„Unser Wald muss diverser werden“

Die FernUniversität holte den bekannten Waldbauforscher Prof. Jürgen Bauhus ins Freilichtmuseum. Der Wissenschaftler brachte eine klare Botschaft mit.


Hagen ist die Stadt des Waldes. Mit 42 Prozent führt sie die Liste der waldreichsten Großstädte in NRW an. Zum Vergleich: In ganz Deutschland sind 32 Prozent der Fläche mit Buchen, Eichen und immer weniger Kiefern und Fichten bedeckt. Wer genau hinschaut, findet auch in Hagens grüner Lunge etliche braune Flecken – geschädigte Nadelbäume, die zuerst von zu heißen Sommern und milden Wintern gestresst waren und dann Millionen Borkenkäfern zum Opfer fielen.

„Das Anliegen der FernUniversität in Hagen ist es, die Dringlichkeit der Situation ins Bewusstsein zu holen“, verdeutlicht Rektorin Prof. Dr. Ada Pellert zu Beginn der Ringvorlesung des Forschungsschwerpunktes Energie, Umwelt & Nachhaltigkeit (E/U/N). „Wir verstehen unsere Aufgabe als Universität darin, eine Plattform zu bieten, auf der sich Menschen austauschen können.“

Die Plattform bildet an diesem sonnigen Juli-Abend das Freilichtmuseum des Landschaftsverbandes Westfalen-Lippe. Knapp 100 Gäste aus Wirtschaft, Politik, Wissenschaft und Gesellschaft fanden den Weg durch das Mäckingerbachtal bis hinauf zu den Museumsterrassen. Viele weitere verfolgen die Veranstaltung, die live aus dem Freilichtmuseum gestreamt wird, vor den Bildschirmen. „Ein wunderbarer Ort, der aber auch die Probleme, wegen derer wir heute zusammengekommen sind, nicht verschweigt“, begrüßt der Direktor des Forschungsschwerpunktes Prof. Dr. Alfred Endres die Gäste mit Blick auf einen einst grünen Hügel am Horizont der Kulisse.

Waldforscher im grünen Hörsaal

„Unser Wald muss diverser werden“, lautet daher die Botschaft von Prof. Dr. Jürgen Bauhus. Er ist Professor für Waldbau an der Albert-Ludwigs-Universität in Freiburg. Als Vorsitzender des Wissenschaftlichen Beirats für Waldpolitik (WBW) berät er die Bundesregierung zu nachhaltiger Nutzung des Waldes, zu Klimaschutz und Biodiversität.

Im grünen Hörsaal der FernUniversität berichtet der Forstwissenschaftler über den Zustand deutscher Wälder und zeigt in seinem Vortrag „Wege zur Anpassung der Wälder an den Klimawandel“ auf. „Die trockenheißen Jahre 2018 bis 2020 und die alarmierende Zunahme von Krankheiten und Schädlingen haben den Wäldern stark zugesetzt. Solche Extremereignisse werden in Zukunft weiter zunehmen“, zeigt er sich wenig zuversichtlich. Es sei unwahrscheinlich, dass sich die Wälder von selbst an klimabedingte Prozesse anpassen. Damit sie auch in Zukunft unsere und die Bedürfnisse folgender Generationen erfüllen können – wie Hochwasser- und Klimaschutz aber auch Erholung – müssen Anpassungen her. Eine Möglichkeit sieht der Forscher in beherzter Durchforstung.

Wege aus dem Baumsterben

„Klingt paradox, aber unsere Untersuchungen zeigen, dass wir einzelne Bäume durch die Entnahme größerer Bestände auf Stressereignisse vorbereiten können. Dadurch machen wir die verbleibenden Bäume vitaler.“ Ihre Stämme werden schnell dick, sie speichern mehr Nährstoffe und sind laut Bauhus weniger anfällig für Krankheiten.

Eine andere Möglichkeit sieht der Forscher in der wohlbedachten Baumartenwahl. „Hier ist eine aktive Steuerung durch das Einbringen von trockenheitstoleranten Arten erforderlich.“ Denkbar seien seltene einheimische Arten wie der Feldahorn oder neu zu etablierende wie Orient-Buche, Flaumeiche oder Türkische Tanne, die nah verwandt sind mit bekannten Arten. Klar ist: Ohne erhebliche Investitionen geht das alles nicht. Neben dem Wald bedarf es einer Anpassung in Betrieben, Institutionen und auch Waldbesitzende müssen umdenken.

