den Studienabsolvent:innen sogar zahlreicher vertreten als Männer. Erst bei den Promotionen schließen die Männer auf, verdrängen die Frauen zunehmend. Unter den Habilitationen finden sich nur noch 31 Prozent Frauen, volle Professuren an deutschen Hochschulen haben nur noch 26 Prozent inne.

„Wollen die Frauen nicht weiterkommen, oder können sie nicht?“, bringt Sonnabend das Forschungsvorhaben auf den Punkt. Die Antwort ist eindeutig: beides. Nach der Promotion entscheiden sich Frauen offenbar bewusst dazu, die Karriere im Wissenschaftsbetrieb sein zu lassen. „Nach der Promotion stehen 16 Prozent Männer nur rund 10 Prozent Frauen gegenüber, die aus eigenem Antrieb heraus ihren nächsten Karriereschritt an einer Hochschule angehen wollen. Das liegt aber nicht an ihrem Geschlecht, vielmehr lassen sich die Unterschiede im Zusammenhang mit dem Anstreben einer Professur vollständig durch andere beobachtbare Merkmale wie etwa der Fächerwahl oder der Qualität der Promotionsleistung erklären.“

Frauen publizieren weniger als Männer

Frauen publizieren in ihrer Doktorandinnen-Zeit weniger Artikel in Fachzeitschriften und schließen ihre Promotion mit einer etwas schlechteren Note ab als Männer. Männer veröffentlichen im Durchschnitt 2,8 Artikel, Frauen 1,7. Bei den Noten erreichen Männer im Schnitt eine 1,9, Frauen eine 2,1. Den Unterschied bezeichnet Sonnabend als signifikant. Auch die Familienplanung dürfte sich darauf auswirken, dass Frauen sich seltener mit einer Karriere im Wissenschaftsbetrieb von Universitäten anfreunden als Männer.

Dr. Hendrik Sonnabend Foto: Hardy Welsch

„Fertig promovierte Frauen haben eine um 5,9 Prozentpunkte geringere Wahrscheinlichkeit, eine Postdoc-Stelle zu bekleiden oder im Rahmen eines Drittmittel-Projekts eingestellt zu werden.“

Dr. Hendrik Sonnabend

Was die Forschenden allerdings auch rausfanden, ist, dass Frauen seltener Stellenangebote erhalten. „Fertig promovierte Frauen haben eine um 5,9 Prozentpunkte geringere Wahrscheinlichkeit, eine Postdoc-Stelle zu bekleiden oder im Rahmen eines Drittmittel-Projekts eingestellt zu werden“, so Sonnabend. „Und dieser Unterschied kann nicht mit ihrer Fächerwahl, grundsätzlichen Präferenzen, der Notenverteilung oder der Familienplanung erklärt werden.“

Für ihre Analyse stand den Forschenden ein reicher Fundus an Informationen des Deutsche Zentrums für Hochschul- und Wissenschaftsforschung (DZHW) zur Verfügung. Das von Bund und Ländern geförderte Forschungsinstitut befragte 5.400 frisch Promovierte zur Art ihrer Promotion, ihrer Disziplin, der Promotionsnote. Das Geschlecht der Betreuungsperson, Persönlichkeitsmerkmale der Befragten wurden ebenso erfasst wie ein möglicher Migrationshintergrund.

FernUni fördert Gleichstellung

Die FernUniversität in Hagen setzt sich gezielt für mehr Frauen in Führungspositionen in der Wissenschaft ein. Im Rahmen ihres Gleichstellungskonzeptes erhöht die Hochschule den Frauenanteil an Professuren etwa mit einem transparenten Berufungsverfahren, einem speziellen Recruiting-Konzept für Professorinnen oder durch den Ausbau eines Professorinnen-Netzwerks. Leistungsstarke Postdoktorandinnen werden außerdem auf ihrem Weg zu einer Professur durch die Bereitstellung eines eigenen sachkostenbezogenen Teilbudgets, durch die Schaffung von einsemestrigen forschungsrelevanten Freiräumen oder durch ein dreijähriges Postdoktorandinnen-Stipendium gefördert.

 

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Sarah Müller | 07.03.2022