Prof. Dr. Jürgen Bauhus Foto: FernUniversität

„Die trockenheißen Jahre 2018 bis 2020 und die alarmierende Zunahme von Krankheiten und Schädlingen haben den Wäldern stark zugesetzt. Solche Extremereignisse werden in Zukunft weiter zunehmen.“

Prof. Dr. Jürgen Bauhus

In Deutschland gehört die Hälfte des Waldes Privatpersonen, die ihre Fläche im Sinne der Gesellschaft bewirtschaften und Ökosystemleistungen bereitstellen. Diskussionen um die richtige Baumpflege werden schnell emotional. Ähnliche Erfahrungen macht auch der Wirtschaftsbetrieb Hagen (WBH), dem ein Viertel der Waldfläche in Hagen gehört. „Damit wir in Zukunft einen artenreichen Wald erhalten, verschließen wir uns fremdländischen Baumarten nicht mehr“, erklärt Forstwirtschaftsmeister Thomas Jung. „Besonders freuen wir uns darüber, dass sich die Esskastanie, die eigentlich an Rhein und Mosel zu Hause ist, hier wohlfühlt und zuletzt selbst verjüngt hat.“ Inzwischen machen widerstandsfähige Laubbäume mit einem Anteil von zwei Dritteln den weitaus größeren Teil des Hagener Waldes aus. „Als Forstbetrieb können wir privaten Waldbesitzern unsere Erfahrungen vermitteln und zu weniger bekannten aber widerstandsfähigen Baumarten ermutigen.“

Forschungsschwerpunkt als Impulsgeber

Welche Bäume, Sträucher und vor allem welche Tiere im Wald vor der eigenen Haustür zu finden sind, darüber informiert die Rollende Waldschule der Kreisjägerschaft Hagen. „Nicht nur Kinder, auch viele Erwachsene haben Schwierigkeiten das Prinzip nachhaltiger Nutzung zu verstehen“, sagt Sebastian Winner, der mit der Waldschule allen Interessierten das Ökosystem Wald näherbringt. „Daher ist es uns ein Anliegen, spielerisch die Funktionen und Aufgaben von Jagd, Land- und Forstwirtschaft zu zeigen und etwas gegen die Naturentfremdung zu tun.“

Weniger offensichtlich ist, dass sich durch den Klimawandel und das Baumsterben auch die Aufgaben des Landschaftsverbands Westfalen-Lippe (LWL) verändern, der nicht nur das Freilichtmuseum und weitere Museen betreibt, sondern als Kommunalverband auch wichtige Aufgaben in der Gesellschaft übernimmt: „Inklusion, Denkmalpflege oder Förderung der Landschaftskultur, all das gehört dazu“, erklärt LWL-Landesrätin Dr. Barbara Rüschoff-Parzinger. „Der regelmäßige Austausch mit einer wissenschaftlichen Einrichtung wie der FernUniversität ist für uns daher besonders wichtig.“

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Gast der nächsten Ringvorlesung des Forschungsschwerpunktes ist Meteorologe und ARD-Wetterexperte Karsten Schwanke. Er spricht beim Campusfest am 20. August auf dem Hagener Campus über „Klimawandel – DIE Herausforderung für unsere Gesellschaft”. mehr

Als Vorstoß in die richtige Richtung begrüßt auch Hagens Bürgermeister Dietmar Thieser die geschmiedete Kooperation zwischen der FernUniversiät, der Stadt Hagen und dem Landschaftsverband Westfalen-Lippe. „Dadurch kommen Institutionen, Fachleute, Bürgerinnen und Bürger und Betroffene aus ganz unterschiedlichen Bereichen zusammen. Besonders der Forschungsschwerpunkt Energie, Umwelt und Nachhaltigkeit positioniert sich als starker Impulsgeber in der Region für Themen der Gegenwart.“

Koordiniert hat die Ringvorlesung Dr. Lars Jensen-Lampiri vom Forschungsschwerpunkt. Mitkonzipiert und begleitet hat sie das Transferbüro der FernUniversität unter der Leitung von Dr. Christian Kurrat, der sich für die wissenschaftliche Vernetzung der Universität mit der Bevölkerung einsetzt – gerne auch unter freiem Himmel. „Die Location ist natürlich genial. Sollte es eine Fortsetzung des grünen Hörsaals geben, unterstützen wir das gerne.“

 

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Sarah Müller | 12.07.2022